959
handle, die auf den Bestimmungen der Kabinetts-
order vom 14. Mai 1825 und des Allgemeinen
Landrechts beruhe. Die Kreis= und Lokalschul-
inspektoren haben auch den Unterricht jener Kinder
zu überwachen, welche nicht die öffentliche Volks-
schule besuchen. Eine vorzeitige Entlassung aus
der Volksschule ist fast überall möglich, wenn die
Familienverhältnisse sie erfordern und die Kinder
die nötige Reife erlangt haben. Hierüber ent-
scheidet in Preußen nach Anhörung der Ortsschul-
behörde der Kreisschulinspektor. Dagegen kann
meistens die Schulpflicht auch über das für die
Entlassung festgesetzte Alter ausgedehnt werden,
wenn die mangelnde Reife des Schülers dies not-
wendig erscheinen läßt. Durch verschiedene Straf-
mittel kann der regelmäßige Schulbesuch säumiger
Kinder erzwungen werden.
Während früher der Beschäftigung schulpflichti-
ger Kinder in Fabriken und Werkstätten nirgends
Grenzen gezogen waren und besondere Schulein-
richtungen mit Rücksicht auf diese Beschäftigung
zugelassen wurden, sucht man neuerdings die ge-
werbliche Lohnarbeit der Kinder immer mehr ein-
zuschränken. Die Reichsgewerbeordnung gestattet
noch die Beschäftigung schulpflichtiger 12= bis
14jähriger Kinder täglich während sechs Stunden
in Fabriken, wenn daneben drei Stunden Unter-
richt erteilt wird. Die Novelle vom 1. Juni 1891
aber verbietet allgemein eine derartige Beschäf-
tigung schulpflichtiger Kinder. Schulentlassene
Kinder unter 14 Jahren dürfen nach demselben
Gesetz in Fabriken nicht mehr als sechs Stunden
täglich arbeiten. Diese Bestimmung versetzte der
Fabrikarbeit der Kinder den Todesstoß, ließ aber
dafür die Kinderarbeit im Haus und auf der
Straße zu unheimlichem Umfang anschwellen.
Durch die Tätigkeit der Lehrervereine, namentlich
des Volksschullehrers Konrad Agahd zu Rixdorf,
wurde die Offentlichkeit immer wieder auf diese
Tatsache hingewiesen. Mannigfache Polizeiver=
ordnungen und Regierungsverfügungen suchten
dem Übel an einzelnen Orten Einhalt zu tun.
Endlich wurde am 30. März 1903 das Gesetz
betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben
erlassen. (Das Nähere findet sich in dem Art.
Kinderschutzgesetzgebung Bd III, Sp. 90.)
Die Volksschule muß alle Kinder ihres Bezirks
aufnehmen. Nun ist aber die Verwahrlosung in
jugendlichem Alter durchaus nicht selten und damit
die Gefahr gegeben, daß ganze Schulklassen durch
verdorbene Kinder angesteckt und auf den Weg des
sittlichen Verderbens gebracht werden. Darum
bestehen in fast allen Kulturstaaten Gesetze, welche
die Ausscheidung derartiger Elemente und ihre
Unterbringung in geschlossenen Anstalten ermög-
lichen. In Preußen machte das Gesetz vom
13. März 1878 eine solche Maßregel nicht allein
von der nachgewiesenen Verwahrlosung abhängig,
sondern Zwangserziehung konnte nur dann an-
gewendet werden, wenn ein verwahrlostes Kind
vor vollendetem zwölften Lebensjahr eine straf-
Volksschulen.
960
bare Handlung beging. Durch das Gesetz be-
treffend Fürsorgeerziehung Minderjähriger vom
2. Juli 1900 ist diese Beschränkung aufgehoben
worden. Jetzt kann der Vormundschaftsrichter ein
Kind zur Fürsorgeerziehung überweisen, wenn die
Eltern ihre Erziehungsgewalt mißbrauchen, wenn
sich die erziehliche Einwirkung des Elternhauses
oder anderer Erzieher zur Verhütung des sittlichen
Verderbens als unzulänglich erweist und selbst-
verständlich auch in jenen Fällen, in denen schon
nach dem früheren Gesetz eine Überweisung zu-
lässig war (vgl. d. Art. Fürsorgeerziehung Bd II,
Sp. 347 f.l.
In neuerer Zeit widmet man der gesundheit-
lichen Förderung der Schuljugend ein großes
Interesse. Namentlich sind es die Großstädte,
deren Schulkinder häufig in durchaus unzureichen-
den Wohnräumen aufwachsen und sich nicht durch
Beschäftigung oder fröhliches Spiel in freier Luft
genügend erholen können. Man sucht diesen hem-
menden Momenten durch mannigfache Veranstal-
tungen ein Gegengewicht zu bieten. Schon seit
längerer Zeit (in Preußen durch eine Kabinetts-
order vom 6. Juni 1842) ist das Turnen für die
Knaben eingeführt; die Großstädte sorgen auch
für das Turnen der Mädchen, das sonst noch
wenig verbreitet ist. Besondere Spielplätze und
Eisbahnen sind an vielen Orten eingerichtet,
Ferienkolonien werden entsandt, Schulausflüge
unternommen. Man schafft Badegelegenheit für
die Schuljugend, manchmal durch besondere Schul-
bäder. Kinderheilstätten und Genesungsheime,
Seehospize für Kinder werden immer zahlreicher
gegründet. Einen bedeutenden Einfluß erwartet
man für die gesundheitliche Förderung der Schul-
jugend von der Anstellung besonderer Schulärzte.
Durch die Dienstanweisung für Kreisärzte vom
23. März 1901 sind alle preußischen Schulen in
gesundheitlicher Beziehung der Uberwachung des
Kreisarztes unterstellt. Dieser hat jede Schule
innerhalb eines fünfjährigen Zeitraums einmal
eingehend zu besichtigen, sein Gutachten bei Neu-
bauten abzugeben, die Schließung der Schulen
beim Ausbruch ansteckender Krankheiten zu be-
wirken. In größeren Städten betraut man prak-
tische Arzte mit der Aussicht über die Schulen.
Sie haben alle Schulanfänger zu untersuchen,
ungeeignete zurückzustellen, für kranke einen
Überwachungsschein auszufertigen, die Schule in
regelmäßigen Zwischenräumen zu besichtigen, auf
Ansuchen schulsäumige Kinder in Bezug auf ihren
Gesundheitszustand zu untersuchen.
5. Schulorganisation. Durch den Lernzwang
sind Kinder aller Konfessionen und beider Ge-
schlechter bis zu einem gewissen Alter zum Besuch
der allgemeinen Volksschule genötigt, sofern sie
nicht höhere Schulen besuchen oder Privatunter-
richt erhalten. Angesichts dieses zwar nicht ab-
soluten, aber doch relativen Zwangs muß vom
christlichen Standpunkt aus die Forderung der
Konfessionsschule erhoben werden. Wenn die