Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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beamten dürfe doch die Selbstübernahme der Ver- 
antwortung für ihre wirtschaftliche Zukunft zuge- 
mutet werden. 
Inder Arbeitslosenversicherung wird die Privat- 
unternehmung der öffentlichen, staatlichen oder 
gemeindlichen jederzeit gern die Vorhand lassen. 
Die Arbeitslosenversicherung hat jedoch auch als 
staatliche oder gemeindliche Versicherung mit äußerst 
großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ahnlich ist es 
mit der Mutterschaftsversicherung bestellt. Hier ist 
kein Feld für die Privatversicherung. Sie ist heute 
immer noch Problem und ihre Verwirklichung 
dürfte, auch falls sie der Staat betreiben wollte, 
heute noch nicht genügend gereift sein. 
Auch Professor Dr Otto v. Zwiedineck weist 
in seinem Referat auf dem gleichen Kongreß auf 
die Belebung hin, welche der öffentlichen Versiche- 
rung durch die Konkurrenz der privaten angedeihen 
konnte. „Individualisierung der Risiken nach 
Maßgabe der verschiedenen Gefahrkategorien und 
Herbeiführung einer Zusammensetzung des Ver- 
sicherungsbestands, die eine vollkommenere Aus- 
gleichung der Schadengefahr erwarten ließ und 
tatsächlich bewirkte, das waren die Errungen- 
schaften, mit denen die Privatversicherung auf den 
Plan trat.“ — Die belebende Konkurrenz der 
privaten mit der öffentlichen Versicherung ist auch 
jederzeit allseits anerkannt worden. Die Indivi- 
dualisierung der Privatversicherungsanstalten hat 
auf die staatliche Versicherung eingewirkt, und die 
unterschiedliche Behandlung der einzelnen Risiken 
hat auf die Versicherten ebenfalls erzieherisch gewirkt, 
indem sie beispielsweise durch bauliche Verbesse- 
rungen die Prämien zu erniedrigen bestrebt sind. 
Die Frage der Differenzierung der Tarife, die 
Klassifizierung der Risiken veranlaßt Zwiedeneck 
zu einer Untersuchung, deren Ergebnis ihm die 
Forderung als berechtigt erscheinen läßt, einen 
Risikoausgleich zwischen ungleichen Risiken ohne 
vollständige proportionale Abstufung des 
Versicherungsentgelts zu erstreben. „Die denkbar 
höchste Stufe von Individualisierung müßte eine 
Berechnung der Prämien ergeben, die dem Ver- 
sicherten eine solche Beitragsleistung auferlegt, 
durch die er selbst und allein für den Schaden 
aufkäme, bis derselbe eintritt.“ Das wäre natür- 
lich die Negation der Versicherung, welche doch 
die Risiken auf möglichst viele Schultern ver- 
teilen will. 
Eine Abgrenzung der Arbeitsgebiete für die 
Schadenversicherung für beide Organisationsfor- 
men, für die öffentliche und für die private Ver- 
sicherung, könnte etwa nach der Risikenqualität vor- 
genommen werden, wobei die Privatversicherung 
durch möglichst weitgehende Anpassung der Prämie 
an das Risiko dem Versicherungslustigen entgegen- 
kommen könnte, während die staatliche Versicherung 
mehr kollektivwirtschaftlich einem weniger scharf 
differenzierten Risikenbestand zustreben wird. 
Bei der Lebensversicherung haben sich die Gren- 
zen zwischen staatlicher und privater Unternehmung 
Versicherungswesen. 
  
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so festgelegt, daß man heute das Gebiet der so- 
zialen bzw. Arbeiterversicherung nur mehr dem 
Staat, der Individualversicherung der Privat- 
unternehmung zuweist. Wesentliche Eigentümlich- 
keiten der sozialen Versicherung sind vor allem der 
Mangel an einer Auslese der Risiken und der Ver- 
sicherungszwang für die in Betracht kommenden 
Personen und Personengruppen. Durch die gesetz- 
liche Festlegung der Bestimmungen für die soziale 
Versicherung ist dieselbe in ihrer Bewegungsfrei- 
heit sehr behindert. 
Bezüglich der Abgrenzung der Wirkungsgebiete 
der sozialen Versicherung ist im Lauf der Zeit eine 
Verschiebung eingetreten, indem man nicht mehr 
bloß die Unselbständigkeit im Beruf als Kriterium 
der Erfassungsmöglichkeit zur Sozialversicherung 
hinstellt, sondern in Rücksicht auf den Mittelstand 
auch seine Angehörigen zum Teil, wie Landwirte, 
Kleinkaufleute usw., in die Sozialversicherung 
hereinzieht. Natürlich ist der Kreis der Versiche- 
rungspflichtigen und Versicherungsberechtigten der 
Sozialversicherung von größter Wichtigkeit für die 
Tätigkeit der Privatversicherung, der große Ar- 
beitsgebiete entzogen werden können. Freilich wird 
durch die soziale Versicherung der Versicherungs- 
sinn ganz bedeutend geweckt, und die im Wohl- 
stand steigende Bevölkerung, namentlich ist dies 
bei Industriearbeitern zu beobachten, sorgt weiter- 
hin, durch die Versicherung für die Zukunft vor- 
zusehen. Gerade die bedeutende Zunahme der 
Volksversicherung in den Kreisen der Industrie- 
arbeiter in der letzten Zeit ist ein Beweis für das 
Streben der Arbeiterschaft, den einmal geweckten 
Versicherungssinn auch in der Privatversicherung 
zu betätigen. Allerdings wird der Staat immer 
mehr darauf bedacht sein, sein Versicherungswesen 
weiter auszudehnen, und zwar wegen der Indi- 
vidualisierung der Risiken und damit der Prämien 
seitens der Privatversicherung, wegen der hohen 
Aquisitionskosten namentlich der Volksversicherung. 
Wie die Beziehungen der öffentlichen und der 
privaten Versicherung in der Zukunft sich gestalten 
werden, läßt sich nicht näher feststellen. Wird der 
Staat dieses Gebiet der Volksversicherung oder die 
Versicherung „der minderwertigen Leben“ über- 
nehmen? Erstere vielleicht, letztere wohl kaum; die 
Privatversicherung wird gerade in der Frage der 
Versicherung der „minderwertigen Leben“ eine der 
ernstesten, aber auch schwersten Aufgaben der Zu- 
kunft zu lösen haben. 
VII. Finanzen der Persicherungsgesell- 
schaften. Um die Spekulation tunlichst bei der 
Anlage der Versicherungskapitalien im Interesse der 
Versicherungsnehmer auszuschalten, sind von Auf- 
sichtswegen Vorschriften erlassen. Das deutsche 
Aussichtsgesetz hat die Anlage der Prämienreserven 
der Lebensversicherungsgesellschoften besonders ge- 
regelt (§§ 59 und 60); die Anlage kann nur in 
solchen Werten erfolgen, welche den im Aussichts- 
gesetz angegebenen Erfordernissen entspricht; mün- 
delsichere Hypotheken und Grundschulden, Wert-
	        
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