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sichert werden. Der hierdurch hervorgerufene über-
raschende Handelsverkehr nach dem Orient wie
auch nach dem Norden führt zur Anerkennung
rechtlicher Normen gerade für den Seeverkehr, zur
Fixierung der bisher üblichen Gewohnheiten in
dem Consolato del mare, den Röles d’Oléron,
dem Seerecht von Wisby u. a.
3. Das 15. und 16. Jahrh., welche den Über-
gang zur Neuzeit vermitteln, weisen eine Reihe von
Ereignissen auf, die das Band der christlich-euro-
päischen Staaten immer enger knüpfen, mehr und
mehr gemeinsame Interessen schaffen, aber auch
die Anerkennung der Gleichberechtigung und Sou-
veränität der Staaten vorbereitet. Die Renais-
sance der klassischen Studien und die Verbreitung
des Humanismus durch die Erfindung der Buch-
druckerkunst unter den Gebildeten aller christlichen
Staaten, die Vollendung der Rezeption des römi-
schen Rechts als eines für alle Völker gültigen
Rechts gibt der Erkenntnis einer Kultur= und
Interessengemeinschaft der christlichen Völker neue
Nahrung. Von den großen überseeischen Ent-
deckungen und der hierdurch hervorgerufenen Ex-
pansion der Weststaaten gilt dasselbe, doch haben
sie zugleich zur Konsolidierung der Staaten und
dadurch zur Entfaltung der modernen Staatsidee
wesentlich beigetragen. Durch die religiöse Spal-
tung der Reformation wird die Einheit des Chri-
stentums zerrissen, kommt die schon früher z. B.
im Kampf Philipps des Schönen gegen Boni-
faz VIII. behauptete Unabhängigkeit und Selb-
ständigkeit, die Souveränität der einzelnen Staaten
gegenüber dem einheitlichen Weltreich und der
Weltkirche mehr und mehr zur Anerkennung. Und
erst dadurch ward die Grundlage für ein aus-
gebildetes Völkerrecht geschaffen. Neben dem Be-
wußtsein der auf der Solidarität der Interessen
beruhenden Gemeinschaft tritt die Idee der Selb-
ständigkeit und rechtlichen Gleichheit der Staaten
und damit auch zugleich der Gedanke des poli-
tischen Gleichgewichts hervor. In dem dem West-
fälischen Frieden vorangehenden Kongreß der
Mächte finden diese Ideen ihre völkerrechtliche
Anerkennung. Der Friede selbst setzt die Gleich-
berechtigung der Konfessionen, die Landeshoheit
der Glieder des Reichs sowie die Unabhängigkeit
der Schweiz und der Niederlande fest.
In die gleiche Zeit ist der Beginn der Wissen-
schaft des Völkerrechts zu setzen, der mit dem
Namen des Hugo Grotius verbunden ist.
Bereits die Postglossatoren, wie insbesondere
Baldus und Bartolus, hatten einige Fragen des
Internationalen Privatrechts behandelt, die Kano-
nisten des 13./15. Jahrh. sich dann insbesondere
mit den Fragen des Kriegsrechts, der Erlaubtheit
des Kriegs, den Mitteln der Kriegführung, be-
schäftigt, denen später zahlreiche Monographien
vom mehr praktischen Standpunkt aus über Ge-
sandtschaftsrecht, Krieg und Kriegführung, Ver-
trags= und Bündnisrecht usw. folgten. Als Vor-
läufer des Grotius sind zu nennen die Domini-
Bölkerrecht.
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kaner Franz. da Vitoria (1480, 1546) und Dom.
Soto (1494/1560), der Großrichter der spanischen
Armee Balthafar Ayala (1548/84) und ins-
besondere der Jesuit Franz. Suarez (1548/1617),
dessen Werke De bello und De legibus noch
heute sehr beachtenswerte Leistungen sind. Ihm
schließt sich auf protestantischer Seite ebenbürtig
der Italiener Albericus Gentilis, Professor in
Oxford (1552/1608), mit seinen Werken De iure
belli und De legationibus an. Beiden Autoren,
den größten „Vorgrotianern“, ist gemeinsam die
Erkenntnis des Daseins einer Interessengemein-
schaft der Staaten, die durch das Völkerrecht zu
schützen sei, und die Betonung internationaler
Pflichten der Staaten im Verkehr miteinander.
Alle diese Leistungen werden übertroffen von dem
insbesondere für die praktische Weiterbildung des
Völkerrechts bedeutsamen, berühmt gewordenen
Werk De iure belli ac pacis (1625) von Hugo
Grotius (de Groot: 1583/1645). Charakteristisch
für ihn ist, daß er die Normen des Völkerrechts
zunächst philosophisch als naturrechtliche Sätze
aus der Vernunft ableitet und sie dann durch
überaus reiches Material, das er dem Zidvilrecht,
der Geschichte des Altertums und Mittelalters,
oder seinen Vorbildern getreu auch aus Bibel und
Tradition entnimmt, als wirklich geltendes posi-
tives Recht beweist.
4. Für die Periode vom Westfälischen
Frieden bis zum Wiener Kongreß ist
maßgebend das Prinzip des europäischen Gleich-
gewichts, nach welchem alle Gebietserwerbungen,
die ein Übergewicht eines Staats den andern
gegenüber begründen würden, entweder von diesem
verhindert werden dürfen oder durch entspre-
chende Gebietserweiterungen oder auch Allianzen
wieder ausgeglichen werden müssen. Es fand seine
ausdrückliche Anerkennung im Utrechter Frieden
(1713), der den Spanischen Erbfolgekrieg be-
endigte und zur Aufrechterhaltung des Gleich-
gewichts die Unvereinbarkeit der Kronen Frank-
reichs und Spaniens erklärte. Im Nystäder
Frieden (1721) tritt Rußland, das die Ubermacht
Schwedens vernichtet hatte, in die Reihe der euro-
päischen Großmächte, dem auf dem Hubertusburger
Frieden (1763) Preußen folgt. Der Friede von
Versailles (1783) endlich erkennt die Unabhängig-
keit der Vereinigten Staaten von Amerika an und
erstreckt damit die Völkerrechtsgemeinschaft über
die Grenzen Europas hinaus. — Die durch den
Westfälischen Frieden anerkannte Gleichberech-
tigung der Staaten und die sie beherrschende
Interessengemeinschaft führte zur Einrichtung und
Ausbildung des Gesandtschaftswesens. Der Kampf
der Seemächte um die Vorherrschaft, der schließlich
gegen die Niederlande, Frankreich und Spanien
zugunsten Englands entschieden wurde, brachte die
allmähliche Entwicklung einer Reihe von Normen
für das Seekriegsrecht und das Recht der Neutralen,
so über Blockade, Konterbande, Prisenrecht, Frei-
heit des Meeres. Die Willkür Englands gegen-