Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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meisten übrigen europäischen Staaten mit der 
absoluten Monarchie eine weitgehende, mit der 
privilegierten Stellung des Adels und des Klerus 
zusammenhängende Dezentralisation und Auto- 
nomie kleinerer Verbände verbunden gewesen. Der 
Partikularismus ließ alle Bestrebungen der Kö- 
nige, den Feudalstaat mehr zu zentralisieren, 
scheitern. Als dieser im Jahr 1789/90 zusammen- 
brach, erstrebte man in der neuen Organisation 
im Gegensatz zu der Entwicklung in Osterreich und 
Preußen eine Beseitigung dieser Partikularmächte. 
In diesen beiden Ländern dagegen waren die stän- 
dischen Körperschaften, insofern man sie für Mittel 
zur Verwirklichung der konstitutionellen Ideen 
hielt, populär. Sie erhielten sich daher nicht nur, 
sondern ihr Kompetenzumfang wurde in Osterreich 
durch Leopold II. noch erheblich erweitert. Die 
von Friedrich Wilhelm III. im Jahr 1823 ins 
Leben gerufenen Provinzialstände, deren Beschlüsse 
in der Regel königlicher Genehmigung bedurften 
und in der Regel von den Oberpräsidenten 
als Exekutivorganen ausgeführt wurden, wurden 
allerdings in den Stürmen des Jahrs 1848 be- 
seitigt. Dafür entfaltete sich jedoch in diesem 
Staat wie in den meisten übrigen deutschen Staa- 
ten nach dem Prinzip der Dezentralisation das 
Gemeindewesen. Man ging dagegen in Frankreich 
zu einer straffen Zentralisation über, die noch heute 
den Typus der französischen staatsrechtlichen Kom- 
petenzverteilung bildet. Für die Ausführung der 
Beschlüsse der Gemeinderäte als der Vertretung 
der kleinsten Selbstverwaltungskörper als auch 
derjenigen der Generalräte der Departements 
wird von der Zentralregierung ein staatlicher Be- 
amter, der Maire, der allerdings den Mitgliedern 
des Gemeinderats zu entnehmen ist — in den 
größeren Kommunen wird er ausnahmsweise von 
diesem gewählt — bzw. der Präfekt bestellt. Die 
zentralistische Tendenz des französischen Staats- 
rechts zeigt sich jedoch nicht nur in der Ernennung 
jener Organe durch die Zentralbehörden, sondern 
auch in dem Umstand, daß sehr zahlreiche Hand- 
lungen der Lokalorgane der Genehmigung der 
Zentralstelle bedürfen. So müssen das vom Con- 
seil général festgestellte Budget einschließlich der 
Zuschläge zu den Staatsauflagen, seine Bestim- 
mungen im Hinblick auf Straßenwesen, Märkte, 
Gefängniswesen, öffentliche Bauten usw. vom 
Staatsoberhaupt sanktioniert werden. 
Mitunter stellt sich die Entwicklung in der Ver- 
teilung der Rechtskompetenzen in der einen Hin- 
sicht als Zentralisation, in der andern als De- 
zentralisation dar. Bis zum Westfälischen Frieden 
war das Deutsche Reich ein monarchischer Einheits- 
staat. Mit der Entwicklung der Fürstenmacht in 
den einzelnen Terrikorien wurde jedoch die kaiser- 
liche Gewalt in ihrer Entwicklung auf diese, ins- 
besondere auf die Kurfürstentümer immer mehr 
beschränkt. Art. 8, § 1 des Westfälischen Friedens 
gewährte den Fürsten das liberum juris terri- 
torialis tam in ecclesiasticis quam in politi- 
Zentrum. 
  
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cis exercitium, während der Kaiser nur einige 
iura reservata behielt, von denen die iura co- 
mitialia überdies auch von den Territorialherren 
und die jura reservata communia nur unter 
Zustimmung der Reichsstände ausgeübt werden 
konnten. Dieser für das Reich dezentralistischen Ge- 
staltung ging eine in Beziehung auf die einzelnen 
Territorien zentralistische parallel. Deren dezentra- 
listische Organe: Grundherrschaften, Gemeinden 
und Provinzen verloren immer mehr Kompetenzen 
an die Fürstenmacht bzw. wurden deren Ober- 
aufsicht unterworfen. Die Landstände als die Ver- 
treter einzelner Interessengruppen verloren ihre 
Rechtskompetenzen. Die dezentralistische Gestaltung 
der Rechtskompetenzen innerhalb eines Staats- 
wesens kann zu einer Bildung von kleinen Staaten 
innerhalb des großen sie umfassenden Staats führen, 
sofern nämlich die lokalen Einheiten durchdas Wach- 
sen ihrer Kompetenzen die Erfordernisse des Staats- 
begriffs aufweisen (ogl. d. Art. Föderalismus). 
In einer gewissen Verwandtschaft mit dem Be- 
griff der Dezentralisation steht der der Selbst- 
verwaltung. Denn wenn man die letztere als 
die Reglung von Angelegenheiten bezeichnet, bei 
welchen die Beteiligten in besonderer Weise inter- 
essiert sind, so ergibt sich, daß Selbstverwaltungs- 
organe in der Regel lokal abgegrenzte Kompetenzen 
haben. Dies folgt schon daraus, in welcher Weise 
die Beteiligung der bei der Selbstverwaltung 
Interessierten stattfindet. Sie äußert sich haupt- 
sächlich in der Wahl der Selbstverwaltungsorgane 
durch die Beteiligten oder in der Ausstattung eines 
lokal abgegrenzten Bezirks mit juristischer Per- 
sönlichkeit, welche Eigenschaft dieses Bezirks zur 
Folge hat, daß seine materiellen Mittel nicht all- 
gemeinen Staatszwecken, sondern den speziellen 
Zwecken dieses Bezirks dienen. Die letzte Art der 
Selbstverwaltung erfordert begrifflich eine dezen- 
tralistische Verteilung der Rechtskompetenzen. Dies 
ist jedoch auch bei der Wahl von Selbstverwal- 
tungsorganen, wenn auch nicht begrifflich, so doch 
tatsächlich immer der Fall. Denn eine Wahl eines 
Organs, welches die Interessen einer bestimmten 
Art aller Staatsuntertanen wahrnehmen soll, 
gibt es nicht. Die gewählten Selbstverwaltungs- 
organe sollen immer die Interessen einer lokalen 
Einheit wahrnehmen. 
Literatur. Die meisten Lehrbücher des Ver- 
waltungs= u. Staatsrechts; vgl. besonders Lorenz 
v. Stein, Die Verwaltungslehre, 1. Tl, 2. Abt.: 
Die Selbstverwaltung u. ihr Rechtssystem (21869); 
R. Gneist, Das heutige englische Verfassungs= u. 
Verwaltungsrecht (1883,84); v. Brauchitsch, Preuß. 
Verwaltungsgesetze (11896); Georg Meyer-An- 
schütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (I1895); 
Redlich, Englische Lokalverwaltung (1901); Schön, 
Das Recht der Kommunalverbände in Preußen; 
Hatschek, Englisches Staatsrecht II (1906) 440 ff, 
sowie die übrigen Teile des Marquardsenschen 
Handbuchs des öffentlichen Rechts. [B. Beyer.) 
Zentrum s. Parteien, politische (Bd III, 
Sp. 1595 fj.
	        
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