Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Eine reiche Fundgrube für unsern Gegenstand 
enthalten besonders die Schriften der Zentralstelle 
für Volkswohlfahrt in Berlin (bis 1906 Zentral- 
stelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen); bes. 
kommen hier in Betracht: B. Böhmert, Die Er- 
holungen der Arbeiter außer dem Hause; Apel, 
Die Verbreitung guten Lesestoffs; Böhmert, Die 
zeitgemäße Verwendung der Sonntags= u. Feier- 
zeit; Sohnrey, Wohlfahrtspflege auf dem Land; 
Albrecht, Fünf Jahre praktisch-sozialer Tätigkeit; 
Apel, Die Stellung des Geistlichen zu der Wohl- 
fahrtspflege; Natorp, Die Erziehung des Volks auf 
den Gebieten der Kunst u. Wissenschaft; Fuchs, 
Volkstümliche Hochschulkurse; Stumpf, Auffüh- 
rungen klassischer Musikwerke für den Arbeiter- 
stand; Lichtwark, Die Erziehung des Volks auf 
dem Gebiet der bildenden Kunst; Martius, Die 
schulentlassene Jugend u. der Alkohol; Pache, 
Fortbildungs= u. Fachschulen; Tews, Jugendlite- 
ratur u. Jugendbibliotheken; John, Jugendklubs 
usw. Walter.] 
Volksschulen. II. Name und Begriff. II. Ge- 
schichtliche Entwicklung: 1. Vorchristliche Zeit; 
2. die Schule unter vorwiegend kirchlichem Ein- 
fluß; 3. die Schule als Gegenstand staatlicher Für- 
sorge a) in Deutschland, b) in den außerdeutschen 
Ländern. III. Gegenwärtiger Stand des Volks- 
schulwesens mit besonderer Berücksichtigung Deutsch- 
lands: 1. Aufgabe der Volksschule; 2. öffent- 
liche Stellung (Verhältnis zu Staat, Kirche und 
Gemeinde); 3. Schulverwaltung und Schulaufsicht; 
4. Volksschüler; 5. Schulorganisation; 6. Lehr- 
plan, Disziplin; 7. Volksschullehrer (Vor= und 
Fortbildung, Anstellung, Besoldung, rechtliche 
Stellung, Disziplinarverhältnisse, Austritt aus 
dem Amt); 8. Schulhaus und Schulutensilien; 
9. Schulunterhaltung.)] 
I. Name und Begriff. Unter Volksschule 
versteht man die Lehr= und Erziehungsanstalten, 
durch welche die große Mehrheit des Volks hin- 
durchgeht, um sich jenes Maß allgemeiner Bil- 
dung anzueignen, welches jeder Mensch als Glied 
eines gebildeten Volks ohne Rücksicht auf seine 
künftige besondere gesellschaftliche Stellung nötig 
hat. Was unter solcher allgemeiner Bildung zu 
verstehen ist, sagt der am 14. Jan. 1892 dem 
preußischen Landtag vom Kultusminister Grasen 
v. Zedlitz-Trützschler vorgelegte Schulgesetzentwurf 
in seinem § 1, wo er von der Volksschule religiöse, 
sittliche und vaterländische Bildung und Unter- 
weisung in den für das bürgerliche Leben nötigen 
allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten verlangt. 
Name und Begriff der Volksschule waren dem 
Altertum unbekannt. Im Mittelalter tritt der 
Name „deutsche Schule“ oder „Schreibschule“ auf; 
gegen Ende des 16. Jahrh. erscheint die Bezeich- 
nung Elementarschule oder Muttersprachschule. 
In der neuesten Zeit wird der Name Volksschule 
immer allgemeiner. Er entspricht auch dem Wesen 
dieser Schule am besten. Doch sind vielfach noch 
andere Bezeichnungen im Gebrauch; z. B. nennt 
man die Schulen dieser Art in Osterreich Trivial= 
schulen, in Deutschland Elementarschulen (beson- 
ders im amtlichen Verkehr), in Frankreich, Bel- 
Volksschulen. 
  
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gien, der Schweiz u. a. Primärschulen. Alle diese 
Bezeichnungen umfassen die Schulanstalten, welche 
ausschließlich der vom Staat vorgeschriebenen all- 
gemeinen Schulpflicht dienen. 
II. Geschichtliche Entwicklung. 1. Vor- 
christliche Zeit. Erziehung und Ausbildung der 
Jugend geschah ursprünglich im Schoß der Fa- 
milie. Da aber die meisten Eltern das natur- 
gemäße Streben haben, ihren Kindern ein glück- 
licheres Los zu verschaffen, als sie selbst genießen, 
und gewisse Kenntnisse zur Erreichung einer bes- 
seren Lebensstellung unerläßlich sind, so vermögen 
die Eltern vielfach nicht, ihre Kinder allein zu 
unterrichten. In andern Fällen fehlt es ihnen an 
Zeit und Willen zu diesem schwierigen Geschäft. 
Deshalb finden wir schon zeitig Anstalten, welche 
die Eltern bei der Erziehung der Jugend unter- 
stützen. Bereits die Kulturvölker des Altertums 
besaßen Schulen. Als Hilfsanstalten der Familie 
mußten die Schulen die Zwecke verfolgen, welche 
sich die Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder ge- 
steckt hatten. Aber Kultur ist nur da möglich, wo 
ein Zusammenschluß einzelner zu einer Gesamtheit 
stattfindet. Die staatliche Gemeinschaft 
machte bald ihren Einfluß auf die Ausbildung 
ihrer Angehörigen geltend. Als dritter Faktor trat 
die Kirche mit dem Anspruch auf, ihre Ziele in 
der Schule zu verwirklichen. Nicht immer waren 
Familie, Staat und Kirche in Bezug auf Aufgabe 
und Handhabung der Erziehung eines Sinns. 
Dann kam es zum Kampf um die Schule, der im 
allgemeinen nur dann unterbrochen ward, wenn 
einer der drei Faktoren derartige Macht besaß, 
daß er den Einfluß der andern auf dem Gebiet 
der Erziehung ausschloß. Dabei ist in erster Linie 
nicht an äußere Macht zu denken. Weit wichtiger 
ist die Macht der Idee, die als „Lebensanschauung“ 
in den Köpfen der Menschen herrscht. So hängt 
die Geschichte des Unterrichts mit der Geschichte 
der Philosophie eng zusammen. Für die antike 
Weltanschauung ist die staatliche Gemeinschaft das 
höchste Gut, dem alle individuellen Kräfte dienen 
und alle individuellen Lebenszwecke weichen müssen. 
Daher ist die Erziehung zum Bürger das aus- 
schließliche Ziel der Schule. Gemäß der Eigenheit 
des antiken Staats erstreckte sich die Schulerziehung 
nur auf eine bevorzugte Minderheit, während die 
große Menge der in Sklaverei und Hörigkeit 
schmachtenden Bevölkerung von den Erziehungs- 
anstalten gänzlich ausgeschlossen blieb. Man darf 
also, wenn man von einer „Nationalerziehung“ 
der Perser, Agypter und Griechen spricht, nicht 
an eine Volkserziehung in unserem Sinn denken. 
2. Die Schule unter vorwiegend kirchlichem 
Einfluß. Eine allgemeine Volkserziehung wurde 
erst durch das Christentum möglich. Durch 
die christliche Lehre ist der selbständige Wert der 
Persönlichkeit zur entscheidenden Anerkennung ge- 
bracht und die Übermacht der Gemeinschaft ge- 
brochen worden. Das Christentum lehnt es ab, 
die Persönlichkeit als bloßes Mittel für die Er-
	        
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