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und das Ausland ausbilden. Durch Gesetz vom
19. April 1906 wurde eine Anzahl autorisierter,
sich dem Unterricht widmender Korporationen und
ihre Schulen aufgelöst. In den Jahren 1902/07
verloren die katholischen Schulen 327.000 Schüler,
die vielfach ohne jeglichen Unterricht blieben. Aus
den öffentlichen Schulen wurden 1904 die Kruzi-
fixe entfernt. Die Schulen Frankreichs gliedern
sich in Vorschulen für das 5.—6. Jahr, Volks-
schulen für das 7.—12. Jahr und höhere Volks-
schulen für das 13. und 14. Jahr. Alle vier-
und mehrklassigen Schulen sollen einen Zeichen-
saal, einen Saal für Handarbeitslübungen und
eine Werkstatt für den Handfertigkeitsunterricht
der Knaben besitzen. Die Kosten des Schulwesens
tragen die Gemeinden. Die Gehälter der Lehrer
sind niedrig. Der Präfekt ernennt und versetzt die
Lehrer; an Mädchenschulen und in gemischten
Klassen unterrichten Lehrerinnen.
Nach Begründung des Königreichs Italien
wurden die piemontesischen Einrichtungen durch
das Gesetz vom 13. Nov. 1859 (Gesetz Casati)
auf den neuen Staat ausgedehnt. Dieses Gesetz,
ergänzt durch die Novelle vom 15. Juli 1877,
bildet noch heute die Grundlage des gesamten
Schulwesens. Die Schulpflicht beginnt mit dem
sechsten Lebensjahr. Sie erstreckt sich nur auf die
niedere Volksschule, die drei Jahrgänge umfaßt.
Der zweijährige Besuch der höheren Volksschule
ist ein freiwilliger. Wer sie nicht besucht, muß ein
Jahr lang am Fortbildungsunterricht teilnehmen.
An vielen Orten bestehen überhaupt keine Schulen,
doch besitzt nach dem italienischen Wahlgesetz nie-
mand das aktive Wahlrecht, der sich nicht über
seinen Schulbesuch ausweisen kann. Tatsächlich
wird die Volksschule nur ungefähr von der Höälfte
der schulpflichtigen Kinder besucht, und zwar durch-
schnittlich nur für die Hälfte des Jahrs. Die Zahl
der Anolphabeten betrug 1872: 73%, 1882:
67,3%, 1901: 52 % der Bevölkerung. Die
Volksbildung nimmt vom Norden nach Süden
stetig ab. Günstig wirken die Regimentsschulen.
Der Klerus ist von jeder weltlichen Mitwirkung
am Unterrichtswesen völlig ausgeschlossen. Der
Religionsunterricht war früher obligatorisch. Auf
Grund der Ministerialverordnung vom 2. Febr.
1908, die von der Kammer am 27. Febr. 1908
ausdrücklich gebilligt wurde, haben die Gemeinden
jedoch nur für den Religionsunterricht der Schüler
zu sorgen, deren Eltern ihn verlangen. Auf
Grund dieser Anordnung ist der Religionsunter-
richt schon an vielen Orten beseitigt worden. Den
etwa 50000 öffentlichen Volksschulen stehen etwa
9000 Privatschulen gegenüber, die größtenteils
von männlichen und weiblichen Ordensgenossen-
schaften geleitet werden. Zur Prüfung für das
Amt eines Schulinspektors werden Volksschul-
lehrer zugelassen, die acht Jahre im öffentlichen
Schuldienst stehen und vier Jahre an der höheren
Volksschule unterrichtet haben. Die frühe Ent-
wicklung der italienischen Jugend bewirkt, daß
Volksschulen.
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man den Kindergärten für das vorschulpflichtige
Alter große Aufmerksamkeit schenkt. Die Erziehung
zum Formensinn erfährt besondere Berücksichti-
gung. Ein Entwurf zu einem neuen Volksschul-
gesetz brachte die Regierung 1911 ein. Das Gesetz
soll neue Schulen schaffen, obligatorische Schulen
für Soldaten, Schulen für erwachsene Analphabeten
einrichten usw., ganz besonders aber auch durch
staatliche Mittel dem bisher reinen Gemeinde-
schulwesen nachhelfen. Leider besteht die Befürch-
tung, daß mit der an sich vorteilhaften Verstaat-
lichung des Schulwesens auch die Entchristlichung
weiter fortschreiten wird.
In Spanien wurde 1850 ein Schulgesetz
erlassen, das 1857, 1869 und 1877 Ergänzungen
erfuhr. Wie in Italien besteht nur die Verpflich-
tung, die niedere Volksschule vom 6. bis 9. Lebens-
jahr zu besuchen. Wer am Unterricht der höheren
Volksschule nicht teilnimmt, ist zum Besuch der
Abend= und Sonntagsschule verpflichtet. Gemein-
den von weniger als 500 Einwohnern dürfen
fliegende Schulen errichten. Die vorhandenen
Schulen (etwa 25.000) entsprechen bei weitem
nicht dem Bedürfnis. Die Zahl der Analphabeten
betrug 1887: 68% , 1900: 64 % der Bevölke-
rung. Am besten sind die Zustände in den Bas-
kischen Provinzen, in Katalonien, in Alt- und
Neukastilien. Besonders gering ist die Schulbil-
dung des weiblichen Geschlechts. Der Religions-
unterricht liegt in den Händen des Klerus, der die
Lehrer mit seiner Erteilung beauftragen kann.
Der Ortsgeistliche ist Mitglied des lokalen Schul-
ausschusses. Die Leitung und Unterhaltung der
Schulen ist Sache der Gemeinden, der Staat
leistet einen geringen Beitrag. Private Schulen
(„freie Schulen") bedürfen der staatlichen Ge-
nehmigung. Es bestehen solche gegen 5000, die
meist von Ordensleuten geleitet. Daneben gibt es
etwa 100 protestantische und etwa 100 konfessions-
lose bzw. atheistische Privatschulen (escuelas mo-
dernas im Sinn des Revolutionärs Ferrer). Ein
Gesetzentwurf, der die „Schule ohne Dogma“
einführen und den kirchlichen Einfluß ganz aus-
schalten will, wurde 1911 vom Ministerium Ca-
nalejas eingebracht. Einen besondern Mißstand
des spanischen Schulwesens bilden die schlechten
Besoldungen der Lehrer, die überdies ihr Gehalt
nicht pünktlich erhalten, so daß die Summe der
rückständigen Gehälter meist viele Millionen Pese-
tas beträgt.
In Portugal wurde durch Dekret 1844 die
allgemeine Schulpflicht vom 6. bis 12. Jahr ein-
geführt; 1868 wurde die Unentgeltlichkeit des
Unterrichts zum Gesetz erhoben. Trotzdem waren
1900 noch 82 % der Bevölkerung ohne Schul-
bildung. Durch königliches Dekret vom 22. Dez.
1899 und nachfolgende Schulgesetze wurde der
Schulzwang und freie Unterricht in den staatlichen
Volksschulen nochmals angeordnet, ohne daß da-
durch eine Besserung der Verhältnisse erzielt wor-
den wäre. Neben den normalen Schuleinrichtungen