Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

781 
gehören zu den Gewerbetreibenden, Werkmeister 
und Techniker zu den gewerblichen Gehilfen. Auf 
alle übrigen Arbeiterkategorien findet das Landes- 
recht Anwendung, welches teilweise noch ein voll- 
ständiges Koalitionsverbot, so für das Gesinde und 
die landwirtschaftlichen Arbeiter kennt. Das dies- 
bezügliche preußische Gesetz vom 24. April 1854 
stellt „Verabredungen“ und „Aufforderungen" des 
Gesindes und der landwirtschaftlichen Arbeiter be- 
hufs Einstellung der Arbeit unter Strafe. 
5. Die privatrechtliche Stellung der 
Arbeiterkoalitionen. Wenn nun auch 
152, Abs. 1 G.O. den genannten Arbeiterkate- 
gorien das Vereinigungsrecht gibt, so versagt doch 
Abs. 2 den Vereinigungen jeden privatrechtlichen 
Schutz: 
„Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von 
solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und 
es findet aus letzteren weder Klage noch Einrede 
statt“ (§ 152, Abs. 2 G.O.). 
Also auch während des Bestehens der Mit- 
gliedschaft ist eine Klage wegen Nichtinnehaltung 
von Koalitionsverabredungen unzulässig, und nie- 
mand kann von seinen Koalitionsgenossen belangt 
werden, wenn er von der Vereinigung, der er 
zuerst zustimmte, wieder zurücktritt. Konventional= 
strafen können zwar vereinbart, aber nicht ein- 
geklagt werden. Vereinigungen von Gewerbe- 
treibenden zur Herbeiführung und Erhaltung an- 
gemessener Preise für ihre Gewerbserzeugnisse — 
Kartelle, Syndikate, Trusts — fallen nicht unter 
§ 152, Abs. 2 G.O. Vertragsstrafen sind also 
hierbei einklagbar. 
6. Strafbestimmungen und Schutz 
der Arbeitswilligen. § 153 G.O. bezweckt 
den „Schutz der Arbeitswilligen“, er tritt dem 
„Koalitionszwang“ entgegen und spricht das Ver- 
bot der Nötigung zur Teilnahme an Koalitionen 
aus. Er bestraft, sofern nach dem allgemeinen 
Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt, 
„mit Gefängnis bis zu drei Monaten, wer an- 
dern durch Anwendung körperlichen Zwangs, durch 
Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Ver- 
rufserklärungen bestimmt oder zu bestimmen ver- 
sucht, an solchen Verabredungen (§ 152) teilzu- 
nehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andere 
durch das gleiche Mittel hindert oder zu hindern 
versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten." 
In dieser Strafbestimmung erblickt die Arbeiter- 
bewegung einen Ausnahmeparagraphen, indem an- 
dere Berufsklassen als die hier genannten, die hier 
bedrohten Handlungen des Zwangs, der Drohung 
usw. zur Förderung ihrer Koalition ungestraft 
in Anwendung bringen können. Auch sind die 
im § 153 genannten Handlungen nur dann mit 
Strafe bedroht, wenn es sich darum handelt, eine 
Koalition zu stärken; Zwang, Drohung ufsw. 
dürfen aber straflos angewandt werden, wenn 
man damit eine Koalition zerstören oder ihre 
Entstehung verhindern will. Auch sind diese 
Vereinigungsrecht. 
  
  
782 
Handlungen, wenn sie zu andern Zwecken vor- 
genommen werden, mit Strafe nicht bedroht. 
7. Rechtsfähigkeit der Koalitionen. 
Abgesehen davon, daß die G.O. den Koalitions- 
verbänden keinen privatrechtlichen Rechtsschutz gibt, 
haben die Vereinigungen als solche praktisch kaum 
die Möglichkeit, sich Rechtsfähigkeit zu verschaffen, 
als insbesondere Eigentum zu erwerben und Rechte 
auszuüben, die darauf begründet sind. Maßgebend 
sind die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetz- 
buchs. Nach diesem (8§ 21) können sie zwar als 
Vereine, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen 
Geschäftsbetrieb gerichtet ist, Rechtsfähigkeit durch 
Eintragung in das Vereinsregister erlangen; doch 
haben die Verwaltungsbehörden dagegen ein Ein- 
spruchsrecht, wenn der Verein einen politischen 
oder sozialpolitischen Zweck verfolgt. Tatsächlich 
haben wegen dieser Bestimmung Arbeiterberufs- 
vereine die Eintragung in das Vereinsregister nicht 
nachgesucht. Sie stoßen sich auch an der allge- 
meinen Bestimmung, daß das Amtsgericht jeder- 
zeit ein Mitgliederverzeichnis einfordern und jeder- 
mann davon Kenntnis nehmen kann. Arbeiter- 
vereinen bleibt hiernach nur der Rechtsschutz des 
§54 B.G. B. übrig: 
„Auf Vereine, die nicht rechtsfähig sind, finden 
die Vorschriften über die Gesellschaften Anwendung. 
Aus einem Rechtsgeschäft, das im Namen eines 
solchen Vereins einem Dritten gegenüber vorge- 
nommen wird, haftet der Handelnde persönlich; 
handeln mehrere, so haften sie als Gesamtschuldner."“ 
Der Erwerb von Grund und Boden ist hier- 
nach für Arbeiterberufsvereine als nicht rechtsfähige 
Vereine praktisch unmöglich, da alle zum Vereins- 
vermögen gehörigen Rechte im Grundbuch nicht 
auf den Namen des Vereins, sondern auf die 
Namen sämtlicher einzelner Mitglieder einzutragen 
wären. Nur auf dem Umwege der Bildung einer 
besondern juristischen Person (Aktiengesellschaft, 
Gesellschaft m. b. H.) könnte dieses Ziel erreicht 
werden. Der nicht rechtsfähige Verein hat zwar 
die passive Parteifähigkeit, er kann als solcher ver- 
klagt werden; aktive Parteifähigkeit besitzt er je- 
doch nicht. 
8. Vereinigungsrecht der gewerb- 
lichen Unternehmer. Um den Arbeiter- 
berufsvereinen gegenüber ihre Interessen zu wahren 
und besonders einer Verteuerung der Produktions- 
kosten vorzubeugen, organisieren sich die Arbeit- 
geber eines Gewerbes in Unternehmerverbänden. 
Die Arbeitgeberkoalitionen haben ihren Schwer- 
punkt im Großbetrieb, besonders in den Industrie- 
zweigen, bei denen qualifizierte Arbeiter in Frage 
kommen, die durch ihre Arbeitsweigerung ganze 
Betriebe stilllegen können. Als Zentrale für eine 
Organisation der Arbeitgeber, namentlich der 
schweren Industrie, kommt der Zentralverband 
deutscher Industrieller in Betracht, der 1904 die 
Hauptstelle deutscher Arbeitgeberverbände begrün- 
dete. Der „Verein deutscher Arbeitgeberverbände“"
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.