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allem, den Widerstand des Königs gegen den Ein-
tritt Hannovers in den Zollverein zu überwinden.
Ein nicht minder großes Verdienst erwarb er sich
um das Zustandekommen der neuen Justizorgani-
sationen (Gerichtsverfassungsgesetz, Zivilprozeß-
ordnung, Strafprozeßordnung usw.), welche in
mehrfacher Beziehung für die späteren Rechts-
institutionen des Deutschen Reichs vorbildlich
waren. Durch Vermittlung Windthorsts wurde bei
dem damals vorgenommenen umfassenden Per-
sonalwechsel auch Rudolf v. Bennigsen als Ober-
gerichtsassessor und Vertreter des Staatsanwalts
nach Hannover berufen. Wegen der beabsichtigten
Neuorganisation der Provinziallandschaften, wel-
cher die Ritterschaft einen heftigen Widerstand
entgegensetzte, kam es zu einem Verfassungskonflikt
und dem Versuch einer Einmischung des Bundes-
tags. In diesen Verfassungsstreit griff auch der
damalige preußische Bundestagsgesandte v. Bis-
marck-Schönhausen, und zwar zu Ungunsten der
v. Scheleschen Verfassungsvorlagen, ein. Als eine
Verständigung sich als aussichtslos erwiesen hatte,
trat das Ministerium v. Schele-Windthorst zurück.
Das neue Ministerium v. Lütcken erlitt bei den
Neuwahlen zur Zweiten Kammer eine Niederlage.
Windthorst, in drei Bezirken gewählt, behielt das
Mandat für seinen früheren Wahlkreis bei. Die
Kammer wurde jedoch von einem ausschließlich
aus Mitgliedern der Ritterschaft neugebildeten
Ministerium Graf Kielmansegg-v. Borries aber-
mals aufgelöst und durch Oktroyierung vom
1. Aug. 1855 das Verfassungsgesetz vom 5. Sept.
1848 in seinen wichtigsten Bestimmungen be-
seitigt. Die Mehrheit auch der neuen Kammer
setzte aber unter Führung von Graf Bennigsen,
v. Münchhausen und Windthorst den Kampf gegen
das rückschrittliche Ministerium entschieden fort.
Da eine Vereinbarung über die den Ständen
nachträglich zur Genehmigung vorgelegten sog.
Notgesetze zwischen den beiden Kammern nicht zu
erzielen war, erfolgte am 8. Nov. 1856 eine noch-
malige Auflösung der Kammer. Aus den Wahlen
gingen sechs frühere Minister der Opposition als
gewählt hervor, darunter Windthorst; allen wurde
auf Grund einer willkürlichen Deklaration des
Staatsdienergesetzes die königliche Genehmigung
zum Eintritt in die Kammer verweigert. Die
durch königliche Verordnung befohlene Einführung
eines neuen Katechismus für die evangelisch-luthe-
rische Landeskirche führte zum Sturz des Ministers
v. Borries, der ein Gegner dieser Neuerung war.
Georg V. berief nun Windthorst abermals als
Justizminister; mit diesem traten drei Minister
neu in das Kabinett ein, darunter Lichtenberg für
den Kultus. Die Wahlen des Jahrs 1863 er-
gaben eine starke liberale Mehrheit der Zweiten
Kammer. Das Ministerium war wie alle seine
Vorgänger partikularistisch und großdeutsch ge-
sinnt. Zum zweitenmal kam unter Windthorsts
Mitwirkung der Zollvertrag zustande, infolge
dessen Hannover im deutschen Zollverein verblieb.
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl.
Windthorst.
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Als der König sich weigerte, ein vom Ministerium
durchgebrachtes Gesetz zu unterzeichnen, welches
das Wahlrecht für die Zweite Kammer durch
Herabsetzung des Zensus erweitern sollte, reichte
das Ministerium seine Entlassung ein. Windt-
horst nahm die Anwaltschaft wieder auf, und zwar
nunmehr in Hannover. Im Mai 1866 wurde
er als Kronoberanwalt an das Oberappellations-
gericht in Celle berufen. In dieser Stellung war
er, als der Krieg von 1866 der Selbständigkeit
des Königreichs Hannover ein Ende machte.
So schmerzlich Windthorst diesen Wandel der
Dinge empfand, so zog er sich doch nicht in den
politischen Schmollwinkel zurück, ließ sich vielmehr
sowohl in den Reichstag des Norddeutschen Bundes
als ins preußische Abgeordnetenhaus wählen. Da-
mit trat er auf den größeren politischen Schau-
platz, auf dem er eine so bedeutungsvolle Rolle
spielen sollte. In mustergültiger Weise verstand
er es, die Anhänglichkeit an das Welfenhaus,
welches ihn zweimal in den Rat der Krone be-
rufen hatte, mit den Pflichten zu vereinigen, welche
ihm der Eid auf die preußische Verfassung auf-
erlegte, den er als preußischer Abgeordneter zu
leisten hatte. Die Angriffe, welchen er wegen
seines Welfentums ausgesetzt war, wies er jeder-
zeit siegreich zurück, besonders in einer überaus
wirkungsvollen persönlichen Bemerkung auf eine
in der Sitzung des preußischen Abgeordneten-
hauses vom 9. Febr. 1872 gegen ihn gerichtete
lange Rede des Fürsten Bismarck, welche darauf
abzielte, das Zentrum vom Abg. Windthorst zu
trennen. v. Mallinckrodt lehnte diese Zumutung
namens des Zentrums ab, dabei Windthorst als
die Perle bezeichnend, welche durch das Zentrum
ihre richtige Fassung erhalten habe.
Anfang 1867 war Windthorst mit der gesetz-
lichen Pension aus dem preußischen Staatsdienst
getreten, in welchen er nach der Einverleibung
Hannovers zunächst übernommen worden war.
Es gelang ihm als Bevollmächtigten des han-
noverschen Königshauses, unterm 29. Sept. 1867
einen Vertrag mit dem Staat Preußen abzu-
schließen, durch welchen dem König Georg die
Zinsen eines Betrags von 16 Mill. Taler zu-
erkannt wurden. Durch königliche Verordnung,
welche zugleich mit dem Gesetz (3. März 1868)
erschien, wurde aber die Summe sofort mit Be-
schlag belegt und dem Ministerium „zur Abwehr
welfischer Umtriebe“ zur Verfügung gestellt. Dieser
„Welfenfonds“, der eine große Rolle namentlich
bei der Beeinflussung der Presse spielte („Rep-
tilienfonds“), wurde von Windthorst aufs schärfste
bekämpft, aber erst nach Windthorsts Tod beseitigt
(10. April 1892).
Bei den am 12. Febr. 1867 vollzogenen Wahlen
zum konstituierenden Reichstag hatte Windthorst
ein Mandat im dritten hannoverschen Wahlkreis
Meppen-Lingen--Bentheim (mit 14 428 gegen
6062 Stimmeny erhalten. Windthorst blieb bis
zu seinem Tod der „Abgeordnete für Meppen“.
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