Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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durch das Gesetz von 1906 abgeändert worden. 
Die Erste Kammer besteht a) aus den volljährigen 
Prinzen des königlichen Hauses; b) aus den 
Häuptern der standesherrlichen Familien, auf 
deren Besitzungen vormals eine Reichstags= oder 
Kreistagsstimme geruht hat (zurzeit 18); diesen 
gleichgestellt sind die gräflichen Familien von 
Rechberg und von Neipperg; c) aus höchstens 
sechs vom König auf Lebenszeit ernannten Mit- 
gliedern; d) aus acht Mitgliedern des ritterschaft- 
lichen Adels; e) aus dem Präsidenten des Evan- 
gelischen Konsistoriums, dem Präsidenten der 
Evangelischen Landessynode und zwei evangelischen 
Generalsuperintendenten, einem Vertreter des bi- 
schöflichen Ordinariats und einem von den katho- 
lischen Dekanen aus ihrer Mitte gewählten Mit- 
glied; f) aus einem Vertreter der Landesuniversität 
in Tübingen und der Technischen Hochschule in 
Stuttgart; g) aus zwei Vertretern des Handels 
und der Industrie, zwei Vertretern der Landwirt- 
schaft und einem Vertreter des Handwerks; im 
ganzen zurzeit 51 Mitglieder. Der Präsident 
wird vom König ohne Vorschlag ernannt. 
Die Zweite Kammer (Kammer der Abgeord- 
neten) besteht a) aus je einem Abgeordneten der 
63 Oberamtsbezirke; b) aus sechs Abgeordneten 
der Stadt Stuttgart und je einem Abgeordneten 
der Städte Tübingen, Ludwigsburg, Ellwangen, 
Ulm, Heilbronn, Reutlingen; c) aus 17 Abgeord- 
neten zweier Landeswahlkreise (Neckar= und Jagst- 
kreis mit neun, Schwarzwald-- und Donaukreis 
mit acht Abgeordneten); im ganzen 92 Abge- 
ordnete. 
Die Abgeordneten der 63 Oberamtsbezirke und 
der Städte werden durch das allgemeine, direkte, 
geheime Wahlrecht berufen. Dagegen werden die 
sechs Abgeordneten von Stuttgart und die 17 Ab- 
geordneten der beiden Landeswahlkreise nach dem 
Grundsatz der Listen= und Verhältniswahl ge- 
wählt. Der Präsident wird von der Zweiten 
Kammer selbst gewählt. Voraussetzungen der 
Wählbarkeit zum Abgeordneten sind: das zurück- 
gelegte 25. Lebensjahr (bei den Prinzen des könig- 
lichen Hauses und den übrigen erblichen Mit- 
gliedern der Ersten Kammer ist zum Eintritt nur 
Volljährigkeit: 21. Altersjahr, beim Kronprinzen 
das 18. erforderlich), männliches Geschlecht, würt- 
tembergische Staatsangehörigkeit, Wohnsitz in 
Württemberg (nur bei königlichen Prinzen und 
Standesherren genügt der Wohnsitz im Deutschen 
Reich). Ausgeschlossen sind Personen, die unter 
Vormundschaft oder Pflegschaft stehen oder ent- 
mündigt sind, über deren Vermögen der Konkurs 
eröffnet ist, welche Armenunterstützung aus öffent- 
lichen Mitteln beziehen, denen der Vollgenuß der 
staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist. 
Die Wahl erfolgt auf sechs Jahre. Niemand 
kann gleichzeitig Mitglied beider Kammern sein. 
Wenn ein gewähltes Ständemitglied ein besoldetes 
Reichs= oder Staatsamt annimmt oder ein Amt 
mit höherem Gehalt oder Rang erhält, so verliert 
Württemberg. 
  
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es Sitz und Stimme und kann nur durch eine 
neue Wahl seine Stelle wieder erlangen. Für das 
aktive Wahlrecht sind erforderlich: männliches 
Geschlecht, württembergische Staatsangehörigkeit, 
das zurückgelegte 25. Lebensjahr. Die ritterschaft- 
lichen Abgeordneten der Ersten Kammer werden 
zusammen von den immatrikulierten Besitzern oder 
Teilhabern der Rittergüter aus sämtlichen Mit- 
gliedern ritterschaftlicher Familien gewählt. Die 
Vertreter des Handels, der Industrie, der Land- 
wirtschaft und des Handwerks werden je für die 
Dauer einer Wahlperiode auf Vorschlag der 
Handelskammern, der landwirtschaftlichen Gau- 
verbände, der Handwerkskammern vom König 
ernannt. 
Jedes Mitglied hat beim erstmaligen Eintritt 
den Ständeeid zu leisten. Die Mitglieder sind 
verbunden, jeder Sitzung anzuwohnen, erhalten 
(mit Ausnahme der königlichen Prinzen) Reise- 
kostenersatz und Taggelder; die Präsidenten er- 
halten je 10 000 M. Die Auflösung der Stände- 
versammlung steht dem König unumschränkt zu; 
binnen sechs Monaten ist dann ein neuer Landtag 
einzuberufen. 
Solang der Landtag nicht versammelt ist, be- 
sorgt der ständische Ausschuß diejenigen Geschäfte, 
welche zur ununterbrochenen Wirksamkeit der Re- 
präsentation des Landes notwendig sind. Zum 
Schutz der Verfassung ist der Staatsgerichtshof 
eingesetzt; er ist zuständig bei allen Unterneh- 
mungen, welche auf den Umsturz der Verfassung 
gerichtet sind; bei Anklagen der Regierung gegen 
einzelne Mitglieder der Ständekammer, Anklagen 
der Stände gegen die Minister und Mitglieder 
der Ständeversammlung. 
Als Glied des Deutschen Reichs nimmt Würt- 
temberg an der Ausübung der Reichsgewalt nach 
Maßgabe der Reichsverfassung teil. Im Bundes- 
rat führt es vier Stimmen; in den Reichstag ent- 
sendet es 17 Abgeordnete. Im Verhältnis zum 
Reich hat sich Württemberg besondere Hoheits- 
rechte (Reservatrechte) vorbehalten: die Bestim- 
mungen über das Reichskriegswesen kommen nach 
der Militärkonvention vom 21. bis 25. Nov. 
1870 in Anwendung; bezüglich des Post= und 
Telegraphenwesens, ebenso des Eisenbahnwesens 
ist Württemberg fast ganz selbständig; die Be- 
steuerung des inländischen Biers ist Sache Würt- 
tembergs; auf die selbständige Besteuerung des 
Branntweins hat es 1887 mit einem Vorbehalt 
bezüglich der Verteilung des Reinertrags und der 
herzustellenden Gesamtmenge verzichtet; in den 
Bundesratsausschüssen für Landheer und Festungen 
ist ihm ein ständiger Sitz zugestanden. 
Der Rang unter den deutschen Staaten ist hinter 
dem Königreich Sachsen und vor Baden bestimmt. 
IV. Berwaltung. Die höchsten Staatsbe- 
hörden bestehen aus dem Staatsministerium und 
den dem Staatsministerium unmittelbar unter- 
geordneten Behörden. Der Geheime Rat, der aus 
den Ministern und vom König besonders ernannten
	        
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