Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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tagung der Kammer auf unbestimmte Zeit führte. 
Infolge der französischen Kriegserklärung wurde 
der Landtag am 17. Juli wieder einberufen und 
der Kredit für die Mobilmachung von ihm be- 
willigt. Die württembergischen Truppen wurden 
zunächst der dritten, vom Kronprinzen Friedrich 
von Preußen, später der vierten, vom Kronprinzen 
Albert von Sachsen geführten Armee zugeteilt und 
beteiligten sich ruhmreich insbesondere an den 
Schlachten von Wörth, Sedan, Villiers, Cham- 
pigny. Die Verhandlungen über die deutsche 
Bundesverfassung führte der Justizminister und 
nachmalige langjährige — er trat 1900 in den 
Ruhestand — Ministerpräsident v. Mittnacht. 
Württemberg erhielt vier Stimmen im Bundes- 
rat, behielt sich die Verwaltung der Posten, Tele- 
graphen und Eisenbahnen, sowie die eigne Be- 
steuerung von Bier und Branntwein vor. Seit 
1. April 1902 sind an die Stelle der württem- 
bergischen Postwertzeichen einheitliche mit der 
Arufschrift „Deutsches Reich“ getreten. 1887 wurde 
die Reichst tweinsteuergemeinschaft auf Würt- 
temberg ausgedehnt. Die württembergischen 
TDrppen bilden ein besonderes (13.) Armeekorps, 
dessen Offiziere vom König von Wurttemberg er- 
nannt werden; nur beim Korpskommando sollte 
die Genehmigung des Königs von Preußen ein- 
geholt werden. In neuerer Zeit sind die Befug- 
nisse desselben etwas erweitert worden, so nament- 
lich hinsichtlich der Versetzung württembergischer 
Offiziere nach Preußen und umgekehrt (sog. Beben- 
hauser Konvention und Kabinettsorder vom 1.Dez. 
1893, sowie Resolution der Kammer der Ab- 
geordneten vom 31. Okt. 1900). Mit dem 1. Jan. 
1871 traten in Württemberg die neuen Bundes- 
verträge in Kraft, durch welche das Deutsche Reich 
errichtet wurde. Am 5. Dez. 1870 erfolgten Neu- 
wahlen zur Abgeordnetenkammer, welche zu einer 
Niederlage der bisherigen Majorität von Groß- 
deutschen und Demokraten führten; dasselbe war 
bei den Reichstagswahlen von 1871 der Fall. 
Nach den Wahlen von 1876 schieden sich die Ab- 
geordneten in eine nationalliberale, eine Landes- 
partei und in die demokratische Linke; diese Zu- 
sammensetzung erhielt sich im wesentlichen bis 
1895. Die Neuwahlen brachten einen Um- 
schwung: die demokratische Volkspartei nahm an 
Mandaten zu, daneben trat die neu gebildete 
Fraktion des Zentrums auf, die nationalliberale 
Partei geriet in die Minderheit; erstmals sandten 
die Sozialdemokraten einen Vertreter in die Kam- 
mer. Im wesentlichen hat sich diese Zusammen- 
setzung der Kammer auch bei den Wahlen von 
1900 erhalten. Dagegen brachte die nach dem 
neuen Verfassungsgesetz im Dez. 1906 vorgenom- 
mene Landtagswahl Anderungen, weil die Zu- 
sammensetzung der Kammer der Abgeordneten 
durch das Ausscheiden der Privilegierten und die 
Einführung der Proporzwahlen sich anders ge- 
staltete. Von den 92 gewählten Abgeordneten 
gehörten 1906 an dem Zentrum 25, der (demo- 
  
Württemberg. 
  
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kratischen) Volkspartei 24, der Sozialdemokratie 
15, dem Bund der Landwirte und der konserva- 
tiven Partei 15, der deutschen (nationalliberalen) 
Partei 13. 
Von den zahlreichen seit 1871 erlassenen Lan- 
desgesetzen und von den Reformen der innern 
Verwaltung sollen die wichtigsten namhaft ge- 
macht werden: 1874 kleinere Anderungen durch 
das Verfassungsgesetz, 1876 Errichtung des 
Staatsministeriums und eines Verwaltungsge- 
richtshofs, neues Steuergesetz. Beamtengesetz, Ge- 
setz über die Rechtsverhältnisse der Volksschul- 
lehrer und der Lehrer und Lehrerinnen an höheren 
Mädchenschulen, neues Forstpolizei= und Forst- 
strafgesetz; 1886 Gesetz über Feldbereinigung, 
Verwaltung der Vermögensangelegenheiten der 
Kirchen; 1887 Neuordnung des Landarmen- 
wesens, 1893 landwirtschaftliches Nachbarrecht, 
1903 neues Steuergesetz unter Einführung der 
Einkommensteuer; 16. Juli 1906 neues Ver- 
fassungsgesetz; 28. Juli 1906 Gemeindeordnung 
und Bezirksordnung; 17. Aug. 1909 neues 
Volksschulgesetz; 28. Juli 1910 Bauordnung. 
II. Fläche, Bevölkerung, Erwerbsver- 
hältnisse. Die Gesamtfläche Württembergs be- 
trägt 19511,73 qkm. Nach der Zählung von 
1910 hat Württemberg 2 435600 Einwohner 
(vorläufiges Ergebnis); von 1900 bis 1905 hat 
die Bevölkerung um 133 432 Seelen = 5,8% 
zugenommen. Die städtische Bevölkerung — in 
Wohnorten mit über 2000 Einwohnern — macht 
heute die Mehrzahl der gesamten Bevölkerung aus 
(50,2%). Auf den qkm entfallen 125 Ein- 
wohner. Die Dichtigkeit der Bevölkerung ist sehr 
ungleich; im Reckarkreis beträgt sie (1905) 244, 
im Schwarzwaldkreis 113, im Jagstkreis 79, im 
Donaukreis 86 pro qkm; die industriellen Gegen- 
den sind dichter bewohnt als die vorherrschend 
landbautreibenden Gebiete. 
Die Landesoberfläche wird gebildet aus Granit, 
Gneis, Rotliegendem, Buntsandstein, Muschel- 
kalk, Lettenkohle, Keuper, Lias, braunem und 
weißem Jura, Tertiär, Gletscher= und Talschutt, 
Löß und Lehm. Die mittlere Erhebung beträgt 
500 m; die höchsten Punkte liegen im nörd- 
lichen Schwarzwald 1152 m. im Südosten 1119, 
auf der Schwäbischen Alb 1015, der tiefste im 
Norden des Landes 134 m über dem Meer 
(Normalnull). 
Die Zahl der Gemeinden beträgt (1907) 
1904; die der Wohnplätze 9283; darunter sind 
156 Städte, 1279 Pfarrdörfer, 451 Dörfer, 
3380 Weiler, 2351 Höfe. Die Zahl der Ehe- 
schließungen betrug 1907: 18 626 (7,9 auf 1000 
Einw.); die der Geborenen 77 828 (33,3), dar- 
unter 6365 unehelich Geborene; die der Gestor- 
benen 46 206 (19,7). Angehörige der evange- 
lischen Landeskirche wurden 1905 gezählt 1 582745 
(69 % ), Katholiken 695 808 (30%% ), andere 
Christen 11 106, Jsraeliten 12 053, Angehörige 
sonstiger Bekenntnisse 467. 
 
	        
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