89 Staatsverträge. 90
Staatsherrschers, sondern als eine nur zur Wah= gerufen ist, sich aber nichtsdestoweniger so stark
rung und Förderung des Wohls der Staats= erweist, daß es der Regierung in der Tat unmög-
bürger zu handhabende Machtfülle erscheint, den lich ist, die verfassungsmäßige Zustimmung zum
Grundsatz der Notwendigkeit der Zustimmung der Inslebentreten der mit einer auswärtigen Regie-
vertretenden Körperschaften zur Abtretung von rung vereinbarten Vertragsbestimmungen zu er-
Landesteilen oder gar des gesamten Staatsgebiets halten, mag sie auch alle ihr zu Gebot stehenden
an auswärtige Mächte direkt oder indirekt in sich gesetzlichen Mittel in Anwendung bringen, um
aufgenommen haben, braucht kaum erwähnt zu das Ziel zu erreichen. Derartige Verpflichtungen
werden. « bestehen ja tatsächlich und ohne Zweifel, sobald
Die neueren Staatsverfassungen sind aber noch der Staatsvertrag zwischen den Regierungen end-
einen bedeutenden Schritt weiter gegangen. Da= gültig geschlossen, d. h. in der gehörigen Weise
durch, daß sie das Zustimmungsrecht der parla= unterzeichnet und ratifiziert ist. Daher muß es
mentarischen Versammlungen zu den Gesetzen zum als eine sehr sachgemäße und vielen Unannehmlich=
Grundsatz erhoben, wurden die Regierungen hin= keiten, ja unter Umständen als eine sehr ernsten
sichtlich ihrer Freiheit mit Bezug auf den Abschluß Folgen vorbeugende Einrichtung bezeichnet werden,
von Staatsverträgen mit fremden Mächten in sehr daß der Neuzeit ihren Ursprung verdankende Ver-
wesentlichem Umfang beschränkt. Werden doch alle fassungen die Bestimmung enthalten, die Gültig-
wichtigen Gebiete des inneren staatlichen Lebens keit gewisser Staatsverträge mit dem Ausland solle
durch gesetzliche Festsetzungen, also durch Akte ge= überhaupt von der Zustimmung der gesetzmäßigen
ordnet, welche nur auf Grund der Beratung und Landesvertretung abhängig sein. Diese Zustim-
Beschlußfassung der vertretenden Körperschaften mung wird als Bedingung der Gültigkeit solcher
unter Genehmhaltung und ausdrücklicher Zustim= Verträge namentlich hinsichtlich der Fälle vor-
mung des Staatsoberhaupts, also des Monarchen gesehen, in welchen es sich um die Abtretung von
oder des Präsidenten der Republik, zustande kommen Teilen des Staatsgebiets oder von Staatseigen-
können. Alles, was auf die Rechtspflege und die tum, von Hoheitsrechten oder von Regalien han-
wesentlichen Bestimmungen der Verwaltung, auf delt; das gleiche gilt bezüglich der Handels= und
die privaten und öffentlichen Rechte der Landes= Schiffahrtsverträge und bezüglich derjenigen
bewohner, auf die von ihnen zu tragenden persön= Staatsverträge, welche auf einen Gegenstand Be-
lichen und finanziellen Lasten Bezug hat, bildet zug haben, worüber allein vermittelst eines auf
den Gegenstand der Gesetzgebung, welche einzig parlamentarischem Weg zustande gekommenen Ge-
und allein auf verfassungsmäßigem Weg vor sich setzes Bestimmungen getroffen werden dürfen, oder
gehen kann. So sind denn die Regierungen darauf wodurch dem Staat oder den Untertanen desselben
angewiesen, beim Abschluß internationaler Ab= Lasten zugemutet werden. Die preußische Ver-
machungen bezüglich der meisten Gegenstände mit fassung vom Jahr 1850 enthält im § 48 folgende
großer Vorsicht vorzugehen, damit sie sich nicht Bestimmung: „Die Staatsverträge bedürfen zu
einem Konflikt möglicherweise bedenklichster Art ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Kammern,
hinsichtlich ihrer Verpflichtungen einerseits gegen= sofern es Handelsverträge sind, oder wenn da-
über der betreffenden Macht, mit der sie vertrags= durch dem Staat Lasten oder einzelnen Staats-
mäßige Festsetzungen getroffen haben, anderseits bürgern Verpflichtungen auferlegt werden.“ Die
gegenüber der verfassungsmäßigen Landesver= deutsche Reichsverfassung vom Jahr 1871 ver-
tretung ausgesetzt sehen. fügt im Artikel 11: „Insoweit die Verträge mit
Solche Konflikte entstehen daraus, daß die fremden Staaten sich auf solche Gegenstände be-
Mächte in ihrem Verkehr miteinander und ins= ziehen, welche nach Artikel 4 in den Bereich der
besondere beim Abschluß von Staatsverträgen Reichsgesetzgebung gehören, ist zu ihrem Abschluß
voraussetzen müssen, daß sich die Regierungen, die Zustimmung des Bundesrats und zu ihrer
mit welchen sie unterhandeln, in der Lage sehen, Gültigkeit die Genehmigung des Reichstags er-
ihr Wort zu halten und die vertragsmäßig ge= forderlich.“ So hat nach dieser Verfassung der
gebenen Versprechungen wirklich zu erfüllen. Es Abschluß der Handelsverträge usw. nur dann für
muß vorausgesetzt werden, daß die vertragschließen= die Reichsregierung Verbindlichkeiten zur Folge,
den Regierungen die Sachlage in ihrem Land wenn die verfassungsmäßige Vertretung des Reichs
richtig zu überblicken vermögen und sich nicht zugestimmt hat. Auf diese Art ist auswärtigen
dazu verstehen werden, einem andern Staat An= Verwicklungen ein starker Damm entgegengesetzt,
erbietungen zu machen oder gar Verpflichtungen da die fremden Mächte wissen müssen, von welchen
gegen denselben einzugehen, welchen sie nach der Umständen die Durchführung der von ihnen mit
Hand gerecht zu werden außerstande sind. Es dem Deutschen Reich abgeschlossenen Verträge ab-
kann allerdings die öffentliche Meinung in einem hängig gemacht ist. Wo derartige verfassungs-
Land und im Anschluß daran auch die Mehrheit rechtliche Bestimmungen nicht in Kraft stehen, und
der gesetzmäßigen Vertretungskörper plötzlich von in den Fällen, in welchen man die Zustimmung
einer unwiderstehlichen Strömung erfaßt werden, der verfassungsmäßigen Landesvertretung als Vor-
die zwar unter Umständen nur von verblendeten bedingung des Inslebentretens des betreffenden
oder von geradezu gewissenlosen Hetzern hervor= Staatsvertrags nicht in diesem selbst vorbehalten