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Geldbedürftigen in solchen Fällen erst recht ge-
nötigt sähen, sich an die gewerbsmäßigen Wucherer
zu wenden, die der Strafandrohung trotzen, da-
für einen desto höheren Gewinn erpressen. So
gereiche die Zinsbeschränkung gerade denjenigen
zum Schaden, in deren Interesse sie erlassen wor-
den sei (ebd. S. 908). Dieser Einwand fällt zum
Teil schon mit dem vorausgehenden, insofern ja
durch die besondern Umstände des Falls sich ein
höherer Zinsfuß rechtfertigen läßt. Es wäre auch
volkswirtschaftlich nicht allzusehr zu bedauern,
wenn die Zahl der riskanten Unternehmungen
mehr beschränkt würde, als dies heute der Fall ist,
da erfahrungsgemäß in deren Zusammenbruch viele
Kreditgeber, die die Sachlage nicht erkannten, mit
hingerissen werden. So wohltätig der Kredit auch
wirkt, so fehlt es nicht an bedenklichen Auswüchsen
der heutigen Kreditwirtschaft (Ratzinger S. 345 ff).
Kreditmißbrauch und Kreditschädigung verursachen
den Ruin mancher selbständigen wirtschaftlichen
Existenz. So unentbehrlich der Kredit, so unter-
gräbt sein Mißbrauch die Wirtschaftsmoral und
das soziale Wohl (vgl. auch: Der Kreditschutz in
Handel und Gewerbe, herausgegeben von der deut-
schen Kreditschuvereinigung zu Frankfurt a. M.,
1902).
Wenn gesagt wird, es sei besser, zu hohen
Zinsen zu leihen, als gar keinen Kredit zu er-
langen, so kann sich ja bisweilen ein Schuldner
trotz Wucherzinsen vom wirtschaftlichen Ruin
retten. Aber das sind seltene Ausnahmen. „Der
Satz aber, daß Wucherkredit besser sei als gar kein
Kredit, beruht auf einem wirtschaftlichen Irrtum.
Für denjenigen, welchem nur mehr zu Wucherzinsen
Kredit eröffnet wird, wäre es besser, wenn er so-
fort seine Zahlungsunfähigkeit erklären würde“
(Ratzinger S. 348).
Aber man droht: wenn ein Zinsmaximum auf-
gestellt wird, dann gehe das Kapital außer Land
und wende sich dorthin, wo höhere Zinsen locken.
Dann müßten, wie Ratzinger (S. 350) betont, Eng-
land und Frankreich mit ihren 2½ bis 3 %igen
Konsols und Renten schon längst ihr gesamtes
Kapital vertrieben haben. Trotz der berühmten
nationalökonomischen Gesetze sei das nicht der
Fall; wer sichere Kapitalanlage wolle, werde sich
mit niedrigem Zinsfuß begnügen.
Neuestens wird auch zugegeben, daß das Gesetz
von Angebot und Nachfrage, welches auch ohne
jedes staatliche Eingreifen den Zinsfuß in billiger
Weise allgemein normieren soll, keineswegs die
Kapitalrente in allen Zweigen der Kapitalverwen-
dung auf ein ganz neues Niveau senke. „Die
Freizügigkeit der Kapitalien“, bemerkt Böhm.
Bawerk (zZins, im Handwörterbuch VII2• 952),
„auf der die Tendenz zur Ausgleichung beruht,
ist eben, wenn ihr auch heutzutag keine rechtlichen
Hindernisse im Weg slehen mögen, praktisch nichts
weniger als eine vollkommene. Es bleiben zwischen
den einzelnen Teilmärkten des Kapitalverkehrs ge-
wisse große oder kleine Scheidemauern aufsgerichtet,
Wucher und Zins.
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die auf irgendwelchen wirtschaftlichen oder tech-
nischen Hinderungen beruhen und bewirken, daß
bis zu einem gewissen Grad auf den einzelnen
Teilmärkten der jeweilige Zinsfuß sich selbständig
und abweichend feststellt.“ Während der Hypo-
thekenzinsfuß verhältnismäßig stabil ist, wechselt
der Diskontofuß auf dem Markt für bewegliche
kaufmännische Kredite mit den Konjunkturen des
Geschäftslebens rasch.
Es ist jedoch ganz selbstverständlich, daß die
Festsetzung eines einheitlichen Zinsmaximums
für alle Zweige der Volkswirtschaft unzulässig ist,
schon wegen des verschiedenen Risikos, das mit den
einzelnen Unternehmungen verbunden ist. Das-
selbe fällt fort beim Pfanddarlehen, während es
beim Personalkredit gegeben ist; es ist wieder
höher im Handel und in der Spekulation, wo
der einzelne ganz von der Macht äußerer Ver-
hältnisse, der Konjunktur abhängig ist. Die Fest-
stellung einer Zinsgrenze, die natürlich von Zeit
zu Zeit eine Veränderung erfahren müßte, wäre
nur für die einzelnen Produktionszweige zulässig;
hier läßt sich wenigstens in Landwirtschaft und
Gewerbe der durchschnittliche Reinertrag sehr wohl
ermitteln, nicht jedoch beim Handel, wo der Erfolg
mehr von momentanen günstigen Gelegenheiten
und von der Tüchtigkeit des Spekulanten abhängt.
Große Gefahr und hohe Gewinnchancen recht-
fertigen hier einen Zins, der sich durch kein Zins-
maximum beschränken läßt, weshalb denn auch
die kanonistische Gesetzgebung des Mittelalters für
den Handelsverkehr niemals eine Zinsgrenze auf-
stellte, sondern bloß verlangte, daß der Gläubiger
nicht mehr als die Hälfte (50 %) beanspruche
(Ratzinger S. 348).
Die Fesisetzung eines Zinsmaximums (mit Aus-
nahme des Handels) empfiehlt sich schon mit
Rücksicht auf die Rechtsprechung. Die Merk-
male der Ausbeutung der Not, des Leichtsinns,
der Unerfahrenheit treffen das Wesen des Wuchers
nicht, sie sind nur begleitende Momente, welche ihn
verschärfen; sie sind auch viel zu allgemein, als
daß darauf eine einheitliche Rechtsprechung sich
gründen könnte (Pesch, Zinsgrund 39). Zugleich
wird durch die Festsetzung einer Zinsgrenze das
sittliche Bewußtsein, das ja vor allem lebendig
sein muß, um den Wucher möglichst auszurotten,
eine Steigerung erfahren (Ratzinger S. 350)
Gerade im Interesse der wirtschaftlich Schwachen
ist ein Zinsmaximum notwendig. Die Not muß
sich zur Zahlung von Wucherzinsen verstehen.
Wo nun keine Grenze vom Gesep festgestellt ist,
wird der Zins gerade hier aufs höchste hinauf-
getrieben. „Die Abneigung der meisten wohl-
habenden Leute, ihr Kapital in kleinen Beträgen
ohne Pfandsicherheit an dürftige Leute zu ver-
leihen, von denen es nicht ohne starke persönliche
Bemühung, Aussicht, lästige Prozesse und mora-
lisch peinliche Exekutionsführungen wieder zurück-
zuerhalten ist, hält wohl fast überall das Angebot
auf dem eben bezeichneten Darlehensmarkt dau-