Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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die menschliche Arbeit und Kunst oder die Ma- 
schine, aber indem es in der Hand des Produ- 
zenten das Mittel ist, solche produktiven Güter zu 
erwerben, darf man ihm eine von diesen Gütern 
gleichsam erborgte, eine quasi „instrumentale“ 
Fruchtbarkeit zuschreiben (Pesch, Zinsgrund 41). 
„Das Geld gab nur die Verkehrsform ab, ge- 
wissermaßen die Verkleidung, in der die zins- 
tragenden Dinge von Hand zu Hand gingen; der 
wahre „Stamm“ (Kapital) aber, der die Zinsen 
trug, war nicht das Geld, sondern die für das- 
selbe angeschafften Güter“ (Böhm-Bawerk, Ka- 
pital und Kapitalzins II 24). 
Die Verausgabung des Gelds zur Anschaffung 
von Konsumgütern ist wirtschaftlich etwas anderes 
als seine produktive Verwendung, da jene wenigstens 
mittelbar eine Verminderung des Vermögens be- 
wirkt, weil die dafür erlangten Fähigkeiten und 
Kräfte nicht schlechthin wirtschaftliche Güter dar- 
stellen, die einen Marktpreis besitzen; erst die Kraft- 
äußerung derselben erscheint in ihrem Effekt als 
Tauschware. Demnach findet bei der Konsumtion 
keine unmittelbare Substitution eines wirtschaft- 
lichen Werts an Stelle eines andern statt, wäh- 
rend bei der produktiven Verwendung des Gelds, 
in der eine Summe zur Beschaffung von Pro- 
duktionsmitteln gebraucht wird, zwar ein Ver- 
brauch des Gelds stattfindet, jedoch das Vermögen 
nicht nur durch Substitution gleichwertiger Ob- 
jekte auf demselben wertlichen Niveau belassen, 
sondern sogar die konkrete und unmittelbare 
Möglichkeit zur Vermehrung des Vermögens ge- 
boten wird (Pesch S. 65). 
Die Veränderung der wirtschaftlichen Verhält- 
nisse wird vielfach bei der Beurteilung des Zins- 
verbots außer acht gelassen. So findet Roscher 
(Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland 
(1874 8) den Grund des Zinsverbots in dem 
Unverstand der Kanonisten, denen der Begriff des 
Geldkapitals unfaßlich geblieben sei, und die sich 
nicht über die Betrachtung der einzelnen Münzen 
zu erheben vermocht hätten, die abgesehen von 
ihrer Benutzung als Schaustücke usw. nach ihrer 
Ansicht nur zum Kaufen bestimmt seien. Er glaubt, 
daß die Wuchertheorie der Kanonisten, die sie im 
Anschluß an das Wucherverbot der Kirche auf- 
gestellt und entwickelt haben, jede Entwicklung des 
Kredits und damit jeden Aufschwung des Wirt- 
schaftslebens unterdrückt habe. Schönberg 
(Handbuch der politischen Okonomie ?1 7377) 
erblickt im Gegensatz zu Roscher den Grund des 
Zinsverbots in der kirchlichen Auslegung der be- 
kannten Bibelstellen. Schönberg muß aber selbst 
zugestehen, daß auf niedriger Wirtschaftsstufe der 
Völker Darlehen sehr selten zu produktiven, wesent- 
lich nur zu konsumtiven Zwecken, aus Not ver- 
langt würden. Hier dem Nächsten zu helfen, sei 
Christenpflicht gewesen, und es sollte die Lage des 
Mitmenschen nicht zu einem gewinnbringenden 
Geschäft gemacht werden. Schönberg stellt es dann 
freilich dar, als habe sich die Kirche nur wider- 
Wucher und Zins. 
  
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willig nach langen Kämpfen den Anforderungen 
des modernen Wirtschaftslebens gefügt. 
V. Perschiedene Erklärungen des Dar- 
lehenzinses. Herrscht heute über die Berechtigung 
des Zinses allgemeine Ubereinstimmung, so weichen 
die Begründungen des rechtmäßigen Zinses 
im einzelnen doch wiederum vielfach voneinander 
ab. Zahlreiche Theologen erblicken den Grund der 
heutigen allgemeinen Erlaubtheit des Zinses in 
der infolge der veränderten wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse stets gegebenen Möglichkeit, den einen 
oder andern Zinstitel, insbesondere den des durch 
das Darlehen entstehenden Schadens, geltend zu 
machen (Biederlack S. 35 ff, Kempel S. 73; vgl. 
die Übersicht bei Funk, Wucher und Zins 121ff). 
Andere wieder bestreiten, daß die Begründung 
der Zinsberechtigung auf jene Titel zurückgreifen 
müsse. Wenn auch das Leben längst über die 
Zinsfrage entschieden hat, so ist doch die Frage 
keine rein theoretische, da es sich dabei um eine zu- 
reichende Rechtfertigung der heute von der Kirche 
eingenommenen Stellung handelt. 
Von den Titeln, mit welchen früher der Bezug 
einer besondern Vergütung gerechtfertigt wurde, 
kommen in Betracht der des entstehenden Schadens 
und der des entgehenden Gewinns. So meint 
Biederlack (S. 35): wer in einer Kulturperiode 
lebe, wie in der heutigen, wo sich die Möglichkeit 
biete, für sein Geld fruchttragende Gegenstände zu 
erwerben, brauche dasselbe nicht umsonst einem 
andern zu leihen, da ihm durch ein unverzins- 
liches Darlehen ein Nutzen entginge, mithin der 
titulus lucri cessantis vorhanden sei. Und 
wenn er auch gerade in dem Augenblick, wo er 
um ein Geldanlehen ersucht werde, keine Möglich- 
keit sehe, das Geld gegen einen nutzbringenden 
Gegenstand auszutauschen, so könne er doch mit 
Grund annehmen, während der Darlehensfrist in 
diese Lage zu kommen; durch das unentgeltliche 
Darlehen ginge ihm wenigstens die Hoffnung 
verloren, in erlaubter Weise sein Vermögen ver- 
mittelst des Geldes zu vermehren. 
Nun ist die Möglichkeit einer fruchtbringenden 
Verwertung des Gelds heute gewiß vielfach vor- 
handen; fraglich bleibt trotzdem die Zulässigkeit 
der Interessentheorie. Denn sie erweitert den 
Geltungsbereich des entgehenden Gewinns über 
die ihm im Sinn der alten Theologen gesteckten 
Schranken. Damit der Titel des lucrum cessans, 
dem man lange sehr mißtrauisch gegenüberstand, 
ein Recht auf Vergütung gewähre, war gefordert, 
daß nicht die bloße abstrakte Möglichkeit eines 
Gewinns gegeben sei, sondern daß der Gläubiger 
durch das Darlehen wirklich verhindert war, seiner 
tatsächlich vorhandenen, nicht bloß fingierten Ab- 
sicht gemäß, von der objektiv ihm gebotenen Mög- 
lichkeit anderweitiger gewinnbringender Verwen- 
dung seines Gelds selbst Gebrauch zu machen. 
Der Gewinn war mithin etwas individuell Be- 
stimmtes, gerade durch diesen Gläubiger und diese 
Verwendung Bedingtes, während die neuere
	        
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