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sicherungsagenten“ betr. 88 des V. V. G. vom
1. Jan. 1910.
Im Lauf der Zeit bildeten sich Versiche-
rungsnehmerverbände, auch Schutzverbände
genanni, in deren Organisation die Versicherungs-
konsumenten gegenüber den Versicherungsprodu-
zenten zusammengeschlossen werden. Die Ver-
sicherungsnehmerschutzverbände können sehr viel zur
Aufklärung des Publikums beitragen, da jenen
erfahrungsgemäß als „nicht interessierter Partei“
das Vertrauen der Versicherungsnehmer zuge-
wendet ist. Falls jedoch Gewinnabsichten und
Erwerbszwecke verfolgt werden, sind derartige
Aufklärungsgesellschaften entschieden zurückzu-
weisen. In neuerer Zeit sind neben dem Haft-
pflichtschutzterband der Deutsche Versicherten-
schutzouerband in Leipzig und der Deutsche
Feuerversicherungsschutzverband ins Leben gerufen
worden.
Diesen Versicherungsnehmerverbänden gegen-
über sind zum Teil früher schon Unternehmer-
verbände der Versicherer entstanden. Diese Ver-
sicherungsunternehmerverbände sind nur Ver-
einigungen zu dem Zweck, einander Mitteilung
über gemeinsame Interessen berührende Verhält-
nisse zu machen (Mitteilungsverbände), oder
Vereine, deren Mitglieder für bestimmte Risiken
bestimmte Normen mittels gemeinsamen Bedin-
gungen und Tarifen aufstellen. Die Versicherungs-
unternehmerverbände wollen also den schranken-
losen, ungezügelten Wettbewerb mit übermäßigen
Unterbietungen beseitigen und an dessen Stelle
gesunde Konkurrenz und eine entsprechende Leistung
und Gegenleistung abwägende Geschäftsführung
setzen. Für die Feuerversicherungsgesellschaften
besteht die Vereinigung der in Deutschland arbei-
tenden Feuerversicherungsgesellschaften und der
Verband der Feuerversicherungen auf Gegenseitig-
keit, auf dem Gebiet der Lebensversicherung be-
stehen der (größere) Verband Deutscher Lebens-
versicherungsgesellschaften und der (kleinere) Verein
Deutscher Lebensversicherungsgesellschaften; wäh-
rend ersterer im besondern gegenüber den Behörden
und den Parlamenten, sowie der Offentlichkeit
und den Vertrauensärzten der Lebensversicherung
die Interessen der ihm angeschlossenen Lebens-
versicherungsgesellschaften zu wahren bestrebt ist,
hat sich letzterer mehr die technische Fortbildung
der Lebensversicherung zur Aufgabe gemacht. In
der Unfall= und Haftpflichtversicherung besteht ein
Tarifsyndikat sowie ein sog. Unfall- und Haft-
pflichtverband, für die Transportversicherungs-
gesellschaften ist der Internationale Transport-
versicherungsverband gegründet worden und für
die Aktien-- und Gegenseitigkeitsgesellschaften in der
Vieh= und Hagelversicherung bestehen ebenfalls
jeweilige getrennte Organisationen.
910 ist (auf Betreiben des Generaldirektors
der Bayrischen Versicherungsbank in München,
v. Rasp) ein Zusammenschluß sämtlicher Ver-
sicherungsunternehmerverbände erreicht worden;
Versicherungswesen.
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die neue Organisation benennt sich „Vereinigung
der deutschen Privatversicherung“.
X. Das Persicherungswesen und die
Wissenschaft. Das Verdienst, für die Versiche-
rungswissenschaft zum erstenmal energisch ein-
getreten zu sein, gebührt den Gründern des Göt-
tinger Versicherungsseminars, den Professoren
Lexis und Ehrenberg, und den Gründern des
Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft,
Emminghaus, Gerkrath und Hahn. Die Ver-
sicherungswissenschaft umschließt Zweige der Rechts-
und Wirtschaftswissenschaft, der Mathematik und
der Naturwissenschaft, sowie der Versicherungs-
medizin. England ist mit der Gründung des
Institute of Actuaries (1849) dem Deut-
schen Reich in dieser Beziehung weit voraus-
geschritten; es ist dies dadurch zu erklären, daß in
England die Lebensversicherung schon früh Ver-
breitung in der Offentlichkeit gefunden hat. Die
Aktuarwissenschaft wird in England vorzüglich
gepflegt und erfreut sich desgleichen in Amerika
eitens der Leb sicher thematiker regster
Förderung. Nach dem Muster der englischen
Aktuarakademie ist in Frankreich der Verein der
französischen Aktuare, in Schottland die Fakultät
für Versicherungsaktuare, in Holland die Aktuar-
vereinigung, in Neuyork die Aktuargesellschaft von
Amerika und 1868 in Deutschland das Kollegium
für Lebensversicherungswissenschaft gegründet wor-
den. Dieses Kollegium war jedoch nicht besonders
lebensfähig. Mitte der 1890er Jahre ist nach der
Gründung des Seminars für die Versicherungs-
wissenschaf an der Universität zu Göttingen der
„Deutsche Verein für Versicherungswissenschaft"
in Berlin ins Leben getreten. Die Zeitschrift des
genannten Vereins, „Zeitschrift für die gesamte
Versicherungswissenschaft“, hat die Aufgabe, in
zwangsloser Reihenfolge alles Wissenswerte und
alle Erscheinungen auf dem Gebiet des Versiche-
rungswesens wissenschaftlich zu erforschen und zu
klären.
Die internationale Organisation für die Ver-
sicherungswissenschaft ist 1895 gegründet worden,
und zwar in Brüssel: der internationale Kongreß
für Versicherungswissenschaft. Bisher haben sechs
derartige internationale Kongresse getagt, und zwar
1895 in Brüssel, 1898 in London, 1900 in
Paris, 1903 in Neuyork, 1906 in Berlin, 1909
in Wien. Der nächste Kongreß soll 1912 in
Amsterdam stattfinden.
Derversicherungswissenschaftliche Unterricht wird
an den einzelnen Universitäten und an den Han-
delshochschulen gepflegt; er findet eine besondere
Pflege im Göttinger und im Münchener Versiche-
rungsseminar.
X. Literatur. Geschichte. Masins, Gesch, der
Versicherungen in Deutschland, in Masius' Rund-
schau des V.8, Jahrg. VIII (1858); ders., Beitrag
zur Gesch. des U.#8 , in seiner Rundschau XII
(1862); ders., Lehre der Versicherung u. statist.
Nachweise aller Versicherungsanstalten in Deutsch-