Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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würde, wenn ein anderer käme, und den tüchtigen 
loyalen und tätigen Mann müsse es tief kränken.“ 
Der Versuch einer Märchenbildung auf Kosten 
des Führers der deutschen Zentrumspartei war 
anfangs nicht ganz erfolglos. Selbst unter den 
Katholiken gab es allzu Argwöhnische, welche dem 
Katholizismus Windthorsts nicht recht trauten, 
ihn wohl dem früh verstorbenen v. Mallinckrodt 
gegenüberstellten. Mehr und mehr aber verlor sich 
dieser Argwohn, dem es an jeder tatsächlichen 
Unterlage fehlte. Wie diejenigen wissen, welche 
Windthorst im Leben näher gestanden haben, hat 
er während der gesamten Zeit seines politischen 
Wirkens als Katholik gelebt, und er ist als solcher 
gestorben. Einer der ältesten Parteigenossen Windt- 
horsts. August Reichensperger, der in manchen 
Fragen Windthorst kritisch gegenüberstand, dik- 
tierte seinem Biographen Pastor in die Feder: 
„Wenn man Windthorst vorgeworfen hat, die 
katholischen Angelegenheiten seien ihm nicht Her- 
zenssache gewesen, er habe den Katholizismus nur 
als Aushängeschild benutzt, so ist das eine große 
Ungerechtigkeit. Auf Grund langjähriger Be- 
kanntschaft — schon 1855 stand ich mit ihm in 
Verbindung — kann ich feststellen, daß er stets 
ein gläubiger Katholik gewesen ist“ (Pastor, Aug. 
Reichensperger II 398). Sehr charakteristisch ist 
eine Notiz in v. Gerlachs Tagebuch (18. Febr. 
1873): „Windthorst erzählte mir den Tod seines 
einzigen Sohnes unter der Pflege einer Barm- 
herzigen Schwester in Osnabrück nach Empfang 
der Sterbesakramente und sprach sich gründlich 
und innig dahin aus, wie einem solchen Ende 
entgegen zu gehen ihm ein und alles sei. Dann, 
wie er meist unter Protestanten gelebt und wie er 
fest hoffe, mit seinen protestantischen Freunden 
jenseits ewig vereint zu sein“ (Ernst Ludwig 
v. Gerlach. Aufzeichnungen aus seinem Leben und 
Wiren. Hrsg. von Jakob v. Gerlach II (1903] 
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Es ist auch leicht darzutun, daß Windthorst die 
Grundsätze der Kirchen= und Schulpolitik, für 
welche er an der Spitze der Zentrumsfraktionen 
kämpfte, schon in seiner hannoverschen Zeit als 
Mitglied der Zweiten Kammer wie als Minister 
vertreten hat. Als das Ministerium Stüve, dem 
er sonst die wirksamste Unterstützung angedeihen 
ließ, im Jahr 1850 die Trennung der Schule 
von der Kirche anbahnen wollte, trat Windthorst 
ihm nachdrücklich entgegen. „Windthorst“, so 
schrieb die „Hannoversche Zeitung“ vom 2. Juli 
1850, „„trat als entschiedener Opponent gegen die 
Vorlage auf, indem er sich auf die Rechte der 
Kirche berief.“ Die Gesellschaft, so führte er aus, 
könne nur gerettet werden, wenn die Religion 
wieder zum Fundament der gesamten Erziehung 
gemacht werde. In der Nummer vom 3. Juli 
1850 schrieb die vorgenannte Zeitung: „Die 
Opposition ging fast lediglich von den Mitglie- 
dern katholischer Konfession aus, deren Führer 
Windthorst in Konsequenz seiner gestern dar- 
Windthorst. 
  
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gelegten Ansichten zu den einzelnen Paragraphen 
eine Reihe von Verbesserungsanträgen stellte, 
welche sämtlich die Tendenz hatten, der Kirche 
ihren bisherigen Einfluß auf die Volksschule un- 
geschmälert zu erhalten.“ Als Windthorst im 
Jahr 1851 zum erstenmal Justizminister wurde, 
schrieb man dem „Würzburger katholischen Sonn- 
tagsblatt“ (Beilage vom 7. Dez. 1851) aus Han- 
nover: „Hannover hat durch seinen neuen (erblin- 
deten) König Georg V. in dem Oberappellrat 
Windthorst — dem Präsidenten der Zweiten 
Kammer — seinen ersten katholischen Minister 
erhalten. Derselbe hat in der Kammer die Rechte 
der katholischen Kirche stets kräftig vertreten und 
ist überhaupt der entschiedenste und unerschrockenste 
Vorkämpfer der katholischen Sache in Hannover, 
wo die zahlreiche katholische Bevölkerung bisher 
von nichts zu erzählen wußte als von Verkür- 
zungen ihres guten Rechts, von Drangsalen und 
Quälereien aller Art.“ 
Auch das schöne Denkmal in Stein, welches 
Windthorst sich selbst in Hannover gesetzt hat, ist 
doch ebenso sehr ein Beweis für sein religiöses Inter- 
esse wie für seine Uneigennützigkeit: die Marien- 
kirche, welche er aus den Beiträgen seiner Verehrer in 
ganz Deutschland erbauen konnte, nachdem er eine 
ihm zugedachte persönliche Zuwendung (eine Villa 
bei Hildesheim) abgelehnt hatte. Allerdings war 
Windthorst keiner von denen, welche ihr religiöses 
Innenleben zu offenbaren liebten. Zutreffend hat 
anläßlich der Kulemannschen „Eindrücke“ ein 
parlamentarischer Mitarbeiter Windthorsts wäh- 
rend dessen letzten Lebensabschnittes in der „Köl- 
nischen Volkszeitung“ die Frage gestellt: „Ist 
dasjenige religiöse Gefühl, welches zu unaus- 
gesetztester ernstester Arbeit im Sinn der katholi- 
schen Uberzeugung treibt, weniger hoch zu werten, 
wie ein religiöses Gefühl, welches in anderer 
Weise sich äußert?“ Windthorst war ein Katholik 
der Tat und der Arbeit, und als solcher hat 
er, wie der damalige Bischof von Hildesheim, 
Dr Jacobi, auf der im Jahr 1891 in Hildesheim 
abgehaltenen Generalversammlung der Görres- 
Gesellschaft in seiner Nebeneinanderstellung von 
Görres und Windthorst bezeugte, „großartigen 
Einfluß auf kirchlichen Sinn und katholisches 
Leben in Deutschland ausgeübt"“. 
Zutreffend sagt Leo v. Savigny, einer der Führer 
der zur Bekämpfung des Zentrums gegründeten 
Deutschen Vereinigung, im Novemberheft 1907 
der „Zeitschrift für Politik“, bei Besprechung 
des Windthorstbuches von Ed. Hüsgen: „Hinter 
der Außenseite, die nicht selten eine gewisse 
Skepsis zur Schau trug, barg sich ein tiefgläu- 
biges, seiner Kirche im Innersten anhängliches 
Gemüt. Und aus jenem katholischen Glauben, 
aus den historischen Traditionen, die sein Wesen 
von der Osnabrückschen Muttererde mitgenommen 
hatte, ist seine Eigenart am besten zu verstehen.“ 
Auf protestantischer Seite kommt in einer Wür- 
digung des Hüsgenschen Buches (in Nr 4 der 
36“ 
 
	        
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