Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Das gleiche kann von der Invalidenversicherung 
nicht behauptet werden; im Gegensatz zur Kranken- 
versicherung ist sie nur ganz wenig im Lauf der 
letzten Jahre vorwärts gekommen. Sie wird von 
ungefähr 25 deutschen Versicherungsanstalten be- 
trieben. 
Die Unfallversicherung hat sich ähnlich 
wie die Krankenversicherung infolge der Propa- 
ganda, welche durch Einführung der staatlichen 
Arbeiterunfallversicherung gemacht wurde, blühend 
weiterentwickelt. Insbesondere erfreut sich die 
Kollektivunfallversicherung einer lebhaften Inan-- 
spruchnahme. Sowohl durch die staatliche Arbeiter- 
unfallversicherung wie durch die private Unfall- 
versicherung ist ganz besonders die Unfallverhütung 
durch die Unfallverhütungsvorschriften gefördert 
worden. 
Einen ganz bedeutenden Zweig der privaten 
Versicherung bildet die Haftpflichtversiche- 
rung, welche in Deutschland namentlich durch 
das Haftpflichtversicherungsgesetz von 1871 und 
die Haftpflichtparagraphen des B.G.B. von 1900 
in Aufschwung kam. Die wirtschaftliche und so- 
ziale Bedeutung der Haftpflichtversicherung be- 
steht besonders darin, daß sie gegen Fahrlässigkeit 
und Nachlässigkeit ankämpft, da ja jede Person 
durch eignes Verschulden in Verlegenheit kommen 
kann. Daß mitunter infolge der Haftpflichtgesetz- 
gebung sehr eigenartige Rechtsansprüche gestellt 
wurden und noch werden, soll dabei nicht ge- 
leugnet werden. 
Von den kleineren Versicherungs- 
zweigen verdienen die Glasversicherung, die 
Wasserleitungsversicherung, die Sturmschädenver- 
sicherung, die Einbruchdiebstahlversicherung, die 
Kursverlustversicherung, Kredit-, Hypotheken= und 
Unterschlagungsversicherungbesondere Erwähnung. 
Von größtem wirtschaftlichen und sozialen Wert 
ist die Rückversicherung. Es werden wohl 
heutzutage keine größeren Risiken bei keiner Ver- 
sicherungsbranche übernommen, für welche nicht 
Rückendeckung in einer Rückversicherung gesucht 
wird. Über die Tätigkeit einer Rückversicherungs- 
gesellschaft mag folgendes Beispiel eine Illustra- 
tion darbieten: Eine Lebensversicherung im Wert 
von 100000 M wird von einer Gesellschaft 
akqueriert, jedoch beispielsweise nur mit 20 O00 M 
getragen, während 80 000 Al an eine Rückver- 
sicherungsgesellschaft weitergegeben werden, welche 
vielleicht das Risiko wiederum an weitere Rück- 
versicherer zu je 10 000 MI weitergibt. Für die 
Tragung des Risikos bzw. der Risikoanteile müssen 
natürlich Prämienanteile seitens der kassierenden 
Gesellschaft bezahlt werden. Stirbt der Ver- 
sicherte unerwartet früh, so werden die rückver- 
sichernden Gesellschaften nach ihrem Anteil zur 
Risikodeckung herangezogen. 
VI. Der Staat und das Bersicherungs- 
wesen. Im „Entwurf eines Handelzgesetzbuchs 
für die preußischen Staaten“ von 1857 war das 
Versicherungsrecht mit Ausschluß der Seeversiche- 
Versicherungswesen. 
  
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rung geregelt. Nachdem jedoch diese Partie in der 
ersten Lesung des Entwurfs zurückgestellt war, 
wurde sie in der dritten Lesung abgelehnt aus 
formellen Gründen sowie mit dem Hinweis dar- 
auf, daß „legislatorische Eingriffe in die unter 
den verschiedensten Verhältnissen und Einrich- 
tungen teils bei Privatgesellschaften teils bei öffent- 
lichen Anstalten bestehenden Assekuranzbestim- 
mungen und Statuten an sich sehr bedenklich" 
seien. Daher fand auch im Deutschen Handels- 
gesetzbuch das allgemeine Versicherungsrecht keinen 
Platz. Auch in Bayern wurde 1861 der Versuch 
gemacht, das Versicherungswesen zu regeln. Je- 
doch erlangte der „Entwurf eines bürgerlichen 
Gesetzbuchs für das Königreich Bayern“ (Art. 800 
bis 829) ebensowenig Gesetzeskraft wie der sog. 
Dresdener Entwurf eines allgemeinen deutschen 
Gesetzes über Schuldverhältnisse (1863), in den 
auch das Versicherungsrecht ausgenommen war 
(Art. 894/921). War bis jetzt alles gescheitert, 
so beschäftigten sich der dritte (1865) und vierte 
(1868) deutsche Handelstag eingehend mit der 
Versicherungsgesetzgebung. Von der privatrecht- 
lichen wollten sie jedoch nichts wissen, da hier die 
Autonomie genüge, „um die Rechte und Pflichten 
der Parteien in einer den beiderseitigen Inter- 
essen entsprechenden Weise klar zu bestimmen“. 
Der 16. Kongreß deutscher Volkswirte (1875) 
verlangte zwar auch einen privatrechtlichen Teil 
der Versicherungsgesetzgebung, jedoch sollten diese 
Bestimmungen nur subsidiär sein und das freie 
Vertragsrecht nicht beschränken. Fast den näm- 
lichen Beschluß faßten auch (1876) der Verband 
deutscher Privat -Feuerversicherungsgesellschaften, 
der Verein deutscher Lebensversicherungsgesell- 
schaften und der internationale Transportversiche- 
rungsverband. Auf diese Weise wurden der pri- 
vatrechtlichen Reglung immer neue Schwierig- 
keiten bereitet. Es war daher auch natürlich, daß 
das Rundschreiben des Reichskanzlers an die 
Bundesregierungen vom 4. Aug. 1879 nur die 
öffentlich-rechtliche Seite der Versicherungsgesetz- 
gebung berührte. Außer den genannten Ent- 
würfen kamen noch in Betracht die Bestimmungen 
des „Allgemeinen Landrechts für die preußischen 
Staaten“ (88 1934/2358) und des „Entwurfs 
eines Handelsgesetzbuchs für das Königreich Würt- 
temberg“ (Art. 428/533). Das B. G. B. sah keine 
Reglung des Versicherungswesens vor. Inzwischen 
ist per 1. Jan. 1910 das Versicherungsvertrags- 
gesetz in Kraft getreten. 
Ein gewisses Aufsichtsrecht des Staats über 
das Versicherungswesen kann nicht in Abrede ge- 
stellt werden, da der Staat die Pflicht hat, seine 
im Handelswesen unerfahrenen Glieder vor Über- 
vorteilung zu schützen. Die Frage, ob das Ver- 
sicherungswesen öffentlich-rechtlich geordnet werden 
oll, wird denn auch heute fast überall in be- 
jahendem Sinn entschieden. Anders liegt die 
Sache, wenn gefragt wird, wie dies geschehen 
solle. Wenn nur die jährliche Veröffentlichung 
 
	        
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