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Schule nicht gerecht. Das Ungesunde der heutigen
Einrichtung liege darin, daß man die technische
Aufsicht in die Hände von Männern lege, die sie
nicht ausüben könnten, weil ihnen sowohl die
theoretische als auch die praktische Ausbildung
mangele. Höhere Allgemeinbildung tue es nicht
allein; wo man diese als ausreichend betrachte,
leide die Sache mehr, als billig ist. Das Interesse
der Schule verlange, daß diese unmittelbar mit
der Familie und Gemeinde verkehre, um gemein-
same Erziehungsarbeit herzustellen. Die einheit-
liche Leitung größerer Schulsysteme werde besser
durch einen Lehrer bewirkt, die Schulsysteme lägen
zudem in den großen Pfarreien, wo der Geistliche
durch die Geschäfte der Seelsorge schon stark in
Anspruch genommen werde. Der Lehrer besitze
zuviel Aufsichtsbehörden, dies müsse notwendig
sein Ansehen schädigen; soweit technische Aufsicht
in Frage komme, solle man in erster Linie tüchtige
Lehrer damit betrauen, das würde auf die Fort-
bildung und das Vorwärtsstreben der Lehrer einen
nachhaltigen Einfluß ausüben; kein Stand werde
durch Mitglieder eines andern Standes beauf-
sichtigt. Zudem sei die Ortsschulaufsicht des Geist-
lichen eine Quelle beständigen Streites zwischen
ihm und dem Lehrer. Ihre Beseitigung liege
daher ebenso im Interesse der Kirche als dem der
Schule. Endlich könne auch durch sie der christ-
liche Geist der Schule nicht gesichert werden. Wo#a
dieser erstorben sei, werde er durch keine Aufsichts-
maßregel wiederhergestellt. Der Einfluß des Geist-
lichen auf Gemeinde und Familie und damit auf
den Geist der Schule sei aber so groß, daß es zu
dessen Verstärkung keines staatlichen Auftrags als
Schulinspektor bedürfe. — Uber die Gestaltung der
Schulaufsicht in den andern deutschen Staaten
vgl. Abschnitt II.
Die Entscheidung des Streits über die Frage
der Ortsschulaufsicht muß der Vereinbarung zwi-
schen den zuständigen kirchlichen Behörden, den
Bischöfen, und dem Staat überlassen werden.
Eine einseitige Reglung der Frage seitens der
staatlichen Gesetzgebung oder Verwaltung muß als
ein Eingriff in die Rechte der Kirche betrachtet
werden. In Bayern richtete 1909 der Vorstand
des bayrischen Katholischen Lehrervereins eine Ein-
gabe (21. Jan. und 22. März) an den Episkopat
des Königreichs, in der dieser um grundsätzliche
Stellungnahme zu dem Wunsch der Volksschul-
lehrer, zur Schulleitung zugelassen zu werden,
gebeten wurde. Die Antwort der Bischöfe (vom
14. April) vertrat den Standpunkt, daß die Kirche
sich das Recht der Mitaufsicht über die gesamte
Schulbildung in keiner Weise beschränken lassen
könne. Im Anschluß bildete sich zur Wahrung der
geistlichen Schulaussicht der „Landesverband der
katholischen geistlichen Schulvorstände Bayerns“.
Das Lehrerbildungswesen ist in Preußen
mit verschwindenden Ausnahmen konfessionell ge-
staltet (1910: 112 evangelische, 58 katholische
und 4 paritätische Lehrerseminare, 8 evangelisch
Volksschulen.
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und 9 katholische Lehrerinnenseminare). Dement-
sprechend nimmt ein Vertreter des Bischofs an den
Lehrerprüfungen teil. Eine gesetzliche Reglung des
Lehrerbildungswesens steht indessen noch aus.
Außerdem besitzt die Kirche die Leitung des
Religionsunterrichts, womit die Aufstel=
lung des Lehrplans, die Genehmigung der Lehr-
bücher und die Beaufsichtigung des Unterrichts
nach Stoff und Methode verbunden ist. Dieses
Recht der Leitung des Religionsunterrichts steht
den anerkannten Religionsgesellschaften durch Art.
24, Abs. 2 der Verfassung zu. Es ist ein äußerst
wichtiges Recht, da es in Notfällen der Kirche die
Möglichkeit bieten kann, den Religionsunterricht
durch ihre Geistlichen selbst zuerteilen. Daran ändert
auch der verfassungswidrige Falksche Kulturkampf-
erlaß vom 18. Febr. 1876, Ziff. 7, Abs. 2 nichts.
Eine gesetzliche Reglung fehlt indessen auch hier noch.
Eine gewisse, allerdings vollkommen unzuläng-
liche, gesetzlich geregelte Beteiligung an der Schul-
verwaltung ist der Kirche durch das Gesetz vom
28. Juli 1906 insofern garantiert, als sie in die für
die Verwaltung der Volksschulangelegenheiten ein-
gerichtete Ortsschulbehörde einen Vertreter entsen-
det. Diese Ortsschulbehörde besteht — nach Stadt-
und Landgemeinden bzw. nach der Größe der Ge-
meinden unterschieden — in Schuldeputationen
oder Schulvorständen. In diesen Körperschaften
hat nämlich u. a. „der dem Dienstrang nach vor-
gehende oder sonst der dem Dienstalter nach älteste
Ortspfarrer“ beider Konfessionen Sitz und Stimme
(6 44 bzw. mit einigen Abweichungen § 47). Es
liegt auf der Hand, daß mindestens für größere
Städte eine derartige Vertretung der Kirche, wenn
durch sie wirklich eine Verbindung von Kirche und
Schule bewirkt werden soll, praktisch von ge-
ringem Wert ist. An sich viel wertvoller sind die
in § 45 bzw. 48 vorgesehenen Schulkommis-
sionen. Diese sind — von den wenigen Fällen,
wo sie auch für die nur spärlich vorhandenen
Simultanschulen eingerichtet werden können —
konfessionell. Sie bilden Organe der Schuldepu-
tation bzw. des Schulvorstands. In Landgemein-
den mit verschiedenen Konfessionsschulen und einem
Schulvorstand muß für jede katholische und
evangelische Schule, oder mindestens für die katho-
lischen und evangelischen Schulen in ihrer Gesamt-
heit je eine Schulkommission eingerichtet werden,
die bei richtiger Ausübung der ihr übertragenen
Funktioneneinesehr segensreiche Tätigkeitentwickeln
kann. Bei den Schuldeputationen ist die
Einrichtung von derartigen Kommissionen ins
Belieben der Gemeinden gestellt. Vorgesehen war
auch hier in der Gesetzesvorlage die Verpflichtung
der Gemeinden; indessen gab die Regierung dem
Druck des Liberalismus nach. Dieser aber ist
Gegner der Kommissionen, weil sie eine Verstär-
kung des von ihm prinzipiell belämpften Kon-
fessionsschulprinzips darstellen. Mithin wird er
überall da, wo er die Macht in Händen hält, von
der Einrichtung von Kommissionen „absehen“.