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In Bayern ist die geistliche Kreisschulinspektion
noch heute Regel, die weltliche besteht als Aus-
nahme besonders in den größeren Städten. Öster-
reich besitzt in den Bezirksschulinspektoren weltliche
Beamte, in Frankreich, Italien, Holland ist die
geistliche Schulaufsicht vollständig aufgehoben.
UÜberall ertönt der Ruf nach fachmännischer Schul-
aussicht. Es ist jedoch schwer zu bestimmen, wer
als Fachmann zum Schulinspektor geeignet ist.
Manche Staaten, wie Italien und Belgien, haben
für diese Zwecke besondere Prüfungen eingerichtet,
denen sich fast ausschließlich Volksschullehrer unter-
ziehen. In Osterreich werden die Bezirksschul-
inspektoren zu mehr als der Hälfte dem Stand der
Volksschullehrer entnommen. Wie sehr die ge-
steigerten Ansprüche an die Volksschule auch die
Anforderungen an die Schulinspektoren erhöht
haben, geht aus dem Umstand hervor, daß von
verschiedenen Seiten, selbst im preußischen Ab-
geordnetenhaus, Inspektoren für einzelne Zweige
des Volksschulunterrichts gefordert werden, und
zwar besonders für Turnen, Zeichnen, Handarbeit,
aber auch für Naturkunde im Dienst der Heimat-
pflege.
Gegenstand des politischen Kampfes wird die
Schulaufsichtsfrage besonders da, wo es sich um
die Ortsschulausfsicht handelt. Denn na-
mentlich an diesem Punkt wird die von den streng-
gläubigen Teilen der beiden christlichen Konfes-
sionen, ganz besonders aber von katholischer Seite
erhobene und vom Liberalismus aller Schattie-
rungen aufs leidenschaftlichste bekämpften Forde-
rung nach einer „organischen“ Verbindung der
Schule mit der Kirche praktisch. Vor dem preußi-
schen Schulaussichtsgesetz vom 11. März 1872
bestand in Preußen eine solche Verbindung. Bis
dahin versah der Geistliche (meist der Ortspfarrer)
das Aufsichtsamt über die Schulen am Ort ipso
iure. Durch das genannte Gesetz wurde die
wesentliche Anderung herbeigeführt, daß von nun
ab das Schulaufsichtsamt „mit dem geistlichen
Amt nicht mehr unmittelbar verbunden ist, viel-
mehr die Geistlichen eines besondern staatlichen
Auftrags bedürfen, der nur widerruflich erteilt
wird“ (Erlaß vom 17. Mai 1881). Damit ist
das Band zwischen Kirche und Schule im Prinzip
zerschnitten, und die ganze folgende, von liberalem
Geist geleitete Entwicklung dieser Frage hat ihren
eigentlichen Ausgangspunkt in diesem Kultur-
kampfsgesetz. Faktisch ist der Stand der Dinge
in Preußen heute so, daß die geistliche Ortsschul-
inspektion in den Städten, wo sie meist auf die
Rektoren überging, mit verschwindenden Aus-
nahmen völlig verschwunden ist. Des Weiteren hat
ihre Beseitigung in großem Umfang auf die kleinen
Städte und selbst auf die Landgemeinden über-
gegriffen, lediglich dem liberalen Prinzip zuliebe,
trotzdem der Liberalismus in ländlichen Gegenden
fast gar keinen Boden hat. Es ist soweit ge-
kommen, daß seit etwa 20 Jahren als Norm für
die Beseitigung der geistlichen Ortsschulaufsicht
Volksschulen.
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das Vorhandensein eines Schulsystems „mit sechs
aufsteigenden Klassen“ gilt (Erlaß vom 1. Juli
1889, 25. Juli 1892, 12. Juli 1893, 25. Juli
1894). — Weite Kreise des Volks suchen heute
eine organische Verbindung zwischen Kirche und
Schule wiederherzustellen, weil sie darin eines der
notwendigsten Bollwerke gegen die mächtigen libe-
ralen Anstürme der Zeit erblicken. Dadurch steht
die „Schulaufsichtsfrage“ heute im Brennpunkt
der innerpolitischen Kämpfe. Sie bildet auch eines
der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale innerhalb
der Lehrerschaft selbst. Die im „Deutschen Lehrer-
verein“ organisierte Lehrerschaft (120 000) kämpft
gegen die geistliche Schulaufsicht mit der größten
Leidenschaftlichkeit, während der religiös gesinnte
Teil der Lehrerschaft, darunter in erster Reihe der
„Katholische Lehrerverein“ (insgesamt an 24.000),
heute eine der stärksten und zuverlässigsten Stützen
gegenüber dem Erziehungsliberalismus auch in
dieser Frage darstellt (Breslauer Beschlüsse von
1908). Dabei ist es durchaus nicht nötig, daß
die geistliche Ortsschulaufsicht in der alten Form
bestehen bleiben bzw. wieder eingeführt werden
soll. Sie würde den veränderten Verhältnissen
im eigentlich technischen Teil des Unterrichts mit
Leichtigkeit Rechnung tragen können.
Vielfach wird behauptet, die Ortsschulinspektion
sei überflüssig. Die Freunde derselben führen
demgegenüber an, daß in größeren Schulsystemen
eine einheitliche Leitung unbedingt notwendig sei.
Es sei ferner in vielen Fällen nützlich, wenn eine
Persönlichkeit zwischen Schule und Gemeinde
stehe, welche einerseits möglichst unabhängig von
beiden sei und so bei Streitigkeiten eine vermit-
telnde Rolle spielen könne, welche anderseits die
nötige Autorität und das erforderliche Wissen
besitze, um das Amt mit Erfolg verwalten zu
können. Von diesen Gesichtspunkten aus könne es
kaum eine geeignetere Persönlichkeit geben als den
Pfarrer, während es bei fast allen andern Ständen
an einzelnen der oben angegebenen Eigenschaften
fehlen dürfte. Dazu komme, daß der Pfarrer den
Religionsunterricht erteile oder doch beaufsichtige,
sich also mit der Methodik bekannt machen müsse
und ein großes Interesse an der religiösen Grund-
lage des gesamten Schulunterrichts besitze. Sein
Amt sei die Erziehung der Menschen für Gott,
darum sei er auf dem Gebiet der Erziehung als
Fachmann zu betrachten. Außerdem sei die Orts-
schulinspektion das einzige Bindeglied zwischen
Schule und Kirche, ihre Beseitigung würde den
Einfluß der Kirche auf die Schule nahezu völlig
vernichten und dadurch den christlichen Geist der
Schule gefährden. — Die Gegner der Ortsschul-
aussicht verlangen ihre Beseitigung mit Rücksicht
auf die Interessen der Schule, des Lehrerstands
und der Kirche. Die Schularbeit sei so schwierig
und wichtig, daß jeder, der in Bezug auf die
Schule einen maßgebenden Einfluß ausüben wolle,
dafür seine ganze Kraft einsetzen müsse; eine Schul-
aufsicht im Nebenamt werde den Interessen der