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ausgeübt wird zum Schutz von Personen und
Eigentum sowie zur Förderung der gesamten
geistigen und materiellen Interessen des Staats
und seiner Einwohner. Mit dem Wesen eines
Rechtsstaats unvereinbar wäre es, wenn diese
Tätigkeit sich in rein willkürlich gewählten Bahnen
bewegen dürfte; der Rechtsstaat trägt vielmehr in
sich die unerläßliche Forderung, daß jene Tätig-
keit entweder, insoweit auf sie bereits bestehende
Gesetze bezogen werden können, nach Maßgabe
dieser Gesetze ausgeübt wird, oder doch mindestens,
soweit es an gesetzlichen Normen fehlt, innerhalb
der vom Recht gezogenen Schranken bleibt. Hier-
nach umfaßt das Verwaltungsrecht die Gesamtheit
der Normen, welche den Organen der Staats-
gewalt bei Lösung der ihnen durch die Handhabung
der Verwaltung zufallenden und dem Begriff der
Verwaltung entsprechenden Aufgaben zur Richt-
schnur dienen sollen.
Eine wesentliche Forderung der konstitutionellen
Staatsverfassung geht dahin, daß jede Entschei-
dung und Verfügung der Verwaltungsbehörden
entweder dem Gesetz entspricht oder doch nicht
gegen dasselbe verstößt, daß also die Staatsgewalt
nach Form und Inhalt eine rechtlich bestimmte ist
und daß die Privatpersonen auch der Staatsgewalt
gegenüber den Schutz des Rechts genießen. Zur
Durchführung dieses Rechtsschutzes auch dem Staat
gegenüber ist das Vorhandensein einer wohlgeord-
neten Rechtspflege unerläßlich. Soweit freilich der
Staat in seiner Eigenschaft als Fiskus auftritt,
bedarf es eines besondern Organs zur Entschei-
dung der dabei vorkommenden Rechssstreitigkeiten
nicht, da der Staat hier, wie jedes andere Rechts-
subjekt, den ordentlichen Gerichten unterworfen
sein muß. Sobald aber der Staat in Ausübung
seiner Gesetzgebungs= oder Regierungsgewalt tätig
wird, fragt es sich, ob er auch hierfür gerichtlich
in Anspruch genommen werden kann, bejahenden-
alls an welcher Stelle und in welcher Weise. Der
souveränen Macht des Staats würde es wider-
sprechen, wenn der Staat in Bezug auf seine Ge-
setzgebung einer richterlichen Entscheidung unter-
worfen werden dürfte. Anders dagegen verhält
es sich mit den Willensbetätigungen des Staats,
die seiner Vollziehungs= oder Regierungsgewalt
entspringen. Hier hat die Staatsgewalt nicht
absolut freie Hand; da sie sich innerhalb der durch
die Gesetze gezogenen Schranken halten muß, so
ist es vernunftgemäß, wenn der Staat dafür
Sorge trägt, daß Organe bestehen, die darüber zu
urteilen berufen sind, ob die gesetzlichen Schranken
nicht überschritten sind, mit andern Worten, ob
jene Außerungen nicht gegen Recht und Gesetz
verstoßen. An sich wäre es nicht undenkbar, daß
diese Prüfung von den ordentlichen Gerichten
ausgeübt würde. Da hiergegen jedoch praktische
Erwägungen sprechen, so haben fast alle deutschen
Staaten in neuerer Zeit für die in Rede stehenden
Angelegenheiten besondere Gerichte, die sog. Ver-
waltungsgerichte, geschaffen. Diesen ob-
Verwaltungsrecht usw.
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liegt es, die Streitigkeiten zu schlichten, welche
entweder über öffentlich-rechtliche, auf bestimmten.
objektiven Rechtsvorschriften basierende Ansprüche
und Pflichten entstehen oder die Aufrechterhaltung
der öffentlichen Rechtsordnung, namentlich die Ein-
haltung der verschiedenen Zuständigkeitsgrenzen
zum Gegenstand haben. Fehlt es bei Verwaltungs-
handlungen an bestimmten Rechtsvorschriften (wie
es unter Umständen der Fall sein kann, wenn die
Verwaltungsbehörden nach freiem Ermessen ent-
scheiden müssen), so erscheint hier eine gerichtliche
Entscheidung nicht angebracht, weil die Aufgabe
des Richters dahin geht, Recht nach dem Gesetz
zu sprechen. In solchen Fällen kann daher fast
überall der Verwaltungsakt nur im Weg der Be-
schwerde bei der der betreffenden Behörde überge-
ordneten Instanz angegriffen werden. Weil letztere
gewöhnlich durch Beschluß über die Beschwerde
entscheidet, spricht man in diesen Fällen von Be-
schlußsachen im Gegensatz zu den Verwaltungs-
streitsachen, über welche bie Verwaltungsgerichte
durch Urteile zu entscheiden pflegen.
Das Deutsche Reich als solches hat sich
darauf beschränkt, Verwaltungsgerichte nur für
bestimmte Verwaltungszweige einzusetzen, nämlich
für Streitigkeiten a) zwischen Armenverbänden,
b) über Anordnungen des Reichseisenbahnamts,
P) über Anordnungen der Festungskommandanten
in Rayonangelegenheiten, d) in Patentangelegen-
heiten, e) über Ansprüche auf Grund der Unfall-
sowie der Invalidenversicherung, f) über Ent-
ziehung der Befugnis zur Ausübung des See-
schiffahrts= oder Steuermannsgewerbes, 8) der
Privatversicherung in den Fällen der §8§ 73/75
des Gesetzes vom 12. Mai 1901.
In den verschiedenen deutschen Bundesstaaten
besteht für die Verwaltungsgerichte hinsichtlich
ihrer Zuständigkeit, ihrer Besetzung und des vor
ihnen Platz greifenden Verfahrens keine völlige
UÜbereinstimmung. Für Preußen sind maß-
gebend die Gesetze über die allgemeine Landes-
verwaltung vom 30. Juli 1883 und über die
Zuständigkeit der Verwaltungs= und Verwaltungs-
gerichtsbehörden vom 1. Aug. 1883. Der Gesetz-
geber hat davon Abstand genommen, einen festen,
allgemeinen Grundsatz über die den Verwaltungs-
gerichten überwiesenen Angelegenheiten oder eine
Definition der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu
geben; es ist vielmehr für die öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten, sei es durch das Zuständigkeits-
gesetz, sei es durch Spezialgesetze, im einzelnen
ausdrücklich oder durch gleichbedeutende Redewen-
dungen bestimmt worden, ob und inwieweit das
Verwaltungsstreitverfahren Anwendung findet.
Wo die Gesetze dieses Verfahren zulassen, ist der
ordentliche Rechtsweg von selbst ausgeschlossen.
Fehlt es an einer bezüglichen Bestimmung, so
kann die behördliche Anordnung nur im Weg der
Beschwerde angegriffen werden. Im allgemeinen
gilt auch hier die bereits oben erwähnte Regel,
daß nur Streitigkeiten über öffentlich-rechtliche