Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Wagnerschen Staatssozialismus nicht festgehalten. 
In Gr. 17 60 wird ausdrücklich der Kernpunkt 
als unhaltbar abgelehnt. Zahlreiche und wich- 
tige Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens, 
der Kultur, der Sitte und Sittlichkeit sieht der 
Staatssozialismus zwar immerhin als Funktionen 
wirtschaftlicher Verhältnisse an, aber nicht aus- 
schließlich, wie es der marxistische Sozialismus tut, 
ja nicht einmal vorwiegend, sondern nur mit be- 
wirkt bzw. beeinflußt. Umgekehrt betrachtet der 
Staatssozialismus auch die wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse als Funktionen der gesellschaftlichen, sitt- 
lichen usw. Verhältnisse. Weiter bemüht sich 
Wagner nicht um die philosophische Widerlegung 
des historischen Materialismus. Die Lieblings- 
gedanken Wagners in der Kritik des Sozialismus 
sind die psychologischen Konsequenzen, zu welchen 
die extrem-sozialistische Produktions= und Ver- 
teilungsmethode führen muß. (Er sagt: „Der für 
mich persönlich entscheidendste Grund gegen die 
Forderungen des Sozialismus: ein psycholo- 
gischer“; Rektoratsrede 1895, 31.) 
Bezüglich des Eigentumsrechts betont 
Wagner fraglos eine weitgehende Veränderungs- 
möglichkeit des Inhalts und Umfangs des Rechts 
auf Privateigentum. Besonders in dem Werk: 
Volkswirtschaft und Recht (61894), aber auch in 
der „Grundlegung“. Wir heben folgende charakte- 
ristische Außerungen hervor (Gr. 18 60): „Wieder 
unter Benutzung der sozialistischen Kritik und der 
Erfahrungen hinsichtlich des privatwirtschaftlichen 
Systems und seiner Funktion unter dem Rechts- 
grundsatz der freien Konkurrenz hält der Staats- 
sozialismus prinzipiell nur eine beschränkende 
Reglung des Privateigentums an den sachlichen 
Produktionsmitteln, des Vertragsrechts und des 
ganzen privatwirtschaftlichen Systems für not- 
wendig und berechtigt. Gerade dadurch, das er- 
kennt er, soll wieder und muß und kann auch allein 
das Privateigentum als ein doch in erster Linie dem 
Gemeinschaftsinteresse dienstbares Rechts- 
institut und das privatwirtschaftliche System als 
ein ebenfalls zuerst für dieses Interesse fungierendes 
System der ganzen Volkswirtschaft wirklich in den 
Dienst der Gemeinschaft gestellt werden. Wie 
dabei aber im einzelnen Fall vorzugehen ist, ent- 
scheidet der Staatssozialismus nicht nach einfachen 
„Prinzipien“, Thesen", Axiomen“, sondern unter 
steter Berücksichtigung der mitspielenden psycho- 
logischen Faktoren und der praktisch -technischen, 
auch der politischen Seite der Dinge nach ge- 
nauer Untersuchung der konkreten Verhältnisse.“ 
In seiner Rektoratsrede (1895, S. 32) hatte 
Wagner betont: „Das bleibt wahr, daß auch hier 
alles (Wagner sprach gerade von Wirtschafts- 
suostem, Eigentumsordnung, Vertragsrecht) im 
Flusse der Entwicklung steht und stehen muß.“ 
Es erhebt sich nun die Frage: Hat hiermit der 
Wagnersche Staatssozialismus das Privateigen- 
tum nicht bloß in seiner Ausdehnung, sondern 
überhaupt in seiner Existenz der staatlichen Wirt- 
Staatssozialismus. 
  
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schaftspolitik zur souveränen Verbescheidung über- 
antwortet? Oder aber inhäriert der Idee des 
Privateigentums eine Naturnotwendigkeit für die 
Persönlichkeits-, Gesellschafts= und Arbeitsentfal- 
tung der Menschen, so wie sie jetzt nun einmal sind 
(status naturae lapsae), eine Naturnotwen- 
digkeit, welche dem Recht auf Erwerb und Be- 
hauptung von Privateigentum den unvertilgbaren 
Charakter des Vorstaatlichen und Uberstaat- 
lichen, d. h. des Naturrechtlichen, eingeprägt hält, 
ohne jedoch ihm damit die Fähigkeit und die Be- 
stimmung zu nehmen, im Zusammenleben der 
Menschen von einem ordnenden Prinzip (Staat) 
sich modifizieren zu lassen hinsichtlich seiner konkreten 
Entfaltung? Negiert der Wagnersche Staats- 
sozialismus das, was Walter (Art. Eigentum 
Bd I, Sp.1472) sagt? „Die naturrechtliche Be- 
gründung des Privateigentums geht von der An- 
schauung aus, daß eine so allgemeine Erscheinung 
wie das Privateigentum nicht lediglich in der hi- 
storischen Entwicklung ihre genügende Erklärung 
finden kann, daß vielmehr der tiefste Grund hier- 
für in der unveränderlichen vernünftigen 
Menschennatur zu suchen ist.“ Cathrein, der 
in seiner Moralphilosophie II ((1904) 274 von 
einem Recht spricht, „welches jeder Mensch durch 
das natürliche Sittengesetz und nicht erst infolge 
einer menschlichen Verordnung besitzt“, formuliert 
knapp und klar den springenden Punkt gegenüber 
der drohenden Grenzüberschreitung der Eigentums- 
sphäre von seiten der Staatsgewalt: 
„Das Individuum und die Familie mit ihren 
Gur höheren Entfaltung) notwendigen Rechten 
sind älter als der Staat, und zu diesen Rechten 
gehört auch das Recht auf Eigentumserwerb“ 
(Kirchenlexikon XI I/1899) 442). 
Es scheint wohl so, als ob Wagners Staats- 
sozialismus mit diesen naturrechtlichen Gedanken- 
gängen unvereinbar sei, wenn man Wagner folgen- 
des sagen hört (Gr. 15 59 unten): 
„Danach verbleibt ihm auch für einen großen, 
den größten Teil der Volkswirtschaft die Privat= 
eigentumsordnung und die privatwirtschaftliche 
Organisation, wiederum nicht im Interesse der 
Besitzenden, sondern im Gesellschafts= und Volks- 
wirtschaftsinteresse selbst. Freilich verzichtet er da- 
bei auf den Versuch, in der Weise der älteren Dok- 
trinen (der Nationalökonomie, der Rechts= und 
Staatsphilosophie) die Grenzen zwischen Privat- 
und gesellschaftlichem Gemeineigentum, zwischen 
privat= und gemeinwirtschaftlicher Organisation, 
zwischen Individuum und Staat ein für allemal, 
„prinzipiell’ aus dem „Wesen’ — oder dem, was 
man so nennt, sei es des Staats, sei es der In- 
dividualfreiheit — ableiten zu wollen. Denn er sieht 
dieses „Wesen“ selbst und jene Grenzen als etwas 
notwendig und zweckmäßig historisch Veränder= 
liches an.“ 
Aus andern Außerungen kann jedoch festgestellt 
werden, daß Wagner sich nicht in eine absolute 
philosophische Gegnerschaft zur naturrechtlichen 
Begründung des Privateigentums usw. festgelegt
	        
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