Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Gesetz vom 19. Febr. 1879, ferner auf der Ver- 
ordnung vom 30. Mai 1849 über die Ausfüh- 
rung der Wahlen der Abgeordneten zur zweiten 
Kammer, dem Gesetz betr. Einteilung der Wahl- 
kreise vom 27. Juni 1860, dem Wahlgesetz vom 
11. März 1869, dem Wahlreglement vom 4. Sept. 
1882, dem Gesetz betr. Anderung des Wahlver- 
fahrens vom 29. Juni 1893 und dem Reglement 
über die Ausführung der Wahlen vom 14. März 
1903 sowie endlich den Gesetzen vom 28. Juni 
1906, welche die Zahl der Abgeordneten durch 
Teilung der größten Wahlkreise um zehn ver- 
mehrten und die Vorschriften über das Verfahren 
bei den Wahlen in etwa abänderten. Preußen hat 
zwei Kammern. Die erste Kammer, das Herren- 
haus, sollte nach der Verfassung von 1850 bis 
zur Hälfte aus den Prinzen des königlichen Hauses, 
den Häuptern adliger Familien und von Personen 
bestehen, die vom König auf Lebenszeit berufen 
werden; die andere Hälfte sollte aus direkten 
Wahlen teils der Höchstbesteuerten teils der Ge- 
meindevertretungen der größeren Städte hervor- 
gehen. Das Gesetz vom 7. Mai 1853 beseitigte 
aber bereits die letztere Hälfte der Mitglieder der 
ersten Kammer, so daß das Herrenhaus seitdem 
besteht aus dem vom König berufenen großjährigen 
Prinzen des königlichen Hauses, aus Mitgliedern, 
die mit erblicher Berechtigung, und aus Mitglie- 
dern, die auf Lebenszeit vom König berufen werden. 
Der Charakter einer Volksvertretung ist also dem 
Herrenhaus völlig fremd. — Die zweite Kammer, 
das Abgeordnetenhaus, geht hervor aus indirekten, 
öffentlichen Wahlen, bei denen die Wahlberech- 
tigten je nach ihren Steuerleistungen in drei ver- 
schiedene Wählerklassen eingeteilt sind. Die Wahl 
ist indirekt, indem die Urwähler zunächst die Wahl- 
männer und diese dann die Abgeordneten wählen. 
Wahlberechtigter Urwähler ist jeder selbständige 
Preuße, welcher das 24. Lebensjahr vollendet, 
nicht den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte durch 
rechtskräftiges richterliches Erkenntnis verloren 
hat und nicht aus öffentlichen Mitteln Armen- 
unterstützung erhält, und zwar in jener Gemeinde, 
in der er seit 6 Monaten seinen Wohnsitz oder 
Aufenthalt hat. Nicht wahlberechtigt sind jene 
Personen, die nicht verfügungsfähig sind, also 
Wahnsinnige, Verschwender, Gefangene oder wer 
sich in Konkurs befindet. Das Wahlrecht ruht bei 
den zum aktiven Heer gehörigen Militärpersonen. 
Wohl können aber letztere zu Abgeordneten ge- 
wählt werden. Wählbar zum Abgeordneten ist 
jeder, der das 30. Lebensjahr vollendet hat, im 
Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte sich befindet 
und mindestens ein Jahr lang preußischer Staats- 
untertan ist. Ausgeschlossen von der Wählbarkeit 
zum Abgeordneten sind die Mitglieder des Herren- 
hauses sowie der Präsident und die Mitglieder 
der Oberrechnungskammer. Die übrigen Beamten 
dagegen sind sämtlich wahlfähig und bedürfen 
keines Urlaubs zum Eintritt in die Kammer. Die 
Gesamtzahl der Abgeordneten beträgt 443. Die 
Wahlrecht. 
  
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Urwahlbezirke sollen tunlichst so gebildet werden, 
daß die Zahl der zu wählenden Wahlmänner 
durch drei teilbar ist. Auf jede Vollzahl von 250 
Seelen ist ein Wahlmann zu wählen. Zählt eine 
Gemeinde weniger als 750 Seelen, so wird sie 
ebenso wie nicht zu einer Gemeinde gehörende be- 
wohnte Besitzungen vom Landrat mit einer oder 
mehreren benachbarten Gemeinden zu einem Ur- 
wahlbezirk vereinigt, ein Faktum, durch das ganze 
Gemeinden und dadurch dann auch wieder der 
ganze Wahlkreis unter Umständen politisch tot- 
geteilt werden kann. Gemeinden von 1750 Seelen 
und mehr sind von der Gemeindeverwaltungsbe- 
hörde in mehrere Urwahlbezirke zu teilen, und 
zwar so, daß höchstens sechs Wahlmänner darin 
zu wählen sind. — Die Urwählerlisten, welche die 
Namen der Urwähler und den Steuerbetrag, den 
jeder Urwähler in seinem Urwahlbezirk zu entrichten 
hat, enthalten, sind vor den Wahlmännerwahlen 
öffentlich zur allgemeinen Kenntnisnahme auszu- 
legen. Einsprüche sind innerhalb drei Tage nach 
der Bekanntmachung der Auflegung der Liste bei 
der Ortsbehörde oder der von dieser niedergesetzten 
Wahlkommission schriftlich oder zu Protokoll zu 
erheben. Die Entscheidung darüber steht in Städten 
der Kommunalverwaltungsbehörde, auf dem Land 
dem Landrat zu. . 
Die Wahlen erfolgen ferner auf Grund eines 
Dreiklassensystems, indem die Urwähler nach Maß- 
gabe der von ihnen zu entrichtenden direkten 
Staats-, Gemeinde-, Kreis-, Bezirks= und Pro- 
vinzialsteuern in drei Abteilungen geschieden wer- 
den. Wo direkte Gemeindesteuern nicht bestehen, 
treten an ihre Stelle die vom Staat veranlagten 
Grund-, Gebäude= und Gewerbesteuern. Die erste 
Klasse bilden die Höchstbesteuerten eines Bezirks, 
diedas erste Drittel der Gesamtsteuersumme leisten; 
die zweite Klasse die Zweithöchstbesteuerten, die 
das zweite Drittel aufbringen; die dritte Klasse 
endlich alle übrigen, einerlei, ob sie Steuern zahlen 
oder nicht. Jede diese drei Klassen wählt ohne 
Rücksicht auf die Zahl der in ihr sich befindenden 
Wähler die gleiche Anzahl von Wahlmännern. 
Das Übergewicht, das die wirtschaftlich potenteren 
Kreise der ersten und zweiten Wählerklasse gegen- 
über der dritten haben, wurde noch verstärkt durch 
das Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891. 
und das Vermögenssteuergesetz vom 14. Juli 
1893. Wenigstens einigermaßen, wenn auch nur 
sehr schwach, wurde dies wieder paralysiert durch 
*4 des Gesetzes vom 29. Juni 1893, wonach die 
Bildung der Klassen nicht wie früher gemeinde- 
weise, sondern innerhalb der einzelnen Urwahl- 
bezirke als solcher zu erfolgen hat. 
Die Wahlen der Wahlmänner vollziehen sich 
klassenweise durch Stimmabgabe zu Protokoll nach 
absoluter Mehrheit. Die Wahlmänner werden in 
jeder Klasse aus der Zahl der stimmberechtigten 
Urwähler des Urwahlbezirks gewählt, aber ohne 
Rücksicht auf die Klasse, zu der sie an sich gehören. 
Stimmen, die unter Protest oder Vorbehalt ab-
	        
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