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weit verleihen, als diese Befugnis auf dem Patronat
beruht. Die Zulassung zu einem Kirchenamt ist
vom Besitz des württembergischen Staatsbürger-
rechts und dem Nachweis einer vom Staat als
entsprechend anerkannten wissenschaftlichen Vor-
bildung bedingt (Besuch eines Gymnasiums, Stu-
dium an der Universität Tübingen und Schluß-
prüfung vor der katholisch-theologischen Fakultät
daselbst). Zur Heranbildung der Geistlichen be-
stehen die mit den dortigen Gymnasien verbun-
denen niedern Konvikte in Ehingen und Rottweil
und ein höheres Konvikt in Tübingen, die aus
Staatsmitteln unterhalten werden. Dem Bischof
steht die Leitung der religiösen Erziehung und die
Feststellung der damit zusammenhängenden Haus-
ordnung, dem Staat die Oberaussicht zu. In den
übrigen Beziehungen stehen sie unter der unmittel-
baren, durch den katholischen Kirchenrat aus-
geübten Leitung der Staatsbehörde; von ihr hängt
insbesondere Aufnahme und Entlassung der Zög-
linge ab. Die Ernennung der Vorsteher der Kon-
vikte und der Repetenten steht dem Bischof zu. Die
katholisch-theologische Fakultät ist mit der Univer-
sität Tübingen verbunden; die Professoren der
Theologie genießen dieselben Rechte wie die übrigen
Professoren der Universität. Gegen einen Lehrer
an der katholisch-theologischen Fakultät der Uni-
versität, dessen Lehrvorträge nach dem Urteil des
Bischofs wider die Grundsätze der katholischen
Kirchenlehre verstoßen, kann eine Verfügung nur
von der Staatsbehörde getroffen werden. Die
Disziplinargewalt bei Verfehlung der Geistlichen
steht dem Bischof zu; sie kann aber niemals durch
Freiheitsentziehung ausgeübt werden. Geldbußen
dürfen den Betrag von 80 KM nicht überschreiten;
die Einberufung in das Besserungshaus der Diö-
zese darf die Dauer von 6 Wochen nicht über-
steigen. Von höheren Strafen sowie von Straf-
erkenntnissen, die auf Suspension, Versetzung,
Zurücksetzung oder Entlassung lauten, ist der
Staatsbehörde alsbald Mitteilung zu machen.
Die Strafen dürfen nur auf Grund eines geord-
neten prozessualischen Verfahrens verhängt werden.
Verfügungen und Erkenntnisse der Kirchengewalt,
gegen die Person oder das Vermögen eines An-
gehörigen der katholischen Kirche können wider
dessen Willen nur von der Staatsgewalt vollzogen
werden, falls diese die Verfügung nicht zu be-
anstanden gefunden hat. Die Reglung der kirch-
lichen Trauung steht dem Bischof ohne jede Ein-
wirkung des Staats zu. Die Leitung des katho-
lischen Religionsunterrichts in den Volksschulen
sowie in den sonstigen öffentlichen und privaten
Unterrichtsanstalten einschließlich der Katechismen
und Religionshandbücher kommt dem Bischof zu,
unbeschadet des dem Staat über alle Lehranstalten
zustehenden Oberaufsichtsrechts. Geistliche Orden
und Kongregationen können vom Bischof nur mit
ausdrücklicher, jederzeit widerruflicher Genehmi-
gung der Staatsregierung eingeführt werden,
welche auch erforderlich ist, wenn ein im Land
Württemberg.
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schon zugelassener Orden eine neue Niederlassung
gründen will. Die Staatsregierung ist jedoch
keinenfalls befugt, ohne besondere Ermächtigung
durch Gesetz den Jesuitenorden oder ihm ver-
wandte Orden und Kongregationen im Land zu-
zulassen. Zurzeit sind nur weibliche Orden zu-
gelassen; für Errichtung von Männerklöstern ist
vom Bischof die Ermächtigung nachgesucht, aber
nicht gewährt worden. Die Gelübde der Ordens-
mitglieder werden von der Staatsgewalt nur als
widerrufliche behandelt. Die juristische Persön-
lichkeit kann vom König auf Antrag des Mini-
steriums des Innern den einzelnen Orden be-
sonders verliehen werden.
Die Bildung neuer kirchlicher Gemeinden, die
Abänderung bestehender Gemeindeeinteilungen,
die Errichtung, Teilung und Vereinigung von
Pfründen kann vom Bischof nur im Einverständ-
nis mit der Staatsregierung verfügt werden.
Das den kirchlichen Bedürfnissen und Anstalten
gewidmete Vermögen unterliegt den allgemeinen
Landesgesetzen, insbesondere auch jenen über öffent-
liche Lasten und Abgaben, sowie über den Besitz
von Liegenschaften durch die tote Hand (Genehmi-
gung durch die Kreisregierung, wenn der Wert
der Grundstücke 5000 M übersteigt). Die dem
Bistum angewiesene Dotation (Gebäude, Güter,
Geldrente) wird vom bischöflichen Ordinariat
unter Oberaufsicht des Staats verwaltet. Die
Verwaltung des Pfründevermögens steht dem In-
haber der Pfründe unter Aufsicht des Staats
(durch den katholischen Kirchenrat) und der Kirche
(durch den Kapitelskämmerer bzw. Bischof) zu.
Der im Jahr 1808 gebildete Interkalarfonds er-
hält aus den Einkünften der erledigten Kirchen-
stellen bestimmte Beträge; diese dienen zur Er-
gänzung der Pfarrgehalte auf die Kongrua, zu
Ruhegehalten der Geistlichen, zur Ubernahme der
Tischtitel für neugeweihte Geistliche, zu den Kosten
der notwendigen außerordentlichen Vikarien und
für die Pastoration entfernt wohnender armer
Kirchengenossen. Die Verwaltung steht unter ge-
meinsamer Leitung von Staat und Kirche. Die
Verwaltung des Ortskirchenvermögens ist wie für
die evangelischen Gemeinden geregelt.
Die israelitische Kirche ist als öffentliche Kor-
poration anerkannt; ihre Organisation ist durch
Gesetz vom 25. April 1828 und einige weitere
Gesetze geregelt. Jeder Israelit ist Genosse einer
israelitischen Kirchengemeinde (gegenwärtig 60)
mit einem Kirchenvorsteher, einer Synagoge und
einem Vorsänger. Die Aussicht und Leitung des
gesamten israelitischen Kirchenwesens erfolgt durch
die von der Regierung bestellte Oberkirchen-
behörde (1 Regierungsvertreter, 1 israelitischer
Theologe, 3 israelitische Beisitzer). Die Deckung
des kirchlichen Aufwands erfolgt aus den ört-
lichen Fonds, den Beiträgen der Kirchengenossen,
aus dem israelitischen Zentralkirchenfonds, zu
dem der Staat einen jährlichen Beitrag gibt, und
aus Umlagen.
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