1125
würde, wenn ein anderer käme, und den tüchtigen
loyalen und tätigen Mann müsse es tief kränken.“
Der Versuch einer Märchenbildung auf Kosten
des Führers der deutschen Zentrumspartei war
anfangs nicht ganz erfolglos. Selbst unter den
Katholiken gab es allzu Argwöhnische, welche dem
Katholizismus Windthorsts nicht recht trauten,
ihn wohl dem früh verstorbenen v. Mallinckrodt
gegenüberstellten. Mehr und mehr aber verlor sich
dieser Argwohn, dem es an jeder tatsächlichen
Unterlage fehlte. Wie diejenigen wissen, welche
Windthorst im Leben näher gestanden haben, hat
er während der gesamten Zeit seines politischen
Wirkens als Katholik gelebt, und er ist als solcher
gestorben. Einer der ältesten Parteigenossen Windt-
horsts. August Reichensperger, der in manchen
Fragen Windthorst kritisch gegenüberstand, dik-
tierte seinem Biographen Pastor in die Feder:
„Wenn man Windthorst vorgeworfen hat, die
katholischen Angelegenheiten seien ihm nicht Her-
zenssache gewesen, er habe den Katholizismus nur
als Aushängeschild benutzt, so ist das eine große
Ungerechtigkeit. Auf Grund langjähriger Be-
kanntschaft — schon 1855 stand ich mit ihm in
Verbindung — kann ich feststellen, daß er stets
ein gläubiger Katholik gewesen ist“ (Pastor, Aug.
Reichensperger II 398). Sehr charakteristisch ist
eine Notiz in v. Gerlachs Tagebuch (18. Febr.
1873): „Windthorst erzählte mir den Tod seines
einzigen Sohnes unter der Pflege einer Barm-
herzigen Schwester in Osnabrück nach Empfang
der Sterbesakramente und sprach sich gründlich
und innig dahin aus, wie einem solchen Ende
entgegen zu gehen ihm ein und alles sei. Dann,
wie er meist unter Protestanten gelebt und wie er
fest hoffe, mit seinen protestantischen Freunden
jenseits ewig vereint zu sein“ (Ernst Ludwig
v. Gerlach. Aufzeichnungen aus seinem Leben und
Wiren. Hrsg. von Jakob v. Gerlach II (1903]
60
Es ist auch leicht darzutun, daß Windthorst die
Grundsätze der Kirchen= und Schulpolitik, für
welche er an der Spitze der Zentrumsfraktionen
kämpfte, schon in seiner hannoverschen Zeit als
Mitglied der Zweiten Kammer wie als Minister
vertreten hat. Als das Ministerium Stüve, dem
er sonst die wirksamste Unterstützung angedeihen
ließ, im Jahr 1850 die Trennung der Schule
von der Kirche anbahnen wollte, trat Windthorst
ihm nachdrücklich entgegen. „Windthorst“, so
schrieb die „Hannoversche Zeitung“ vom 2. Juli
1850, „„trat als entschiedener Opponent gegen die
Vorlage auf, indem er sich auf die Rechte der
Kirche berief.“ Die Gesellschaft, so führte er aus,
könne nur gerettet werden, wenn die Religion
wieder zum Fundament der gesamten Erziehung
gemacht werde. In der Nummer vom 3. Juli
1850 schrieb die vorgenannte Zeitung: „Die
Opposition ging fast lediglich von den Mitglie-
dern katholischer Konfession aus, deren Führer
Windthorst in Konsequenz seiner gestern dar-
Windthorst.
1126
gelegten Ansichten zu den einzelnen Paragraphen
eine Reihe von Verbesserungsanträgen stellte,
welche sämtlich die Tendenz hatten, der Kirche
ihren bisherigen Einfluß auf die Volksschule un-
geschmälert zu erhalten.“ Als Windthorst im
Jahr 1851 zum erstenmal Justizminister wurde,
schrieb man dem „Würzburger katholischen Sonn-
tagsblatt“ (Beilage vom 7. Dez. 1851) aus Han-
nover: „Hannover hat durch seinen neuen (erblin-
deten) König Georg V. in dem Oberappellrat
Windthorst — dem Präsidenten der Zweiten
Kammer — seinen ersten katholischen Minister
erhalten. Derselbe hat in der Kammer die Rechte
der katholischen Kirche stets kräftig vertreten und
ist überhaupt der entschiedenste und unerschrockenste
Vorkämpfer der katholischen Sache in Hannover,
wo die zahlreiche katholische Bevölkerung bisher
von nichts zu erzählen wußte als von Verkür-
zungen ihres guten Rechts, von Drangsalen und
Quälereien aller Art.“
Auch das schöne Denkmal in Stein, welches
Windthorst sich selbst in Hannover gesetzt hat, ist
doch ebenso sehr ein Beweis für sein religiöses Inter-
esse wie für seine Uneigennützigkeit: die Marien-
kirche, welche er aus den Beiträgen seiner Verehrer in
ganz Deutschland erbauen konnte, nachdem er eine
ihm zugedachte persönliche Zuwendung (eine Villa
bei Hildesheim) abgelehnt hatte. Allerdings war
Windthorst keiner von denen, welche ihr religiöses
Innenleben zu offenbaren liebten. Zutreffend hat
anläßlich der Kulemannschen „Eindrücke“ ein
parlamentarischer Mitarbeiter Windthorsts wäh-
rend dessen letzten Lebensabschnittes in der „Köl-
nischen Volkszeitung“ die Frage gestellt: „Ist
dasjenige religiöse Gefühl, welches zu unaus-
gesetztester ernstester Arbeit im Sinn der katholi-
schen Uberzeugung treibt, weniger hoch zu werten,
wie ein religiöses Gefühl, welches in anderer
Weise sich äußert?“ Windthorst war ein Katholik
der Tat und der Arbeit, und als solcher hat
er, wie der damalige Bischof von Hildesheim,
Dr Jacobi, auf der im Jahr 1891 in Hildesheim
abgehaltenen Generalversammlung der Görres-
Gesellschaft in seiner Nebeneinanderstellung von
Görres und Windthorst bezeugte, „großartigen
Einfluß auf kirchlichen Sinn und katholisches
Leben in Deutschland ausgeübt"“.
Zutreffend sagt Leo v. Savigny, einer der Führer
der zur Bekämpfung des Zentrums gegründeten
Deutschen Vereinigung, im Novemberheft 1907
der „Zeitschrift für Politik“, bei Besprechung
des Windthorstbuches von Ed. Hüsgen: „Hinter
der Außenseite, die nicht selten eine gewisse
Skepsis zur Schau trug, barg sich ein tiefgläu-
biges, seiner Kirche im Innersten anhängliches
Gemüt. Und aus jenem katholischen Glauben,
aus den historischen Traditionen, die sein Wesen
von der Osnabrückschen Muttererde mitgenommen
hatte, ist seine Eigenart am besten zu verstehen.“
Auf protestantischer Seite kommt in einer Wür-
digung des Hüsgenschen Buches (in Nr 4 der
36“