Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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den Vereinsangehörigen berechtigt sind (Nicht- 
mitgliedern kann die Benutzung der Bibliothek 
nach Ermessen der Lokalvereine gestattet werden); 
4) Arbeiler= und Volksbibliotheken sowie die 
Büchereien von Asylen, Krankenanstalten und 
andern Einrichtungen, welche charitativen oder so- 
zialen Zwecken dienen, unterstützt (nach der am 
31. Mai 1900 festgesetzten Geschäftsordnung, § 1). 
Die Organisation des Borromäusvereins schließt 
sich an die Diözesan-, Dekanats= und Pfarrein- 
teilung der katholischen Kirche an. Eine eigent- 
liche Kolportage wird von ihm nicht betrieben. 
Der Borromäusverein kann auf hervorragende 
Leistungen hinweisen. Seine Erfolge haben auch 
protestantischerseits ähnliche Bestrebungen hervor- 
gerufen, wie den Evangelischen Bücherverein, den 
einflußreiche Protestanten Berlins begründeten. 
Das Bücherverzeichnis, das der Borromäusverein 
herausgibt, wurde von Jahr zu Jahr reichhaltiger 
und mannigfaltiger. Die Anlage von Vereins- 
bibliotheken fand noch einen Ausbau dadurch, daß 
in neuerer Zeit in einigen größeren Städten in 
Verbindung mit der Borromäusbibliothek auch 
Lesezimmer mit guten Zeitungen und periodischen 
Schriften eröffnet wurden (Die Gründung und 
Tätigkeit des Vereins vom hl. Karl Borromäus, 
Festschrift zum 50jährigen Jubelfest (1895) 87). 
Der Verein plante auch den Verlag von Schriften, 
indes ist dieser Plan in keinem nennenswerten 
Umfang verwirklicht worden. Großartig ist hin- 
gegen die Tätigkeit, die der Verein besonders in 
den ersten Jahrzehnten seines Bestehens durch 
Subskriptionen auf neue Bücher oder durch feste 
Übernahme derselben in hunderten, bisweilen tau- 
send Exemplaren entfaltete; dadurch wurde die 
Verbreitung hervorragender Werke ermöglicht. In 
neuester Zeit läßt er sich insbesondere die Unter- 
stützung von Arbeitervereinsbibliotheken angelegen 
ein (S. 114). Die beste Anerkennung der Be- 
strebungen und des Erfolgs liegt darin, daß der 
Verein im Ausland, z. B. in Frankreich, Anerken- 
nung und Nachahmung gefunden hat. Auch der 
Salzburger katholische Bücherverein hat den Bor- 
romäusverein in mancher Beziehung zum Vorbild 
gewählt (S. 121). 
Populäre Broschüren, welche zu minimalen 
Preisen einen weiten Absatz finden und direkt in 
unser Wirtschaftsleben eingreifende Zeitfragen in 
  
Volksbildung. 
  
populärer Darstellung behandeln, entsprechen ge- 
wiß einem allgemein gefühlten Bedürfnis. Auf 
katholischer Seite verdienen die Volksschriften des 
Verbands „Arbeiterwohl" (Köln, Bachem) à 20 Pf. 
Erwähnung (Apel S. 105), ferner die Bro- 
schüren, die der Volksverein für das katholische 
Deutschland verbreitet unter dem Titel „Arbeiter- 
bibliothek“. 
Man hat schon die Verbreitung religiösen Lese- 
stoffes getadelt. Das Rezept, meint Volker (S.74), 
Bücher unter das Volk zu verbreiten, die „voll! 
ernsten Glaubens“ und „sittlich-religiöser Ge- 
danken" seien, werde nicht verfangen; man habe 
  
  
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das Volk unter diesem Titel schon zu oft betrogen, 
als daß es in sittlich-religiöser Gesinnung, die 
den höheren Schichten der Bevölkerung vollständig 
fehle, das Heil erblickte. Aber warum sollte man 
den Irrlehren des religiösen Umsturzes nicht auf 
solche Weise begegnen dürfen? Daß die Be- 
kämpfung schlechter Lektüre vielfach von kirchlicher 
Seite geschieht, ist von großem Wert schon des- 
wegen, weil die Kirche das Volk kennt und die 
vorhandene kirchliche Organisation die Wege und 
Agenten für die Verbreitung guter Schriften dar- 
bietet. In Bayern arbeitet besonders in neuester 
Zeit „der katholische Preßverein für Bayern“ 
eifrigst an der Bildung des Volks durch Grün- 
dung von Bibliotheken, Wanderbibliotheken, durch 
belehrende und unterhaltende Vorträge, durch Licht- 
bildervorführungen usw. 
Daß vor allem auch der Jugendliteratur alle 
Aufmerksamkeit geschenkt werden muß, ist ein all- 
gemein anerkanntes Bedürfnis. „Die geschäfts- 
gewandte Spekulation“, beißt es in dem vierten 
Jahresbericht des Vereins für Verbreitung guter 
Schriften in Basel (1894), „hat sich leider auch der 
Jugendliteralur bemächtigt. Die überwuchernden 
Räuber= und Indianergeschichten drohen den 
minder zahlreichen guten Lesestoff nachgerade zu 
ersticken, wirken nicht selten verrohend auf die 
Gemüter und erzeugen verkehrte Begriffe von 
Heldentum, wie so manches Beispiel beweist. In 
der Literatur für junge Mädchen werden in Schil- 
derungen der Empfindung nach der Seite der 
Erotik hin oft Dinge zutage gefördert, die durch- 
aus nicht am Platze sind“ (Apel, Die Verbreitung 
guten Lesestoffs 3; Volker S. 93). 
Das Volk muß für das Verständnis des Werts 
guter Bücher vielfach erst erzogen werden. Wo 
dasselbe fehlt, wird auch die Kolportage nichts 
ausrichten. Es ist dahin zu streben, daß in jede 
Familie der unteren Klassen gute Bücher unent- 
geltlich gelangen. Es gibt so viele Gelegen- 
heiten, wo dies mühelos zu erreichen ist: bei Ent- 
lassung aus der Volks= oder Fortbildungsschule, 
bei Gelegenheit der Erstkommunion bzw. Kon- 
firmation, als Anerkennung besondern Fleißes 
und guter Führung in der Schule. Es sind mit 
solchen Versuchen schon gute Erfolge erzielt wor- 
den. „Vor allem aber sollten Arbeitgeber, Dienst- 
herren usw. ihren Arbeitern, Dienstboten und son- 
stigen Untergebenen Bücher schenken. Prämien für 
gute Leistungen, „Trinkgelder“ für kleine Dienst- 
leistungen könnten in Gestalt von Büchern gegeben 
werden und werden von vielen in dieser Gestalt 
gern angenommen werden. Namentlich aber sollte 
in jedem Haus dem Weihnachtsgeschenk an die 
Dienstboten ein gutes Buch hinzugefügt werden“.. 
(Apel S. 107 #). 
3. Die Volksunterhaltung ist aufs engste 
verbunden mit dem Volksbildungswesen. Wirkt 
die Belehrung unmittelbar auf den Intellekt, so 
soll hier das Gemüt durch Darbietung wirklich 
ästhetischen Genusses veredelt werden. Ja die
	        
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