Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Inbegriff der Verhandlungen und Beweise ge- 
schöpsten Uberzeugung zu entscheiden hat. Eine 
mit Gründen versehene Ausfertigung der Ent- 
scheidung wird den Parteien zugestellt. Geht sie 
von einem Kreisausschuß aus, so steht, soweit sie 
nicht gemäß besonderer gesetzlicher Vorschrift end- 
gültig ist oder die statthaften Rechtsmittel in ab- 
weichender Weise geregelt sind, den Parteien und 
ebentuell dem Vorsitzenden des Kreisausschusses 
die Berufung an den Bezirksausschuß zu. Hat 
letzterer in erster Instanz geurteilt, so findet Be- 
rufung an das Oberverwaltungsgericht statt. Die 
Frist zur Einlegung dieses Rechtsmittels beträgt 
regelmäßig zwei Wochen, beginnend mit Zu- 
stellung des Urteils. Für die Form der Berufung 
ist nur vorgeschrieben, daß dieselbe bei dem Gericht, 
gegen dessen Entscheidung die Berufung gerichtet 
wird, schriftlich angemeldet und gerechtfertigt wer- 
den muß. Nachdem dem Berufungsgegner die 
Berufung zur schriftlichen Gegenerklärung zuge- 
fertigt worden ist. gibt jenes Gericht die Verhand- 
lungen an das Gericht der zweiten Instanz ab, 
welches alsdann die Parteien zur mündlichen 
Verhandlung unter der Verwarnung vorladet, daß 
beim Ausbleiben nach Lage der Verhandlungen 
werde entschieden werden; das Gesetz kennt also 
das Versäumnisurteil hier ebensowenig wie in 
erster Instanz; das Gericht kann jedoch auch in 
zweiter Instanz zur Aufklärung des Sachverhalts 
das persönliche Erscheinen einer Partei anordnen. 
Für die mündliche Verhandlung, die Beweis- 
aufnahme, Beweiswürdigung und Urteilsfällung 
beim Berufungsgericht gelten durchweg dieselben 
Grundsätze wie beim Gericht erster Instanz. 
Gegen die von den Bezirksausschüssen in zweiter 
Instanz erlassenen Urteile steht, soweit nicht ge- 
mäß besonderer gesetzlicher Vorschrift diese Urteile 
endgültig oder die gegen sie stattfindenden Rechts- 
mittel in abweichender Weise geregelt sind, den 
Parteien das Rechtsmittel der Revision an das 
Oberverwaltungsgericht mit der Maßgabe zu, 
daß dieselbe nur darauf gestützt werden kann, daß 
1. die angefochtene Entscheidung auf der Nicht- 
anwendung oder auf der unrichtigen Anwendung 
des bestehenden Rechts beruhe; 2. das Verfahren 
an wesentlichen Mängeln leide. Ob und wann 
diese Voraussetzungen gegeben seien, ist im Gesetz 
nicht bestimmt; es entscheidet darüber das Gericht 
nach freiem Ermessen. Für die Form und Frist 
der Revision sowie das Verfahren kommen durch- 
weg die gleichen Vorschriften zur Anwendung, 
welche oben für die Berufung bzw. Klage an- 
geführt sind. 
Weitere ordentliche Rechtsmittel haben die 
maßgebenden Gesetze nicht zugelassen; wohl aber 
kennen sie unter denselben Voraussetzungen, in dem- 
selben Umfang und innerhalb derselben Fristen 
wie die Reichszivilprozeßordnung außerordent- 
liche Rechtsmittel gegen schon rechtzkräftig 
gewordene Urteile, gleichviel, welches Gericht zu- 
letzt über den Streitfall entschieden hat, nämlich 
Verwaltungsrecht ufw. 
  
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die Nichtigkeitsklage bzw. die Restitutionsklage 
(vgl. das Nähere Z.P.O. 8§ 541/552). Zustän- 
dig für beide ist das Oberverwaltungsgericht, 
welches, falls es die Klage für begründet erachtet, 
die angefochtene Entscheidung aufhebt, die Sache 
zur anderweiten Entscheidung an die dazu nach 
der Sachlage geeignete Instanz verweist und die 
Wiederholung oder Ergänzung des Verfahrens 
anordnet (vgl. § 100 des L. V.G.). 
Sobald das Urteil eines Verwaltungsgerichts 
die Rechtskraft erlangt hat, trägt es die Befähigung 
zur Zwangsvollstreckung in sich, ohne daß es erst 
noch, wie ein zivilprozessualisches Urteil, der Voll- 
streckungsklausel bedarf. Die Zwangsvollstreckung 
findet im Weg des Zwangsverwaltungsverfahrens 
tatt und wird vom Vorsitzenden desjenigen Ge- 
richts, welches in erster Instanz entschieden hat, 
verfügt. 
Was endlich die Kosten des Verfahrens an- 
belangt, so hat der unterliegende Teil ein nach 
dem Wert des Streitgegenstands zu bemessendes 
Pauschquantum, welches im Hoöchstbetrag beim 
Kreis= und Bezirksausschuß 60 M, beim Ober- 
verwaltungsgericht 150 MI nicht übersteigen darf, 
zu berichtigen; außerdem werden ihm die baren 
Auslagen des Verfahrens, z. B. Zeugengebühren, 
sowie die erforderlichen baren Auslagen des ob- 
siegenden Teils, z. B. die aus Wahrnehmung des 
Termins erwachsenen baren Unkosten, zur Last ge- 
legt. Die Gebühren eines Rechtsanwalts des ob- 
siegenden Teils hat der unterliegende Teil jedoch 
nur insoweit zu erstatten, als sie für Wahrnehmung 
der mündlichen Verhandlung vor dem Bezirksaus- 
schuß und dem Oberverwaltungsgericht zu zahlen 
sind. Laut § 107 des L. V.G. wird jedoch in be- 
stimmten Fällen Freiheit vom Kosten-Pausch- 
quantum gewährt, z. B. in Armenangelegenheiten 
allen öffentlichen Armen-, Kranken-, Arbeits= und 
Besserungsanstalten, ferner Waisenhäusern und 
milden Stiftungen, soweit sie nicht bloß für ein- 
zelne Familien oder Personen bestimmt sind, 
öffentlichen Volksschulen, gelehrten Anstalten, 
Kirchen, Pfarreien usw., soweit ihre Einnahmen 
die etatsmäßigen Ausgabennichtüberschreiten. Eine 
Vereinfachung des Verwaltungsgerichtsverfahrens 
auf breiter Grundlage ist in Preußen seit 1909 
in die Wege geleitet. Eine besondere Immediat- 
kommission ist mit der Vorberatung beauftragt. 
In Bayern ist ähnlich wie in Preußen das 
Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht all- 
gemein abgegrenzt, vielmehr ist nach der sog. 
Enumerationsmethode den Gesetzen vorbehalten, 
die einzelnen Rechtsverhältnisse, über welche bei 
entstehenden Streitigkeiten die Verwaltungsgerichte 
zu befinden haben, näher zu bezeichnen. Nach den 
diesbezüglichen Gesetzen, insbesondere dem Gesetz 
vom 8. Aug. 1878, beschränkt sich die Verwal- 
tungsgerichtsbarkeit nur auf Streitigkeiten über 
öffentliche Rechte und Pflichten sowie bei Regreß- 
ansprüchen gegen Beamte auf die Entscheidung der 
vorher zu erledigenden Vorfrage, ob der Inan- 
 
	        
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