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Die politischen Gemeinden üben ihre Rechte be-
züglich der Schulverwaltung in Preußen teils
durch die allgemeinen Gemeindeverwaltungsorgane
(Bürgermeister, Magistrat, Stadtverordnetenkol-
legium, Gemeindevertretung) teils durch die schon
genannten Schulverwaltungsorgane (Schuldepu-
tation, Schulvorstand, Schulkommission) aus.
Die ersteren haben den Schulhaushallsetat festzu-
stellen, die für die Schule erforderlichen Mittel zu
bewilligen, die Verwaltung des Schulvermögens
zu führen und den Schulverband nach außen zu
vertreten; die letzteren haben als Organe des Ge-
meindevorstands (Bürgermeister, Magistrat) im
übrigen die Schulangelegenheiten zu verwalten.
Die Schulverwaltungsorgane setzen sich zusammen
aus Vertretern des Gemeindevorstands, des Stadt-
verordnetenkollegiums, der Gemeindeeinwohner,
der Geistlichen und der Lehrer (88 43. 44 ff V.=
U.G.). Die Schulvorstände (in Landgemeinden)
haben auch für die äußere Ordnung im Schul-
wesen zu sorgen und insofern gewisse Schulauf-
sichtsrechte. Den Schuldeputationen in kreisfreien
Städten oder größeren Schulverbänden sind durch
die Ausführungsanweisung des Unterrichtsmini-
sters vom 6. Nov. 1907 Schulaufsichtsrechte in
weitgehendem Maß übertragen worden. Dieselbe
Ausführungsanweisung enthält weiterhin äußerst
wertvolle Angaben über die Tätigkeit und den
Pflichtenkreis der Schulverwaltungsorgane, ins-
besondere bei der Schulpflege und der Fürsorge
für die schulpflichtige Jugend (Elternabende,
Suppenküchen, Beschaffung freier Unterrichts-
mittel usw.).
In Bayern treten an Stelle der Schuldeputa-
tionen Stadtschulkommissionen, in Sachsen be-
sondere Inspektionen. In Osterreich gehören sowohl
dem Orts= als dem Bezirks= und Landesschulrat
Vertreter der Konfessionen, Abgeordnete des
Landesausschusses oder der Gemeinde und Fach-
männer im Lehrwesen an. Letztere sind im Be-
zirks= und Orteschulrat Volksschullehrer. Die
entsprechenden Einrichtungen Englands sind im
geschichtlichen Teil dargelegt worden. In Nord-
amerika liegt die Lokalschulaufsicht in den Händen
des Board of Trustees, einer Vereinigung von
drei durch das Volk gewählten Personen, welchen
außer der finanziellen Seite auch die Anstellung
und Entlassung des Lehrers und ein Teil der Auf-
sicht über den Unterricht obliegt. Außerdem wird
dort in vielen Gegenden eine Beaufsichtigung der
Schule und des Lehrers dadurch herbeigeführt,
daß jedem Erwachsenen das Recht zusteht, die
Schule zu einer beliebigen Zeit zu besuchen und
dem Unterricht zuzuhören.
Auf das Volksschulwesen in Preußen haben
schließlich auch noch Bezug die Art. 22 und 23
der Verfassung, denen aber die im Art. 26 vor-
gesehene gesetzliche Ausführung noch fehlt. Sie
bestimmen, unter Voraussetzung der sittlichen,
wissenschaftlichen und technischen Befähigung, die
Freiheit zur Erteilung von Unterricht und zur
Volksschulen.
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Gründung von Unterrichtsanstalten. Sie sind
prinzipiell die wichtigsten der auf das Unterrichts-
wesen bezüglichen Verfassungsbestimmungen. Das
lehrt z. B. ein Blick auf das heute unter frei-
maurerisch-sozialdemokratischem Terrorismus ste-
hende Frankreich, wo sich als wirksamste Waffe
des Freidenkertums gegen die Kirche und das
Christentum die systematische Erdrosselung der
Privatschulen bewährt.
4. Volksschüler. Die Schulpflicht der
Kinder ist in den verschiedenen Ländern verschieden
geordnet. In Bayern besteht sie seit 1802, in
Osterreich seit 1869, in Frankreich seit 1882. In
Preußen besteht eine gesetzliche Reglung des Unter-
richtszwangs einstweilen nicht, wenn sich auch das
Abgeordnetenhaus in den letzten Jahren wieder-
holt mit der Frage befaßte. Wohl aber eine ver-
fassungsmäßige. Art. 21 sagt: „Eltern und deren
Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflege-
befohlenen nicht ohne Unterricht lassen, welcher für
die öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben ist.“
Der Art. 21 geht seinerseits auf Bestimmungen
des Allgemeinen Landrechts (II Tit. 12, 88 43 ff)
sowie auf Allerhöchste Verordnungen bis auf die
Zeit des Großen Kurfürsten zurück. Nach dem
Allgemeinen Landrecht beginnt das schulpflichtige
Alter in Preußen mit zurückgelegtem 5. Lebens-
jahr. Dieser Termin erwies sich aber als zu früh,
so daß die für die einzelnen Provinzen bestehenden,
unerheblich voneinander abweichenden „Schulord-
nungen“ heute durchweg das vollendete 6. Lebens-
jahr ansetzen. Die Schulpflicht endet gewöhnlich
mit dem 14. Lebensjahr.
Einige Länder, wie Belgien, Spanien, Eng-
land, Nordamerika, kennen keinen unbedingten
Lernzwang, in andern stehen die diesbezüglichen
Vorschriften auf dem Papier. Meist beginnt die
Schulpflicht mit dem vollendeten 6. Lebensjahr,
in einigen, namentlich nordischen Staaten etwas
später. Sie dauert fast überall acht Jahre, nur
wenige Länder mit wenig entwickeltem Schulwesen
setzen eine geringere Zeit fest, andere Länder ver-
pflichten zwar nur zu sechs= oder siebenjährigem
Besuch der Volksschulen, doch besteht in ihnen ein
Zwang zum Besuch der Fortbildungsschulen. Der
Schulzwang erstreckt sich auf alle in der Volks-
schule gelehrten Unterrichtsgegenstände. Preußische
Kinder müssen nach einer Erkenntnis des Kammer-
gerichis vom 12. Okt. 1882 ihrer Schulpflicht in
einer preußischen Schule genügen, doch hat die preu-
ßische Regierung mit den Regierungen aller deut-
chen Bundesstaaten außer Bayern, Braunschweig
und Waldeck Verträge geschlossen, wonach diese
Staaten ihre Schulen gegenseitig als gleichartig
und für den Schulbesuch gleichwertig anerkennen.
Inneuerer Zeit hat das Kammergericht seine Praxis
sogar noch verschärft: es hat als Grundsatz auf-
gestellt, daß das Kind eines preußischen Staats-
bürgers auch eine preußische Schule besuchen müsse.
Das B.G.B. habe daran nichts geändert, da es
sich um eine öffentlich -rechtliche Verpflichtung
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