Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

1019 
Haushaltungsvorstand, Geschlecht, Geburtstag, 
ejahr und ort, Religionsbekenntnis, Familien= 
stand, Beruf und Berufsstellung, Staatsangehö- 
rigkeit und Zugehörigkeit zum aktiven Militär eines 
Bundesstaats. Bei der Volkszählung von 1900 
wurden die Erhebungen von Reichs wegen auch 
noch auf die Muttersprache, die Blinden und 
Taubstummen, auf die Beziehungen des Wohn- 
und Beschäftigungsorts, auf die kirchlichen Be- 
zirke sowie auf die Bevölkerung auf deutschen 
Schiffen im Ausland ausgedehnt; auch die Ar- 
beitslosigkeit wurde schon erfragt (1895 und 
1910). Bei der am 1. Jan. 1911 in Ungarn 
vorgenommenen Volkszählung wurden über die 
Fruchtbarkeit der Ehen Erhebungen veranstaltet, 
ferner wurde gefragt, wie viele Personen die 
Volks= und Mittelschulen absolviert haben und 
welcher Gesellschaftsklassen sie angehören, um da- 
durch einen Einblick in die Kulturzustände der 
verschiedenen Bevölkerungsklassen zu gewinnen. 
Die größeren deutschen Städte mit eignen 
statistischen Amtern benutzen in der Regel die Ge- 
legenheit, mit der Volkszählung eine Grund- 
stücks= und Wohnungszählung zu ver- 
binden; diesem Umstand ist es allein zu danken, 
daß wir über die Wohnungsverhältnisse in Deutsch- 
land überhaupt statistisches Material besitzen. Von 
den größeren deutschen Bundesstaaten haben bis- 
her nur Baden, Württemberg und Sachsen allge- 
meine Landeswohnungserheb im Anschluß 
an die Volkszählung vorgenommen. 
Zählungszeit und Zählungsperiode 
sind in den einzelnen Ländern durchaus verschie- 
den. Im allgemeinen dürfen wegen der mit den 
Zählungen verbundenen Arbeit und Kosten die 
Zählungstermine nicht zu rasch aufeinander folgen, 
anderseits aber sollen die Zwischenräume auch nicht 
zu groß sein, da der Bevölkerungsstand in den 
bedeutenderen Kulturstaaten fortwährend einem 
starken Wechsel unterworfen ist und eine genaue 
Kenntnis der Bevölkerungsverhältnisse für Ver- 
waltung und Wissenschaft von erheblichem Wert 
ist. Während in den Vereinigten Staaten von 
Amerika, England, Osterreich, Schweiz, Italien, 
Belgien, den Niederlanden und den nordischen Län- 
dern 10jährige Zählungsperioden üblich sind, wird 
im Deutschen Reich und in Frankreich alle 5 Jahre 
gezählt. Der Zählungstag ist in eine Zeit zu 
verlegen, wo sich die Bevölkerung in einem mög- 
lichst ruhigen Zustand befindet und nicht beson- 
ders gereist wird. Im Deutschen Reich und in 
der Schweiz ist deshalb grundsätzlich der 1. Dez. 
als Zählungstag angenommen, wogegen Öster- 
reich, Belgien. Schweden und die Niederlande am 
31. Dez. ihre Volkszählungen vornehmen. England 
zählt im April, Frankreich im März und in den 
Vereinigten Staaten gilt der 1. Juni als Zäh- 
lungstermin. Manche Staaten haben abweichende 
Termine oder wechseln mit den Tagen. Während 
die Volkszählungen im Deutschen Reich ausschließ- 
lich im Winter vorgenommen werden, wurden die 
Volkszählung. 
  
1020 
Berufs= und Gewerbe-(Betriebs-) Zählungen bis- 
her stets auf den Sommer (Juni) verlegt, wo das 
wirtschaftliche Leben (insbesondere die Landwirt- 
chaft) am stärksten pulsiert. Als entscheiden- 
der Zeitpunkt gilt in den meisten Staaten die 
Mitternachtsstunde, so daß die vor Mitternacht 
Geborenen und nach Mitternacht Gestorbenen 
mitzuzählen sind; für die auf Reisen usw. befind- 
lichen Personen werden jeweils besondere Bestim- 
mungen erlassen. 
3. Organisation und Durchführung 
der Volkszählungen. Die Volkszählungen 
erfolgen entweder auf Grund eines besondern Ge- 
setzes, wie in Osterreich, oder auf dem Verord- 
nungsweg, wie im Deutschen Reich, durch Verord- 
nung des Bundesrats und Verfügungen der 
Einzelstaaten. Von der gewaltigen organisatori- 
schen und technischen Arbeit, die bei einer modernen 
Zählung zu bewältigen sind, kann sich der Außen- 
stehende kaum eine genügende Vorstellung machen. 
Da diese Erhebungen außerhalb des Bereichs der 
gewöhnlichen Verwaltungstätigkeit liegen und auf 
die Unterstützung der Bevölkerung in hohem Maß 
angewiesen sind, erfordern sie eine sorgfältige Vor- 
bereitung durch die statistischen Landeszentralen, 
die städtischen Statistischen Amter und die Ge- 
meindebehörden. Es wird nicht selten die Frage 
aufgeworfen, ob der beträchtliche Aufwand an 
Zeit, Geld und Arbeit so unbedingt nötig sei und 
die Bevölkerungszahl nicht auf eine andere ein- 
sachere und billigere Weise ermittelt werden könne. 
Hier ist jedoch daran zu erinnern, daß die Fest- 
stellung der Seelenzahl nicht der einzige, ja noch 
nicht einmal der hauptsächliche Zweck der Volks- 
zählungen ist. In Wirklichkeit kann dieselbe auch 
auf anderem Weg, mittels Fortschreibung, 
mit einiger Zuverlässigkeit ermittelt werden. Die 
größeren Städte insbesondere, welche für die ver- 
schiedensten Zwecke oft in kürzeren Perioden als 
5 Jahren Bevölkerungsziffern bedürfen, bedienen 
sich dieses Verfahrens, indem sie auf Grund des 
Ergebnisses der Volkszählungen die Vermehrung 
oder Verminderung der Bevölkerung durch Be- 
rücksichtigung des Geburtenüberschusses und der 
Wanderungsgewinne bzw. Sverluste berechnen. 
Diese Fortschreibungen sind aber, wie erst die 
letzten Volkszählungsergebnisse gezeigt haben, mit 
einer Menge von Fehlern behaftet, so daß es nötig 
ist, die Endzahlen mindestens in größeren Zwi- 
schenräumen wieder zu berichtigen. Hinsichtlich 
Organisation und Technik des Zählungswesens 
herrschen trotz der 100jährigen Erfahrung und 
der ausgiebigen theoretischen Erörterungen auf 
einer großen Anzahl von Kongressen noch erheb- 
liche Verschiedenheiten nicht nur in den bedeuten- 
deren Kulturländern, sondern auch innerhalb der 
deutschen Bundesstaaten, denen hierin weitgehende 
Freiheiten gelassen sind. Bei der Ausgestaltung 
der Erhebungen ist auch auf den Kultur= und Bil- 
dungsgrad der Bevölkerung sowie die Beschaffen- 
heit des Zählermaterials Rücksicht zu nehmen, da 
—
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.