791 Vereins= und Versammlungsrecht. 792
disziplin, dem Staat vermöge der Beamtendisziplin nichtdeutscher Muttersprache vorhanden find, der
und in seinen privatrechtlichen Beziehungen ver= Mitgebrauch (auch als ausschließlicher) einer nicht
möge des Vertragsrechts unbenommen bleiben,
jugendliche Personen, Beamte und vertragsmäßig
angenommene Personen von der Teilnahme an
bestimmten Vereinen und Versammlungen fernzu-
halten“. Erklärung des Staatssekretärs in der
Sitzung des Reichstags vom 9. Dez. 1907. Die
Richtigkeit dieser Auffassung ist bestritten. Es wird
die entgegengesetzte Auffassung vertreten, daß
„privatrechtliche Abmachungen, wodurch ein
Teil sich verpflichtet, von dem wichtigen Staats-
bürgerrecht der Vereinigung und Versammlung
nicht oder in bestimmtem Sinn nicht Gebrauch
zu machen, als gegen die guten Sitten verstoßend
(§ 138 B.G.B.) und deshalb als nichtig ange-
sehen werden müßten. . ..“ Jedenfalls sind solche
Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
dann nichtig, wenn sie in Ausbeutung einer Not
oder Zwangslage erfolgen.
Im übrigen dürfen die Zwecke der Vereine oder
Versammlungen den Strafgesetzen nicht zuwider-
laufen. In Betracht kommen hier vor allem die
§§8 128 und 129 St.G. B. — Teilnahme an ver-
botenen Verbindungen. Außerdem finden die all-
gemeinen sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des
Landesrechts Anwendung, soweit es sich um die
Verhütung unmittelbarer Gefahr für Leben und
Gesundheit der Teilnehmer an einer Versammlung
handelt (§ 1, Abs. 1 und 2).
1. Beschränkungen der Vereins= und
Versammlungsfreiheitim R.V.C. selbst.
a) §7: Offentliche Versammlungen unter freiem
Himmel und Aufzüge auf öffentlichen Straßen
oder Plätzen bedürfen der Genehmigung durch die
Polizeibehörde. Nichtöffentliche Versammlungen
unter freiem Himmel bedürfen somit keiner Ge-
nehmigung.
Auch nichtpolitische öffentliche Versammlungen
müssen somit genehmigt werden. Die Genehmi-
gung ist mindestens 24 Stunden vor Beginn
unter Angabe von Ort und Zeit nachzusuchen.
Sie darf nur versagt werden, wenn eine Gefahr
für die öffentliche Sicherheit zu befürchten ist.
Immer müssen Tatsachen vorliegen, welche die
Befürchtung des Eintritts von Störungen für den
gegebenen Fall rechtfertigen.
b) § 12: Die Verhandlungen in öffentlichen
Versammlungen sind in deutscher Sprache zu
führen.
Ausnahmen: 1. Auf internationalen Kongressen
(§ 12, Abs. 2).
2. In Versammlungen der Wahlberechtigten zum
Betrieb der Wahlen für den Reichstag und die ge-
setzgebenden Versammlungen der Bundesstaaten
und Elsaß-Lothringen (§ 12, Abs. 2). Diese Aus-
nahme gilt also nicht für Wahlversammlungen zur
Gemeindevertretung und zu den sozialen Körper-
schaften: Gewerbegericht, Krankenkassen usw.
3. Bis zum Jahr 1928 ist weiter in einzelnen
Landesteilen, in denen zur Zeit des Inkrafttretens
dieses Gesetzes alteingesessene Bevölkerungsteile
deutschen Sprache gestattet, sofern die Landesteile
mehr als 60% — nach dem Ergebnis der jeweilig
1 letzten Volkszählung — aller eingesessenen Bevöl-
kerungsteile nichtdeutscher Muttersprache aufweisen.
In diesem Fall aber ist die Versammlung 72 Stun-
den vorher unter Angabe der betreffenden nicht-
deutschen Sprache anzumelden (§ 12, Abs. 3).
4. Die Landesgesetzgebung kann weitere Aus-
nahmen zulassen (§ 12, Abs. 4).
c) Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht
vollendet haben, dürfen nicht Mitglieder von poli-
tischen Vereinen sein und weder in den Versamm-
lungen solcher Vereine noch in öffentlichen politi-
schen Versammlungen anwesend sein (§ 17). Wie
ausgeführt, ignorieren die Gewerkschaften sowohl
den § 3 über die Vereine wie den § 5 über die An-
meldepflicht der öffentlichen politischen Versamm-
lungen, und zwar gestützt auf den § 6, Abs. 8.
Die Arbeiter= und Arbeiterinnenvereine können
sich auf denselben Standpunkt stellen, müssen.
es tun, wenn sie nicht auf die Jugendlichen unter
18 Jahren verzichten wollen. Macht man den
Vereinen oder ihren Mitgliedern unter 18 Jahren
auf Grund des Strafparagraphen 18, Ziff. 5
und 6 N.V.G. Schwierigkeiten, so muß man es
auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen lassen,
gestützt auf den § 6, Abs. 3 mit seiner Einengung
des Begriffs „politische Angelegenheiten“.
2. Beschränkungen in andern Reichsgesetzen
und die sonstigen dasöffentliche Ver-
eins= und Versammlungsrecht berüh-
renden Vorschriften.
In Betracht kommen:
1) Das Wahlgesetz für den deutschen Reichstag
vom 31. Mai 1869 (Befugnis der Wahlberechtigten
zur Bildung von Vereinen und Abhaltung unbe-
waffneter öffentlicher Versammlungen zum Betrieb
von Wahlangelegenheiten), wovon Abs. 2 aufge-
hoben; 2) §. 152 der Reichsgewerbeordnung (Auf-
hebung aller Koalitionsverbote) und § 153 (Straf-
# barkeit der gewaltsamen Bestimmung zur Teilnahme
an Streiks); 3) Art. 68 der Reichsverfassung (Er-
klärung des Belagerungszustands auf Grund des
preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851); 4) 85 110
bis 116 des Reichsstrafgesetzbuchs (Widerstand
gegen die Staatsgewalt), §8§ 124, 125, 127/129
daselbst (Vergehen gegen die öffentliche Ordnung);
5) §49, Abs. 2 des Militärgesetzes vom 2. Mai
(1874 (Verbot der Teilnahme an politischen Ver-
einen und Versammlungen für Militärpersonen des
aktiven Heers) in Verbindung mit den Strafbe-
stimmungen der §§ 92, 93, 101, 113 des Militär-
strafgesetzbuchs; 6) § 101 des Militärstrafgesetzbuchs
(Verbot unbefugter Einberufung einer Versamm-
lung von Personen des Soldatenstands zur Be-
ratung von militärischen Angelegenheiten oder
Einrichtungen); 7) das Reichsgesetz vom 4. Juli
1872 (Verbot von Niederlassungen der Gesellschaft
Jesu und verwandter Orden); 8) 8§ §1 und 149
des Reichsgesetzes betr. die Erwerbs- und Wirt-
schaftsgenoffenschaften vom 1. Mai 1889 bzw.
I4. Juni 1898 (Befugnis der Landesbehörde zur