Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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rechtmäßig eine Asamblea an einen beliebigen 
Ort einberufen. Die 36 Abgeordneten (je 1 auf 
10 000 Einwohner oder einen Bruchteil von mehr 
als 5000) werden in direkter und geheimer Wahl 
vom Volk auf 6 Jahre gewählt und alle 2 Jahre 
zu einem Drittel erneuert; sie müssen Bürger von 
Nicaragua und weltlichen Standes sein. Nicht 
wählbar sind die Exekutivbeamten, die Richter des 
Höchsten Gerichtshofs und der Distriktsgerichte, 
die Verwalter öffentlicher Gelder, bevor sie Rech- 
nung abgelegt haben, die Verwandten des Präsi- 
denten bis zum zweiten Grad. Die Abgeordneten 
genießen die übliche Immunität (Schutz vor ge- 
richtlicher Verfolgung 30 Tage vor und 15 nach 
der Session), können auch nicht zu militärischen 
Diensten ohne ihre Zustimmung einberufen werden. 
Die Befugnisse des Kongresses sind im wesent- 
lichen die gleichen wie bei Costa Rica (s. o.; aber 
Verleihung der militärischen Grade vom General 
ab; Ernennung von zwei Stellvertretern des Prä- 
sidenten), ebenso die des Präsidenten, des Haupts 
der ausführenden Gewalt (doch hat in 
Nicaragua der Präsident kein suspensives Veto 
gegenüber denjenigen Gesetzesbeschlüssen des Kon- 
gresses, die den Staatshaushalt betreffen). Der 
Präsident von Nicaragua wird direkt vom Volk 
auf 6 Jahre gewählt und tritt sein Amt am 
1. Jan. des der Wahl folgenden Jahres an; er 
muß Bürger von Nicaragua oder eines andern 
zentralamerikanischen Staats, weltlichen Standes 
und mindestens 25 Jahre alt sein. Für Behin- 
derungsfälle werden vom Kongreß drei Vertreter 
gewählt, die je nach dem vom Ministerrat zu 
ziehenden Los die Vertretung zu führen haben; 
auch wenn der Präsident sich selbst an die Spitze 
des Heeres stellt, hat er seine Funktionen an den 
gesetzlich bestimmten Stellvertreter zu übergeben. 
In der Verwaltung steht ihm ein Rat von 
sechs Staatssekretären (Ministern) zur Seite, die 
Bürger von Nicaragua und weltlichen Standes 
sein müssen und nicht Unternehmer oder Pächter 
von öffentlichen Werken und Diensten sein dürfen; 
sie haben im Kongreß kein Stimmrecht und müssen 
auf Interpellationen antworten. Der Präsident, 
dessen Akte zu ihrer Gültigkeit der Unterzeichnung 
durch den zuständigen Minister bedürfen, die diplo- 
matischen Vertreter und Mitglieder des obersten 
Gerichtshofs sind direkt dem Kongreß verantwort- 
lich, der darüber entscheidet, ob eine Anklage statt- 
finden soll oder nicht (worauf im ersteren Fall der 
Angeklagte dem zuständigen Gerichtshof über- 
wiesen wird). Für die Lokalverwaltung ist das 
Staatsgebiet eingeteilt in 13 Departements, 
3 Distrikle und 2 Comarcas, die unter von der 
Regierung ernannten Zivil= und Militärgouver- 
neuren stehen. Unterabteilungen sind die Muni- 
zipalitäten, die durch vom Volk direkt gewählte 
Behörden (Bürger der betreffenden Gemeinde) 
geleitet werden. 
Die Verfassung garantiert den Bürgern die 
üblichen Rechte und Freiheiten (Unverletzlichkeit 
Zentralamerika. 
  
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des Lebens auch bei zeitweiliger Aufhebung der 
Garantien), ferner Abschaffung der Todesstrafe 
(außer für schwere militärische Verbrechen) und 
Verbot der Monopole. Bürger ist jeder 18 Jahre 
alte gebürtige oder naturalisierte Nicaraguaner; 
die Naturalisation kann bei Fremden erst nach 
zweijährigem Aufenthalt erfolgen, bei Hispano- 
Amerikanern jedoch auf ausgesprochenen Wunsch 
hin jederzeit. Verfassungsänderungen müssen die 
Zustimmung einer Zweidrittelmajorität des Kon- 
gresses finden und außerdem durch eine eigne, in 
gleicher Weise wie der Kongreß gewählte „ver- 
fassunggebende Versammlung“ ratifiziert werden. 
Die Rechtspflege geschieht durch einen 
Höchsten Gerichtshof, drei Kammern zweiter In- 
stanz und niedere Gerichte. Die Richter des Höch- 
sten Gerichtshofs werden von der gesetzgebenden 
Körperschaft auf 6 Jahre gewählt; sie müssen 
weltlichen Standes, Advokaten und 25 Jahre alt 
sein und dürfen kein anderes Amt (außer eine 
Professur) bekleiden, können aber zum Militär- 
dienst einberufen werden. Die Verwaltung der 
Justiz ist in allen Instanzen und bei allen Ge- 
richten unentgeltlich. 
Die Mehrzahl der Bevölkerung gehört äußerlich 
der katholischen Kirche an, die unter dem Bischof 
von Leon, Suffragan von Guatemala, steht. Die 
Stellung des Staats gegenüber der katholischen 
Kirche war fast immer von Feindseligkeit be- 
einflußt; gegenwärtig besteht Trennung zwischen 
beiden Gewalten, Zivilehe, Verweltlichung der 
Friedhöfe, der Schulen, Kontrolle der kirchlichen 
Finanzen durch den Staat u. dgl. Jede klöster- 
liche Niederlassung, jede Art monastischer Insti- 
tute, alle Vinkulationen und Einrichtungen zu- 
gunsten der „Toten Hand“ sind durch die Ver- 
sassung verboten. 
Der Unterricht ist in den Volksschulen 
obligatorisch, weltlich und in den staatlichen un- 
entgeltlich. Es gibt an 360 Volksschulen, 10 Col- 
leges und 2 „Universitäten“ in Leon und Ma- 
nagua, 1 Priesterseminar und 2 kirchliche Colleges. 
Die Stärke des stehenden Heeres wechselt; 
sie beträgt an 4000 Mann. Jeder Nicaraguenser 
ist vom 17. bis 55. Lebensjahr dienstpflichtig; die 
aktive Dienstzeit beträgt 1 Jahr. Die Marine be- 
steht aus 10 kleinen Dampfern. — Das Wappen 
zeigt in einem blauen, gleichschenkligen Dreieck 
eine von zwei Meeren umflossene Gebirgskette 
mit fünf Vulkanen unter einem Regenbogen, unter 
dem die Freiheitsmütze Strahlen ausstreut; die 
Kriegs= und Handelsflagge ist horizontal gestreift: 
Blau, Weiß, Blau, und trägt in der Mitte von 
Weiß das Wappen; die Landesfarben sind Blau, 
eiß. 
Zur Sanierung der zerrütteten Finanzen 
wurde anfangs Juni 1911 ein Vertrag zwischen 
Nicaragua und den Vereinigten Staaten ge- 
schlossen (der zur Gültigkeit noch der Zustimmung 
des amerikanischen Senats und des Kongresses 
von Nicaragua bedars), der die Rückzahlung der
	        
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