Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Schule nicht gerecht. Das Ungesunde der heutigen 
Einrichtung liege darin, daß man die technische 
Aufsicht in die Hände von Männern lege, die sie 
nicht ausüben könnten, weil ihnen sowohl die 
theoretische als auch die praktische Ausbildung 
mangele. Höhere Allgemeinbildung tue es nicht 
allein; wo man diese als ausreichend betrachte, 
leide die Sache mehr, als billig ist. Das Interesse 
der Schule verlange, daß diese unmittelbar mit 
der Familie und Gemeinde verkehre, um gemein- 
same Erziehungsarbeit herzustellen. Die einheit- 
liche Leitung größerer Schulsysteme werde besser 
durch einen Lehrer bewirkt, die Schulsysteme lägen 
zudem in den großen Pfarreien, wo der Geistliche 
durch die Geschäfte der Seelsorge schon stark in 
Anspruch genommen werde. Der Lehrer besitze 
zuviel Aufsichtsbehörden, dies müsse notwendig 
sein Ansehen schädigen; soweit technische Aufsicht 
in Frage komme, solle man in erster Linie tüchtige 
Lehrer damit betrauen, das würde auf die Fort- 
bildung und das Vorwärtsstreben der Lehrer einen 
nachhaltigen Einfluß ausüben; kein Stand werde 
durch Mitglieder eines andern Standes beauf- 
sichtigt. Zudem sei die Ortsschulaufsicht des Geist- 
lichen eine Quelle beständigen Streites zwischen 
ihm und dem Lehrer. Ihre Beseitigung liege 
daher ebenso im Interesse der Kirche als dem der 
Schule. Endlich könne auch durch sie der christ- 
liche Geist der Schule nicht gesichert werden. Wo#a 
dieser erstorben sei, werde er durch keine Aufsichts- 
maßregel wiederhergestellt. Der Einfluß des Geist- 
lichen auf Gemeinde und Familie und damit auf 
den Geist der Schule sei aber so groß, daß es zu 
dessen Verstärkung keines staatlichen Auftrags als 
Schulinspektor bedürfe. — Uber die Gestaltung der 
Schulaufsicht in den andern deutschen Staaten 
vgl. Abschnitt II. 
Die Entscheidung des Streits über die Frage 
der Ortsschulaufsicht muß der Vereinbarung zwi- 
schen den zuständigen kirchlichen Behörden, den 
Bischöfen, und dem Staat überlassen werden. 
Eine einseitige Reglung der Frage seitens der 
staatlichen Gesetzgebung oder Verwaltung muß als 
ein Eingriff in die Rechte der Kirche betrachtet 
werden. In Bayern richtete 1909 der Vorstand 
des bayrischen Katholischen Lehrervereins eine Ein- 
gabe (21. Jan. und 22. März) an den Episkopat 
des Königreichs, in der dieser um grundsätzliche 
Stellungnahme zu dem Wunsch der Volksschul- 
lehrer, zur Schulleitung zugelassen zu werden, 
gebeten wurde. Die Antwort der Bischöfe (vom 
14. April) vertrat den Standpunkt, daß die Kirche 
sich das Recht der Mitaufsicht über die gesamte 
Schulbildung in keiner Weise beschränken lassen 
könne. Im Anschluß bildete sich zur Wahrung der 
geistlichen Schulaussicht der „Landesverband der 
katholischen geistlichen Schulvorstände Bayerns“. 
Das Lehrerbildungswesen ist in Preußen 
mit verschwindenden Ausnahmen konfessionell ge- 
staltet (1910: 112 evangelische, 58 katholische 
und 4 paritätische Lehrerseminare, 8 evangelisch 
Volksschulen. 
  
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und 9 katholische Lehrerinnenseminare). Dement- 
sprechend nimmt ein Vertreter des Bischofs an den 
Lehrerprüfungen teil. Eine gesetzliche Reglung des 
Lehrerbildungswesens steht indessen noch aus. 
Außerdem besitzt die Kirche die Leitung des 
Religionsunterrichts, womit die Aufstel= 
lung des Lehrplans, die Genehmigung der Lehr- 
bücher und die Beaufsichtigung des Unterrichts 
nach Stoff und Methode verbunden ist. Dieses 
Recht der Leitung des Religionsunterrichts steht 
den anerkannten Religionsgesellschaften durch Art. 
24, Abs. 2 der Verfassung zu. Es ist ein äußerst 
wichtiges Recht, da es in Notfällen der Kirche die 
Möglichkeit bieten kann, den Religionsunterricht 
durch ihre Geistlichen selbst zuerteilen. Daran ändert 
auch der verfassungswidrige Falksche Kulturkampf- 
erlaß vom 18. Febr. 1876, Ziff. 7, Abs. 2 nichts. 
Eine gesetzliche Reglung fehlt indessen auch hier noch. 
Eine gewisse, allerdings vollkommen unzuläng- 
liche, gesetzlich geregelte Beteiligung an der Schul- 
verwaltung ist der Kirche durch das Gesetz vom 
28. Juli 1906 insofern garantiert, als sie in die für 
die Verwaltung der Volksschulangelegenheiten ein- 
gerichtete Ortsschulbehörde einen Vertreter entsen- 
det. Diese Ortsschulbehörde besteht — nach Stadt- 
und Landgemeinden bzw. nach der Größe der Ge- 
meinden unterschieden — in Schuldeputationen 
oder Schulvorständen. In diesen Körperschaften 
hat nämlich u. a. „der dem Dienstrang nach vor- 
gehende oder sonst der dem Dienstalter nach älteste 
Ortspfarrer“ beider Konfessionen Sitz und Stimme 
(6 44 bzw. mit einigen Abweichungen § 47). Es 
liegt auf der Hand, daß mindestens für größere 
Städte eine derartige Vertretung der Kirche, wenn 
durch sie wirklich eine Verbindung von Kirche und 
Schule bewirkt werden soll, praktisch von ge- 
ringem Wert ist. An sich viel wertvoller sind die 
in § 45 bzw. 48 vorgesehenen Schulkommis- 
sionen. Diese sind — von den wenigen Fällen, 
wo sie auch für die nur spärlich vorhandenen 
Simultanschulen eingerichtet werden können — 
konfessionell. Sie bilden Organe der Schuldepu- 
tation bzw. des Schulvorstands. In Landgemein- 
den mit verschiedenen Konfessionsschulen und einem 
Schulvorstand muß für jede katholische und 
evangelische Schule, oder mindestens für die katho- 
lischen und evangelischen Schulen in ihrer Gesamt- 
heit je eine Schulkommission eingerichtet werden, 
die bei richtiger Ausübung der ihr übertragenen 
Funktioneneinesehr segensreiche Tätigkeitentwickeln 
kann. Bei den Schuldeputationen ist die 
Einrichtung von derartigen Kommissionen ins 
Belieben der Gemeinden gestellt. Vorgesehen war 
auch hier in der Gesetzesvorlage die Verpflichtung 
der Gemeinden; indessen gab die Regierung dem 
Druck des Liberalismus nach. Dieser aber ist 
Gegner der Kommissionen, weil sie eine Verstär- 
kung des von ihm prinzipiell belämpften Kon- 
fessionsschulprinzips darstellen. Mithin wird er 
überall da, wo er die Macht in Händen hält, von 
der Einrichtung von Kommissionen „absehen“. 
 
	        
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