Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Wohlgefallen ist“ (Staatsanzeiger vom 6. Febr. 
1850). 
Auch bei denjenigen Handlungen, bei denen ein 
verwaltendes Staatsorgan in weitestem Umfang 
nach Zweckmäßigkeitsrücksichten zu handeln berech- 
tigt und verpflichtet ist, hat es nach Gründen des 
Rechts, das ihm die zweckmäßigste Handlung ge- 
bietet, zu verfahren. 
Allerdings liegen der Unterscheidung zwischen 
Regierung und Vollziehung gewisse in ihrer Be- 
deutung nicht zu unterschätzende Merkmale der 
verschiedenen Verwaltungsfunktionen des Staats 
zugrunde. Diese beruhen auf dem verschiedenen 
Umfang der Zweckmäßigkeitserwägungen, die die 
regierenden und die vollziehenden Staatsorgane 
bei ihrer Tätigkeit zu beobachten haben, freilich 
nicht in dem Sinn, daß eine in weitestem Maß 
nach Zweckmäßigkeitsrücksichten zu vollziehende 
Tätigkeit als Staatsfunktion nicht Ausführung 
einer Rechtsnorm sei, sondern insoweit das Recht, 
indem es selber feststellt, was voraussichtlich im 
allgemeinen zweckmäßig sein wird, den ausführen- 
den Organen genau bestimmte Handlungen vor- 
schreibt oder, indem es diese Feststellung unter- 
läßt, solche Handlungen gebietet, die nach 
ihrem pflichtgemäßen Ermessen jeweils zweck- 
mäßig sind. 
Der Spielraum, der den ausführenden Or- 
ganen gelassen ist, kann ein sehr weiter sein. Ihre 
Zuständigkeit kann in der Weise umgrenzt sein, 
daß sie lediglich allgemein das auf einem be- 
stimmten Gebiet Zweckmäßige auszuführen haben. 
Dann sind die betreffenden Staatsorgane an die, 
vielfach nicht geschriebene Rechtsnorm gebunden, 
nach bestem Wissen und Gewissen das der Ge- 
meinschaft Förderliche auszuführen. Selbst wenn 
in einem Fall einem Staatsorgan ausdrücklich die 
freie Wahl zwischen mehreren möglichen Arten 
des Handelns gelassen ist, muß doch eben eine der 
Handlungen auf Grund der Rechtsverpflichtung 
vorgenommen werden, ähnlich wie der Schuldner, 
dem bei dem WakhZlschuldverhältnis die Wahl 
zwischen mehreren Leistungen gelassen ist, seine 
Verpflichtung erfüllt, wenn er eine der nach dem 
Rechtsverhältnis möglichen Leistungen bewirkt. 
Staatsverwaltung ufw. 
  
Diese Handlung ergibt sich sowohl bei ihm als 
auch bei den rechtsausführenden Organen in dem 
erwähnten Fall deshalb als Pflichterfüllung, weil 
beide unter bestimmten Möglichkeiten zu wählen 
und sich entsprechend einer derselben zu verhalten 
. B. eventuell auch untätig zu bleiben) rechtlich 
verpflichtet sind. 
Das Recht enthält übrigens überhaupt keine 
derartig genau bestimmten Anordnungen, daß dem 
Rechtspflichtsubjekt eine jede Wahlmöglichkeit ge- 
nommen ist. Jede menschliche Handlung setzt sich 
aus so mannigfaltigen physischen und psychischen 
Momenten zusammen, daß es wegen der not- 
wendigen Beschränktheit in der Erkenntnis dieser 
Momente und der Bedeutung ihrer Folgen un- 
möglich und, da eine jede rechtlich gebotene oder 
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verbotene Handlung nur in einer bestimmten 
Hinsicht, mit Rücksicht auf einen bestimmten Er- 
solg gewünscht wird, auch unzweckmäßig ist, alle 
oder möglichst viele Modalitäten derselben zu nor- 
mieren. Verbietet das Recht mit Rücksicht auf 
einen bestimmten Erfolg jemandem eine Handlung, 
so kann es im Regelfall im Hinblick auf diesen 
Erfolg das sonstige Handeln des Betreffenden 
seinem Belieben überlassen, verpflichtet es da- 
gegen jemand zu positivem Handeln, so kann und 
wird es nebensächliche Modalitäten dieser Hand- 
lung unnormiert lassen. Insoweit greift dann 
auch bei der Tätigkeit der „vollziehenden“ Staats- 
organe ein pflichtgemäßes Ermessen Platz. 
Soweit bei der Staatsverwaltung Zweckmäßig- 
keitserwägungen der Verwaltungsbehörden Platz 
zu greifen haben, müssen diese die Wissensgebiete, 
innerhalb derer jene Erwägungen anzustellen sind, 
beherrschen. Alle menschlichen Erkenntnisse, die 
nicht nur für das Interesse des einzelnen, sondern 
auch für das des Gemeinwesens verwertbar sinrd 
bilden daher auch einen Teil der allgemeinen Vei- 
waltungslehre, sofern ihre Verwertung durch de, 
Staatsverwaltung vom objektiven Recht gefordert 
wird. Die Systematisierung der einzelnen Staats- 
verwaltungsakte als menschlicher Willensbetäti- 
gungen muß nach dem Gesichtspunkt ihres Zwecks 
und ihrer Wirkung erfolgen. Allerdings wird 
diese Einteilung streng logische Vollendung bis in 
die differenziertesten Staatsaktionen nicht bieten 
können, „weil es sich um Begreifen des Lebens, 
nicht toten Stoffes, handelt“. Man wird etwa 
allgemein die Scheidung nach dem Gesichtspunkt 
vornehmen können, daß der Staat durch eine Art 
seiner Tätigkeit die Erhaltung vorhandener und den 
Erwerb neuer Güterfür dasgeistige, durchdie andere 
Art die Erhaltung und den Erwerb von Gütern 
für das leibliche Leben und Wirken seiner Glieder 
bezweckt. Nach den verschiedenen Kulturstufen, 
auf denen die Staaten stehen, läßt sich dann ein 
Vorwiegen dieser oder jener Funktionen, und auch 
für die Vergleichung spezifisch moralischer Rechts- 
gemeinschaften, wie der Kirchen, mit den Staaten 
gewährt diese Scheidung ein Merkmal. Aber es 
ist nicht zu verkennen, daß manche, vielleicht die 
meisten, Staatstätigkeiten entweder unmittelbar 
beiden Zwecken oder unmittelbar dem einen und 
mittelbar dem andern dienen, und daß daher für 
eine Spezialisierung ihrer Zwecke auch andere 
Einteilungsgrundsätze maßgebend sein können. So 
wird häufig in einer an mehr äußerliche Gesichts- 
punkte anknüpfenden Weise die gesamte Staats- 
verwaltung eingeteilt in die Rechtspflege, die innere 
Verwaltung (früher Polizei), die die Sorge für 
die materielle und geistige Wohlfahrt der Staats- 
angehörigen umfaßt, die auswärtige Verwaltung 
zur Behauptung und Betätigung der Existenz der 
Völkerrechtspersönlichkeit des Staats nach außen, 
die Heeresverwaltung zur Wahrung seiner In- 
tegrität gegen Angriffe von außen und von innen 
und die Finanzverwaltung zur Beschaffung und 
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