Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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besitzt. Auch hat die Wirtschaftsstatistik ergeben, 
daß die Leistungsfähigkeit eines Volks mit seiner 
Bildung steigt, ebenso verlangt die moderne Krieg- 
führung eine gewisse Selbständigkeit des einzelnen 
Mannes, die er nur durch Ausbildung seiner gei- 
stigen Fähigkeiten erlangen kann. Die Vorbildung 
der Lehrer liegt fast ganz in der Hand des Staats, 
ihre Anstellung zum Teil, er übt die Schulaussicht 
aus, unterstützt die Gemeinden beim Bau und der 
Unterhaltung der Volksschulen und trägt einen 
großen Teil der Lehrerbesoldung und der Pen- 
sionen. Als dritter Faktor beansprucht die Kirche 
Rechte auf das Volksschulwesen. Für ihre Teil- 
nahme am öffentlichen Unterrichtswesen sprechen 
Rechts-, Billigkeits= und Zweckmäßigkeitsgründe. 
Das Recht der Kirche erstreckt sich vor allem auf 
den Religionsunterricht, und da die religiöse Unter- 
weisung die Grundlage für eine christliche Er- 
ziehung bildet, auch auf die Volksschule als Ganzes 
betrachtet. Das Recht zur Erteilung des Reli- 
gionsunterrichts wird für die katholische Kirche 
durch das ihr übertragene Lehramt zur strengen 
Pflicht. Wenn sie nicht selbst den Religions-= 
unterricht erteilt, so muß ihr die Gewähr geboten 
werden, daß er in ihrem Sinn und nach ihrer 
Lehre erteilt wird. Art. 24 der preußischen Ver- 
fassung erkennt auch den Religionsgesellschaften 
das Recht zu, den Religionsunterricht zu „leiten“. 
Ein Gleiches ist in der Gesetzgebung der meisten 
Staaten ausgesprochen; nur da, wo der Religions- 
unterricht von der Volksschule ausgeschlossen ist, 
hört der Einfluß der Kirche vollständig auf. Die 
Billigkeitsgründe für die Beteiligung der Kirche 
am Unterrichtswesen liegen darin, daß die Kirche 
in den christlichen Staaten sich zuerst der Volks- 
schule angenommen und dieselbe jahrhundertelang 
fast allein unterhalten hat. Es ist endlich auch 
zweckmäßig, daß die Kirche Einfluß auf die Schule 
besitzt, denn das schwierige Werk der Erziehung 
wird nur dann gelingen, wenn alle Kräfte sich in 
ihrem Streben vereinigen. In neuerer Zeit erhebt 
auch die Lehrerschaft Anspruch darauf, daß 
ihre Stimme bei der Gestaltung des Schulwesens 
gehört werde. Dieses Streben ist nicht unberech- 
tigt. Familie, Kirche und Staat sind der Gefahr 
ausgesetzt, bei ihren Bestimmungen über das Schul- 
wesen sich von Zweckmäßigkeitsrücksichten leiten zu 
lassen. Demgegenüber vertreten die Lehrer die 
Forderungen der Pädagogik, indem sie hervor- 
heben, was ausführbar und möglich ist. Der 
Satz: „Die Schule den Pädagogen“, schießt weit 
über das Ziel hinaus, die Schule wird immer 
eine Hilfsanstalt der Familie, der Kirche und des 
Staats sein. Das verhindert aber nicht, auch die 
Rechte der Lehrer anzuerkennen. 
Soll die Beteiligung mehrerer Faktoren bei der 
Verwaltung des Schulwesens nicht zu beständigem 
Streit führen, so muß der Machtbereich jedes 
einzelnen durch feste Regeln bestimmt sein. Die 
meisten Staaten haben in neuerer Zeit derartige 
Festsetzungen getroffen, indem sie Schulgesetze er- 
Volksschulen. 
  
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ließen, andere, wie z. B. Bayern, sind über Ent- 
würfe zu derartigen Gesetzen nicht hinausgekommen 
und behelfen sich mit Verordnungen oder mit der 
Reglung einzelner besonders brennend gewordener 
oder wichtiger Fragen durch Spezialgesetze, bei 
denen man die Klippen der prinzipiellen Gegen- 
sätze vielfach zu vermeiden versucht. Daß die 
Schulgesetze überall zum Schulfrieden geführt 
hätten, kann nicht behauptet werden. Fast überall 
macht sich das Bestreben geltend, den Machtbereich 
der Kirche einzuengen und eine allmähliche Ver- 
drängung der Kirche aus der Schule herbeizu- 
führen. Die Stufen, die dabei durchlaufen wer- 
den, sind im allgemeinen folgende: Abschaffung 
der geistlichen Schulaufsicht, Errichtung von 
Simultanschulen, Ausschließung der Lehrorden 
von der Lehrtätigkeit in der Schule, Ausscheidung 
des Religionsunterrichts aus dem Lehrplan der 
Volksschule. 
Die Kirche kann und wird niemals auf ihre 
Rechte an der Volksschule verzichten. Eine voll- 
ständige Ausschließung der Kirche von der Schule 
muß daher immer zum Schulkampf führen. Ander- 
seits wird die Kirche nicht die alleinige Leitung 
des Schulwesens beanspruchen wollen. Die Inter- 
essen des Staats an der Ausbildung seiner Bürger 
sind so groß, daß der Staat dieses wichtige Werk- 
zeug nie aus der Hand geben wird. Alle, denen 
das Wohl der Volksschule am Herzen liegt, wer- 
den daher dringend wünschen, daß Staat und 
Kirche zu einer Einigung über die Gestaltung 
des Schulwesens kommen, bei der auch die Inter- 
essen der Gemeinden und Lehrer ausreichend ge- 
wahrt werden. Es wird sich dabei in erster Linie 
um die Schulverwaltung handeln; denn diese be- 
stimmt den Geist der Schule, schreibt die Grund- 
lehrpläne vor, bildet die Lehrer aus und stellt sie 
an, führt Lehrbücher ein und überwacht die Schul- 
aussichtsbeamten. Erst in zweiter Linie kommt 
auch die Schulaufsicht im engeren Sinn in Be- 
tracht. Der Schulaussichtsbeamte hat ja nur fest- 
zustellen, ob die Anordnungen der Schulverwal- 
tung sachgemäß ausgeführt werden, eine Ein- 
wirkung auf die Reglung des Schulwesens aber 
besitzt er nicht oder doch nur in geringem Grad. 
Neben den Kämpfen zwischen Staat und Kirche 
bestehen andere zwischen Staat und Gemeinden 
und wohl auch zwischen den Gemeinden unter- 
einander. Selten handelt es sich dabei um prin- 
zipielle Fragen; ein mehr oder weniger an Auf- 
sichtsbefugnissen, in den meisten Fällen aber die 
Schulunterhaltung bilden den Gegenstand des 
Streits. 
3. Schulverwaltung und Schulaussicht nimmt 
der moderne Staat für sich in Anspruch. Wo die 
Kirche heute noch an der Schulaufsicht teilnimmt, 
tut sie es lediglich „im Auftrag des Staats“. Den 
Schulverwaltungsorganen der größeren Gemein- 
den wird vielfach die Schulaufsicht in genau fest- 
gelegten Grenzen übertragen. Gegenwärtig unter- 
steht das Volksschulwesen in den größeren Ländern
	        
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