Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

1129 Windthorst. 1130 
stellung der katholischen Kirche zu schützen und die der allzu dehnbaren Fassung des dem Staat be- 
kirchliche Freiheit zu sichern vermag. Ebenso klar willigten Einspruchsrechts hatte. 
erkannte Windthorst, daß im Widerstreit der mal Anderseits wahrte er nachdrücklich die Selb- 
teriellen Interessen, welcher immer schärfer in der ständigkeit des Zentrums in rein politischen 
Gesetzgebung sich geltend macht, die Zentrums-Dingen. Gegenüber einem an den Vorsitzenden 
fraktion mehr als jede andere auf eine Politik des der Zentrumsfraktion des Reichstags, Frhrn zu 
Ausgleichs sich hingewiesen sehe; jeder Versuch Franckenstein, zur vertraulichen Mitteilung an 
einseitiger Vertretung eines Einzelinteresses be-Windthorst gerichteten Schreiben des Kardinal- 
gegnete daher seiner unerbittlichen Gegnerschaft. Staatssekretärs Jacobini vom 3. Jan. 1887, 
Den größten Wert legte er auf ein möglichst ge= welches den Wunsch des Papstes ausdrückte, das 
schlossenes Auftreten des Zentrums in allen wich-Zentrum möge dem sog. Septennatsgesetz zustim- 
tigeren Fragen. Die Disziplin vermochte er infolge men, um dadurch die Regierung den Katholiken 
seiner großen Autorität trotz der Zusammensetzung und dem Heiligen Stuhl günstiger zu stimmen, 
des Zentrums aus Angehörigen aller deutschen antwortete Frhr zu Franckenstein auf Betreiben 
Stämme und aus allen Ständen ungeschwächt zu Windthorsts: „Ich brauche nicht zu sagen, daß 
erhalten. So gelang es ihm, im Reichstag all= das Zentrum immer glücklich war, den Weisungen 
mählich seine Fraktion in allen politischen und des Heiligen Stuhls nachzukommen, wenn es sich 
wirtschaftlichen Fragen zum ausschlaggebenden um kirchliche Gesetze handelte. Ich habe mir aber 
Faktor zu machen. Diese Stellung im Reichstag schon im Jahr 1880 erlaubt, darauf aufmerksam 
wußte er dann in geschicktester Weise zu einer Ein= zu machen, daß es für das Zentrum absolut un- 
wirkung auf die Verhältnisse in Preußen zu be= möglich ist, bei nicht kirchlichen Gesetzen gegebenen 
nutzen. « Direktiven Folge zu leisten. Nach meiner Ansicht 
Im Lauf des weltbewegenden kirchenpolitischen würde es ein Unglück für das Zentrum und eine 
Konflikts der 1870er und 1880er Jahre ließ Windt= reiche Quelle von Unannehmlichkeiten für den Hei- 
horst es sich angelegen sein, die römische Kurie über ligen Stuhl sein, wenn das Zentrum in Fragen, 
die deutschen Verhältnisse zuverlässig zu unterrich= welche die Rechte der Kirche nicht berühren, sich 
ten. Er veranlaßte, daß die Schrift Jul. Bachems Instruktionen von dem Heiligen Stuhl erbitten 
„Preußen und die katholische Kirche“ in usum würde.“ (Je n’ai pas besoin de dire due le 
curiae ins Italienische übersetzt wurde; bei wich- Centre fut toujours heureux d’exécuter les 
tigeren schwebenden Einzelfragen gingen regel- ordres du Saint-Siege, lorsqu’il s’agissait 
mäßig knappe, bestimmt gehaltene Informationen des lois ecclésiastiques, mais je me suis 
auf schriftlichem Weg nach Rom; mehrfach wurden permis d'écrire déia en 1880, qu’il était ab- 
solche auch durch Vertrauenspersonen aus der Frak- solument impossible pour le Centre d’obeir 
tion überbracht. Windthorst selbst ist niemals in àdes directives données pour des lois non 
Rom gewesen trotz wiederholter überaus ehrender ecclésiastiques. Selon moij il serait un mal- 
Einladungen. Er glaubte diese Zurückhaltung seiner heur pour le Centre et une source de 
schwierigen parlamentarischen Stellung schuldig zu désagréments bien graves pour le Saint- 
sein. Die Entscheidungen des Apostolischen Stuhls Siege, si le Centre demandait, pour des 
in rein kirchlich-religiösen Fragen waren für ihn lois qui n’ont rien à faire avec les droits 
unbedingt maßgebend. In der Sitzung des preußi= de notre sainte Eglise, des instructions du 
schen Abgeordnetenhauses vom 11. Dez. 1880 er= Saint-Pere.) 
klärte er bezüglich der lehramtlichen Infallibilitätt Vielleicht hat Windthorst der Sache des Katho- 
des Papstes: „Das Vatikanische Konzil ist berufen lizismus im Deutschen Reich niemals einen grö- 
worden, es hat getagt, es hat ausgesprochen, was ßeren Dienst erwiesen als durch diese entschiedene 
jeder von uns weiß; da war es eine notwendige Stellungnahme. Vorübergehend mag ja durch eine 
Konsequenz, daß diesem Ausspruch der Glaube Einwirkung der Kurie auf die Zentrumsfraktion, 
beigemessen und die Unterwerfung zugewendet welche eine den Intentionen des jeweiligen Regi- 
wurde, die der unfehlbare Ausspruch des Konzils ments entsprechende Erledigung politischer oder 
verlangt.“ Am 11. Dez. 1879 äußerte er im militärischer Fragen herbeizuführen vermöchte, ein 
preußischen Abgeordnetenhaus angesichts der ersten spezifisch kirchliches Einzelinteresse gefördert wer- 
friedlichen Erklärung des Ministers Falk: „Wenn den; dadurch würde aber in keiner Weise der 
zwischen der Staatsregierung und der Kurie eine schwere Schaden aufgewogen, welcher der Gesamt- 
Verständigung erzielt ist, so werden wir diese Ver= stellung der deutschen Katholiken im öffentlichen 
ständigung mit einem wahren Tedeum begrüßen. Leben erwachsen müßte, wenn mit Recht darauf 
Unbedingt und ganz werden wir uns den be= hingewiesen werden könnte, daß die Zentrums- 
treffenden Abmachungen unterwerfen, selbst dann, fraktion ihr Verhalten gegenüber bedeutungsvollen 
wenn wir glauben könnten, es wären der Konzes= Fragen nichtkirchlichen Charakters von den Wün- 
sionen an den Staat um des lieben Friedens schen einer kirchlichen Instanz abhängig mache. 
willen zu viele gemacht.“ Dementsprechend nahm Man würde daraus eine mit der Selbständigkeit 
er zu der kirchenpolitischen Novelle des Jahrs einer deutschen parlamentarischen Gruppe und unter 
1887 Stellung, obwohl er ernste Bedenken wegen Umständen mit dem Reichs= und Landesinteresse 
  
 
	        
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