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besitzt. Auch hat die Wirtschaftsstatistik ergeben,
daß die Leistungsfähigkeit eines Volks mit seiner
Bildung steigt, ebenso verlangt die moderne Krieg-
führung eine gewisse Selbständigkeit des einzelnen
Mannes, die er nur durch Ausbildung seiner gei-
stigen Fähigkeiten erlangen kann. Die Vorbildung
der Lehrer liegt fast ganz in der Hand des Staats,
ihre Anstellung zum Teil, er übt die Schulaussicht
aus, unterstützt die Gemeinden beim Bau und der
Unterhaltung der Volksschulen und trägt einen
großen Teil der Lehrerbesoldung und der Pen-
sionen. Als dritter Faktor beansprucht die Kirche
Rechte auf das Volksschulwesen. Für ihre Teil-
nahme am öffentlichen Unterrichtswesen sprechen
Rechts-, Billigkeits= und Zweckmäßigkeitsgründe.
Das Recht der Kirche erstreckt sich vor allem auf
den Religionsunterricht, und da die religiöse Unter-
weisung die Grundlage für eine christliche Er-
ziehung bildet, auch auf die Volksschule als Ganzes
betrachtet. Das Recht zur Erteilung des Reli-
gionsunterrichts wird für die katholische Kirche
durch das ihr übertragene Lehramt zur strengen
Pflicht. Wenn sie nicht selbst den Religions-=
unterricht erteilt, so muß ihr die Gewähr geboten
werden, daß er in ihrem Sinn und nach ihrer
Lehre erteilt wird. Art. 24 der preußischen Ver-
fassung erkennt auch den Religionsgesellschaften
das Recht zu, den Religionsunterricht zu „leiten“.
Ein Gleiches ist in der Gesetzgebung der meisten
Staaten ausgesprochen; nur da, wo der Religions-
unterricht von der Volksschule ausgeschlossen ist,
hört der Einfluß der Kirche vollständig auf. Die
Billigkeitsgründe für die Beteiligung der Kirche
am Unterrichtswesen liegen darin, daß die Kirche
in den christlichen Staaten sich zuerst der Volks-
schule angenommen und dieselbe jahrhundertelang
fast allein unterhalten hat. Es ist endlich auch
zweckmäßig, daß die Kirche Einfluß auf die Schule
besitzt, denn das schwierige Werk der Erziehung
wird nur dann gelingen, wenn alle Kräfte sich in
ihrem Streben vereinigen. In neuerer Zeit erhebt
auch die Lehrerschaft Anspruch darauf, daß
ihre Stimme bei der Gestaltung des Schulwesens
gehört werde. Dieses Streben ist nicht unberech-
tigt. Familie, Kirche und Staat sind der Gefahr
ausgesetzt, bei ihren Bestimmungen über das Schul-
wesen sich von Zweckmäßigkeitsrücksichten leiten zu
lassen. Demgegenüber vertreten die Lehrer die
Forderungen der Pädagogik, indem sie hervor-
heben, was ausführbar und möglich ist. Der
Satz: „Die Schule den Pädagogen“, schießt weit
über das Ziel hinaus, die Schule wird immer
eine Hilfsanstalt der Familie, der Kirche und des
Staats sein. Das verhindert aber nicht, auch die
Rechte der Lehrer anzuerkennen.
Soll die Beteiligung mehrerer Faktoren bei der
Verwaltung des Schulwesens nicht zu beständigem
Streit führen, so muß der Machtbereich jedes
einzelnen durch feste Regeln bestimmt sein. Die
meisten Staaten haben in neuerer Zeit derartige
Festsetzungen getroffen, indem sie Schulgesetze er-
Volksschulen.
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ließen, andere, wie z. B. Bayern, sind über Ent-
würfe zu derartigen Gesetzen nicht hinausgekommen
und behelfen sich mit Verordnungen oder mit der
Reglung einzelner besonders brennend gewordener
oder wichtiger Fragen durch Spezialgesetze, bei
denen man die Klippen der prinzipiellen Gegen-
sätze vielfach zu vermeiden versucht. Daß die
Schulgesetze überall zum Schulfrieden geführt
hätten, kann nicht behauptet werden. Fast überall
macht sich das Bestreben geltend, den Machtbereich
der Kirche einzuengen und eine allmähliche Ver-
drängung der Kirche aus der Schule herbeizu-
führen. Die Stufen, die dabei durchlaufen wer-
den, sind im allgemeinen folgende: Abschaffung
der geistlichen Schulaufsicht, Errichtung von
Simultanschulen, Ausschließung der Lehrorden
von der Lehrtätigkeit in der Schule, Ausscheidung
des Religionsunterrichts aus dem Lehrplan der
Volksschule.
Die Kirche kann und wird niemals auf ihre
Rechte an der Volksschule verzichten. Eine voll-
ständige Ausschließung der Kirche von der Schule
muß daher immer zum Schulkampf führen. Ander-
seits wird die Kirche nicht die alleinige Leitung
des Schulwesens beanspruchen wollen. Die Inter-
essen des Staats an der Ausbildung seiner Bürger
sind so groß, daß der Staat dieses wichtige Werk-
zeug nie aus der Hand geben wird. Alle, denen
das Wohl der Volksschule am Herzen liegt, wer-
den daher dringend wünschen, daß Staat und
Kirche zu einer Einigung über die Gestaltung
des Schulwesens kommen, bei der auch die Inter-
essen der Gemeinden und Lehrer ausreichend ge-
wahrt werden. Es wird sich dabei in erster Linie
um die Schulverwaltung handeln; denn diese be-
stimmt den Geist der Schule, schreibt die Grund-
lehrpläne vor, bildet die Lehrer aus und stellt sie
an, führt Lehrbücher ein und überwacht die Schul-
aussichtsbeamten. Erst in zweiter Linie kommt
auch die Schulaufsicht im engeren Sinn in Be-
tracht. Der Schulaussichtsbeamte hat ja nur fest-
zustellen, ob die Anordnungen der Schulverwal-
tung sachgemäß ausgeführt werden, eine Ein-
wirkung auf die Reglung des Schulwesens aber
besitzt er nicht oder doch nur in geringem Grad.
Neben den Kämpfen zwischen Staat und Kirche
bestehen andere zwischen Staat und Gemeinden
und wohl auch zwischen den Gemeinden unter-
einander. Selten handelt es sich dabei um prin-
zipielle Fragen; ein mehr oder weniger an Auf-
sichtsbefugnissen, in den meisten Fällen aber die
Schulunterhaltung bilden den Gegenstand des
Streits.
3. Schulverwaltung und Schulaussicht nimmt
der moderne Staat für sich in Anspruch. Wo die
Kirche heute noch an der Schulaufsicht teilnimmt,
tut sie es lediglich „im Auftrag des Staats“. Den
Schulverwaltungsorganen der größeren Gemein-
den wird vielfach die Schulaufsicht in genau fest-
gelegten Grenzen übertragen. Gegenwärtig unter-
steht das Volksschulwesen in den größeren Ländern