Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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statt dasselbe produktiv zu verwenden. Jedoch 
hiervon ganz abgesehen, bietet der dem Wirt- 
schaftsleben entnommene Vorgang nur das Gleich- 
nis, mit dem der Herr Höheres, Geistiges ver- 
sinnbilden will. Von einem Gegensatz zwischen 
Christi Auffassung und der Stellung der Kirche, 
zu der nunmehr übergegangen werden soll, kann 
darum nicht die Rede sein. 
3. Das kirchliche Zinsverbot. Das 
kirchliche Altertum (Väter und Konzilien) spricht 
sich unbedingt gegen das Zinsnehmen aus. Die 
Bäter führen mit dem Aufgebot ihrer ganzen Kraft 
den Kampf gegen den Zins, der ihnen mit 
Wucher gleichbedeutend ist. Hefele glaubt, die 
Kirchenväter hätten sich hierbei eines Rigorismus 
schuldig gemacht; sie übersähen den wesentlichen 
Unterschied zwischen Zinsnehmen und Wucher. 
Hätten sie „nichts anderes gesagt als: wuche- 
rische Zinsen seien dem Christen unerlaubt, so 
hätten sie vollkommen recht; so aber sagen sie, 
alle Zinsen seien verboten, und darin besteht ihr 
Rigorismus“ (vgl. Ratzinger S. 307). Es galt den 
Kampf mit der heidnischen Auffassung, die dem 
lukrativen Erwerb auf Kosten fremder Arbeit hul- 
digte, und der christlichen, die die Arbeit und Ar- 
mut schützte. „Es ist Tatsache, daß viele Bäter 
sich gegen das Zinsnehmen überhaupt aussprechen 
und sich dabei auf das alttestamentliche Verbot 
beziehen. Allein, wer sich die Kirchenväter nicht 
bloß oberflächlich ansieht, der wird finden, daß 
sie am Zins den Wucher tadeln, daß sie 
sich gegen die Zinsen nur deshalb aussprechen, 
weil der damalige Zins wirklich und tatsächlich 
wucherisch war. Wer nahm damals Darlehen 
gegen Zins? Der Grundbesitzer! Das ganze 
damalige Auswucherungsgeschäft beschränkte sich 
auf die Inhaber von Grund und Boden. Einen 
Handwerker- und Gewerbestand gab es ja nicht, 
dafür waren die Sklaven da. Nun war aber der 
niederste Zinsfuß 12%, ein Zinsfuß, welcher 
die Besitzer von Grund und Boden rasch aus- 
wuchern mußte, wie dies auch durch die Tatsachen 
bewiesen wurde. Das, was wir heute Zins 
nennen, gab es damals weder begrifflich noch tat- 
sächlich. Zins und Wucher waren gleichbedeutende 
Begriffe und wurden auch durch dasselbe Wort 
ausgedrückt" (Ratzinger S. 308 f). Hiergegen ver- 
schlägt es nichts, daß, wie Sommerlad be- 
merkt (Das wirtschaftliche Programm der Kirche 
des Mittelalters [1903] 83), bei Klemens von 
Alexandrien sich die frühesten Spuren des Zins- 
verbots in der kirchlichen Literatur finden, woraus 
dann gefolgert wird, daß wir den Grund seiner 
Entstehung nicht in der geringen wirtschaftlichen 
Entwicklung, sondern in der Abneigung der Kirche 
gegen die Geldwirtschaft zu suchen hätten, da es 
ja zuerst „inmitten des reich entfalteten Verkehrs- 
lebens und der hochgesteigerten Geldwirtschaft des 
kaiserlichen Agyptens“ auftritt. Aber gerade der 
Wucher, der in schamloser Weise das reiche Agypten 
aussog, mochte die Sehnsucht nach gänzlichem Ver- 
Wucher und Zins. 
  
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bot des Zinsnehmens, wie es ja dem Altertum 
nicht fremd war, wachrufen. Die Väter beriefen 
sich auf das Zinsverbot des Alten Testaments, 
auf die Forderung des natürlichen Rechtsbewußt- 
seins, auf das Ansehen weiser Männer des heid- 
nischen Altertums, ja bisweilen auch auf die Stelle 
des Neuen Testaments bei Luk. 6, 34. 35 (wie 
Ambrosius; s. Ratzinger S. 320) und auf die fünfte 
Bitte des Vaterunsers (Funk, Geschichte des kirch- 
lichen Zinsverbots 2, 4). Das Zinsnehmen wurde 
schlechthin und ohne Ausnahme verworfen, sowohl 
dem Reichen als dem Armen gegenüber. Ambro- 
sius (De Tobia c. 14) sagt allgemein: Quod- 
cunque sorti accedit, usura est. Ja nicht bloß 
wo die Not den Anstoß zum Darlehen gibt, son- 
dern wo es zum Zweck des Erwerbs aufgenommen 
wird, erfährt der Zins Verwerfung (Funk S. 6; 
Ratzinger S. 317). 
Wenn einzelne Väter, wie Basilius, in be- 
stimmten Fällen den Zinsenbezug nicht, wie man 
glauben sollte, beanstanden, sondern als zu Recht 
bestehend anerkennen, so ist der Grund solcher 
Stellungnahme in der staatlichen Gesetz- 
gebung zu erblicken. Ahnliches scheint von 
jenem Fall zu gelten, der aus dem Leben des 
Papstes Gregor d. Gr. berichtet wird. Hier 
handelte es sich um Preiserhöhung wegen Zah- 
lungsverzugs. Da der Schuldner an den Waren 
einen beträchtlichen Verlust erlitt, rief er, da der 
Gläubiger auf der Zahlung der ganzen Schuld 
bestand, die Vermittlung des Papstes an. Dieser 
erklärte die Forderung keineswegs, wie man an- 
nehmen möchte, als wucherisch, sondern er ließ den 
Gläubiger bitten, nicht auf seinem starren Recht 
zu bestehen (Funk S. 14). 
Die Stellung der Konzilien zur Zinsfrage 
ist in den ersten Jahrhunderten dadurch besonders 
charakterisiert, daß sie zunächst nur den Kle- 
rikern, bisweilen nur vom Diakon aufwärts, 
jeden Zinsenbezug unter kanonischen Strafen ver- 
boten. Wie tief mußte sich der habsüchtige Er- 
werb in Sitten und Gewohnheiten der antiken 
Welt eingefressen haben, wenn die Kirche alle Mühe 
hatte, den Klerus vom Wurcher freizuhalten! 
(Natzinger S. 301 f.) Daraus, daß das Wucher- 
verbot sich auf den Klerus beschränkte, darf nun 
nicht etwa geschlossen werden, als ob der Zins- 
bezug der Laien für erlaubt gegolten habe, sondern 
es bestand eben die Uberzeugung, daß das Verbot 
sich nicht allgemein durchführen lasse; auch war — 
dies gilt namentlich für die erste allgemeine Syn- 
ode von Nicäa vom Jahr 325 — die Stellung 
der Staatsgesetzgebung zur Zinsfrage nicht ohne 
Einfluß. „Der Kaiser, an dessen Namen sich 
der Sieg des Christentums über das Heidentum 
knüpfte, der auf der Synode von Nicäa den Vor- 
sitz führte und dessen Urteil und Wille auch von 
dem Episkopat so hoch geschätzt wurde, gab einen 
Monat vor jener Synode ein Gesetz über das 
Darlehen, nach dem bei Geld die Forderung der 
Centesima oder eines Prozents im Monat, nach
	        
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