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men, doch nur unter Vermittlung des Oberschul-
rats. — Zum Besuch des Religionsunterrichts
kann ein Kind, das keiner Religionsgemeinschaft
oder einer solchen angehört, für welche Religions-
unterricht in der vom Kind besuchten Volksschule
nicht erteilt wird, gegen den Willen des Vaters
oder Erziehungsberechtigten nicht angehalten wer-
den (Art. 1 des Gesetzes). Die Hoöchstschülerzahl
beträgt bei einklassigen Schulen 60, bei mehr-
klassigen 70. Es gibt aber noch 340 Klassen mit
mehr als 90 Schülern. Jede selbständige Ge-
meinde und jeder Teilort einer solchen, der wenig-
stens 30 Familien in sich begreift, muß für sich
allein oder mit andern zusammen wenigstens
eine Volksschule unterhalten. Sinkt die Zahl der
Angehörigen der Konfession dauernd unter die
Zahl von 60 Familien, so ist die Gemeinde nicht
mehr verpflichtet, die Schule der betreffenden
Konfession aus örtlichen Mitteln zu unterhalten
(Art. 3a). Die Gemeinden oder Schulverbände
sind zur Erhebung eines Schulgelds von 1 M
bis zu 3 M für das Jahr berechtigt (Art. 6).
Die erste Ordnung des Schulwesens in Baden
erfolgte durch das Organisationsedikt von 1803,
das 1834 durch eine landesherrliche Verordnung
ergänzt wurde. Die örtliche Schulverwaltung lag
in den Händen der Ortsgeistlichkeit, die oberste
Leitung führten seit 1809 die katholische und die
evangelische Kirchenabteilung im Ministerium des
Innern. 1835 wurden die Schullehrer für Staats-
diener erklärt. Im Jahr 1852 begann der lang-
jährige Kirchen= und Schulstreit, der zur Tren-
nung von Kirche und Schule führte. Das Gesetz
vom 9. Okt. 1860 spricht dem Staat die Leitung
des öffentlichen Unterrichts zu und läßt der Kirche
nur die Aussicht über den Religionsunterricht;
1864 erfolgte die Einsetzung der staatlichen Kreis-
und Ortsverwaltung; das Unterrichtsgesetz vom
8. März 1868 vernichtete vollständig den konfes-
sionellen Charakter der Schulverwaltung, hielt
jedoch an der Konfessionsschule fest und gestattete
die Errichtung simultaner Anstalten nur ausnahms-
weise. 1876 dagegen wurde die Simultanschule
zur Regel gemacht. Seit 1911 steht das Schul-
wesen unter dem Ministerium des Kultus und des
Unterrichts; der Oberschulrat wurde 1911 aufge-
hoben; die Errichtung von Kreisschulräten erfolgte
1883. Anderungen des Volksschulgesetzes erfolgten
durch das Gesetz vom 13. Mai 1891, namentlich
aber durch das vom 7. Juli 1910. Bemerkenswert
ist, daß letzteres trotz heftigen Widerspruchs der
Zentrumspartei die frühere, selbst von der „Frankf.
Zeitung“ als Ausnahmegesetz bezeichnete Bestim-
mung des § 116 (jetzt § 137) übernahm, wonach
kirchlichen Korporationen und Stiftungen die Er-
richtung von Lehr= und Erziehungsanstalten nur
durch ein besonderes Gesetz gestattet werden kann
und die Erteilung von Unterricht durch Mitglieder
religiöser Orden und Kongregationen an Lehr-
anstalten der Staatsgenehmigung bedarf. Am
3. Mai 1910 schrieb selbst die „Köln. Zeitung“, daß
Volksschulen.
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diese Bestimmung, für deren Beibehaltung auch die
Sozialdemokratie eintrat, aus der Kulturkampfs-
zeit stamme und schon damals den Widerspruch
entschieden liberaler Männer herausgefordert habe.
Der Religionsunterricht ist als obligatorischer
Lehrgegenstand beibehalten. Die Schulpflicht be-
steht vom 6. bis 14. Jahr. Knaben müssen zwei,
Mädchen ein Jahr die überall bestehenden Fort-
bildungsschulen besuchen. Die Schullasten werden
von den Gemeinden getragen; bei den Land-
gemeinden übernimmt einen Teil der Kosten der
Staat.
In Hessen wurde durch das Edikt über das
Volksschulwesen vom 1. Juni 1832 und die In-
struktion vom 10. Juni desselben Jahrs die Volks-
schule der kirchlichen Leitung entzogen und unter
die staatliche Aufsicht der Oberstudiendirektion zu
Darmstadt gestellt. 1875 erfolgte die Aufhebung
dieser Behörde, und für Schulsachen wurde eine
Abteilung im Ministerium des Innern errichtet.
In jeder Gemeinde besteht ein Ortsschulvorstand,
in dem der Geistliche den Vorsitz führt. Den
Schulvorständen übergeordnet sind 15 Kreisschul-
kommissionen. Das Volksschulgesetz vom 16. Juni
1874 ordnet achtjährige Schulpflicht und für
Knaben noch dreijährigen Besuch der Fortbil=
dungsschule an. Die Schulen sind gesetzlich pari-
tätisch, nur der Religionsunterricht wird gesondert
erteilt. Konfessionelle Schulen sind nur aus-
nahmsweise zugelassen; so sollen, wenn in einer
Gemeinde nur Angehörige einer Konfession vor-
handen sind, die Lehrer aus dieser Konfession ge-
nommen werden; im übrigen sollen die Lehrer
aus den verschiedenen Konfessionen, und zwar
möglichst nach dem Verhältnis der Stärke der-
selben in der betreffenden Gemeinde genommen
werden.
Die Schuleinrichtungen der kleineren deutschen
Bundesstaaten sind im allgemeinen denen der
größeren nachgebildet. In Oldenburg waren
die katholischen Schulen bis 1855 rein kirchliche
Einrichtungen. Das Gesetz vom 3. April 1855
schuf ein konfessionelles Schulsystem. Das Gesetz
vom 4. Febr. 1910 überträgt die Volksschule
auf die politische Gemeinde, bis dahin be-
standen besondere Schulgemeinden, und beseitigt
die geistliche Ortsschulinspektion. Dem Haupt-
geistlichen, der Mitglied des Schulvorstandes ist,
verbleidt nur die Fachaussicht über den Religions-
unterricht. — In den beiden Mecklenburg
steht die Schule in sehr enger Verbindung mit
der evangelisch-lutherischen Landeskirche, ebenso
in Braunschweig (Volksschulgesetz vom 8. Dez.
1851, neue Fassung vom 27. Okt. 1898, seitdem
Novellen 1902 und 190.1).— Anhalt (Schul-
gesetz von 1850 und mehrfache Abänderungen)
besitzt evangelisch = konfessionelle Schulen. Die
Schulaufsicht steht den Geistlichen seit 1908 nur
an den Schulen ohne Rektorensystem zu, und er-
streckt sich nur auf die Schulpflege, nicht auf die
technisch-methodische Leitung des Unterrichts. In