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glieder) noch weitere 3 Jahre im Amt. Den er-
ledigten übrigen 25 treten bei den Neuwahlen 8
neue Abgeordnete hinzu. Die Erste Kammer, die
seither die übliche Standesvertretung zeigte, ist im
wesentlichen nicht viel verändert worden. Neu
hinzugekommen ist neben dem Vertreter der Uni-
versität Gießen auch ein solcher für die Technische
Hochschule in Darmstadt sowie je ein Vertreter
des Handels, des Handwerks und der Landwirt-
schaft, die der Großherzog auf Vorschlag der betref-
fenden gesetzlich eingerichteten Berufskörperschaften
auf die Dauer einer Legislaturperiode beruft.
In Elsaß-Tothringen erlosch infolge der
Einführung der Reichsverfassung am 1. Jan. 1874
die kaiserliche Gesetzgebungsgewalt, die seit der
Wiederzugehörigkeit der Reichslande zum Deut-
schen Reich bis dahin allein maßgebend war. Der
Erlaß der Landesgesetze erfolgte nunmehr durch
Bundesrat und Reichstag. Durch kaiserliche Ver-
ordnung vom 29. Okt. 1874 wurde der Landes-
ausschuß begründet, der anfangs lediglich beraten-
des Organ war und den Charakter einer Provin-
zialvertretung hatte. Durch spätere Reichsgesetze
sind ihm auch beschließende Befugnisse ähnlich
denen der Landtage der Einzelstaaten beigelegt
worden. Ursprünglich ging der Landesausschuß
aus Wahlen der 3 Bezirkstage hervor, indem
jeder aus seiner Mitte 10 Mitglieder und 3 Stell-
vertreter wählte. Seit 1. Okt. 1879 bestand der-
selbe aus 58 Mitgliedern, und zwar derart, daß
34 von den Bezirkstagen gewählt wurden, 4 wei-
tere wurden gewählt von den Gemeinderäten der
Städte Straßburg, Mülhausen, Metz und Kolmar,
die übrigen 20 wurden in den 20 Landkreisen
gewählt. Die Wahl wurde getätigt durch Wahl-
männer, welche die Gemeinderäte aus ihrer Mitte
wählten. Wählbar war, wer wahlberechtigt zu den
Gemeindewahlen war und in dem betreffenden
Verwaltungsbezirk seinen Wohnsitz hatte. Alle
Wahlen waren geheim und geschahen auf 3 Jahre.
— Der Kampf um eine Verfassungsreform im
Reichsland, der seit Jahr und Tag geführt wurde,
umfaßte stets auch die Forderung nach einer
größeren Selbständigkeit in der Reglung der
eignen Landesangelegenheiten. Diesem Verlangen
sucht nun die Verfassungsreform für Elsaß-Loth-
ringen vom 31. Mai 1911 (ergänzt durch die
Wahlordnung vom 31. Juli 1911) gerecht zu
werden, die mit dem 1. Sept. 1911 in Kraft trat.
Danach werden Landesgesetze für das Reichsland
nunmehr nur noch vom Kaiser mit Zustimmung
des aus zwei Kammern bestehenden elsaß-loth-
ringischen Landtags erlassen. Der Ersten Kammer
gehören an die Bischöfe von Straßburg und Metz
sowie während der Sedisvakanz eines der Bis-
tümer sein ältester Bistumsverweser, der Präsi-
dent des Oberkonsistoriums der Kirche augsburgi-
scher Konfession sowie der des Synodalvorstandes
der reformierten Kirche, der Präsident des Ober-
landesgerichts zu Kolmar, ein ordentlicher Pro-
fessor der Universität Straßburg, den die ordent-
Wahlrecht.
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lichen Professoren aus ihrer Mitte wählen, ein
von den israelitischen Konsistorien aus ihrer Mitte
gewählter Vertreter, je ein von den Gemeinde-
räten von Straßburg, Metz, Kolmar und Mül-
hausen aus ihrer Mitte gewählter Vertreter, je ein
von den Handelskammern Straßburg, Metz, Kol-
mar und Mülhausen gewählter Vertreter, je zwei
vom Landwirtschaftsrat gewählte Landwirte der
Bezirke Oberelsaß, Unterelsaß und Lothringen,
deren je einer aus jedem Bezirk bäuerlicher Klein-
besitzer sein muß, zwei von der Handwerkskammer
in Straßburg gewählte Vertreter. Hierzu sollen
noch 3 Vertreter des Arbeiterstandes kommen, so-
bald durch Reichs= und Landesgesetz eine Arbeiter-
vertretung geschaffen ist, der die Wahl dieser Ver-
treter übertragen werden kann. Endlich gehören
zur Ersten Kammer in Elsaß-Lothringen wohn-
hafte Reichsangehörige, welche der Kaiser auf
Vorschlag des Bundesrats ernennt; die Zahl dieser
ernannten Mitglieder darf jedoch die der übrigen
Mitglieder nicht übersteigen. Die Mitgliedschaft
der gewählten und ernannten Mitglieder dauert
5 Jahre vom Tag der Ernennung an. Sie er-
lischt ferner mit dem Wegfall der gesetzlichen Vor-
aussetzungen für die Berufung sowie durch Auf-
lösung der Ersten Kammer. — Die Zweite Kam-
mer geht hervor aus allgemeinen direkten Wahlen
mit geheimer Abstimmung. Die Abgeordneten
werden auf 5 Jahre gewählt. Die Wahlprüfung
steht nicht dem Landtag, sondern dem obersten
Verwaltungsgerichtshof (bis zu seiner Errichtung
einem Senat des Oberlandesgerichts) zu. Die
Zweite Kammer zählt 60 Abgeordnete. Wahl-
berechtigt sind alle Elsaß-Lothringer, sofern sie im
Zeitpunkt der Wahl im Besitz der Reichsange-
hörigkeit sind, das 25. Lebensjahr zurückgelegt
haben und seit mindestens 3 Jahren ihren Wohn-
sitz in Elsaß-Lothringen haben. Bei Einwohnern,
die in Elsaß-Lothringen ein öffentliches Amt aus-
üben, Religionsdiener oder Lehrer an öffentlichen
Schulen sind, genügt ein Wohnsitz von einjähriger
Dauer. Das Wahlrecht darf nur in der Ge-
meinde ausgeübt werden, in der der Wahlberech-
tigte seit mindestens einem Jahr seinen Wohnsitz
hat. Zur Wahlfähigkeit wird das zurückgelegte
30. Lebensjahr, der Besitz der Reichsangehörig-
keit seit mindestens 3 Jahren, ein ebenso langer
Wohnsitz in Elsaß-Lothringen und die Leistung
einer direkten Staatssteuer verlangt. Als gewählt
gilt, wer im Wahlkreis die meisten Stimmen und
zugleich mehr als die Hälfte der abgegebenen gül-
tigen Stimmen erhalten hat. Falls sich eine solche
Majorität beim ersten Wahlgang nicht auf einen
Kandidaten vereinigt, findet am siebten Tag nach
der Hauptwahl eine Nachwahl statt, bei der als
gewählt gilt, wer die meisten gültigen Stimmen
erhalten hat. Bei Stimmengleichheit entscheidet
das Los.
Über das Wahlrecht der kleinen deutschen Bun-
desstaaten und das der außerdeutschen Staaten
vgl. die betr. Länderartikel.