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Zeugenbeweis, Zeugnispflicht und
Zeugniszwang. Unter Zeugen verstehen
wir Personen, welche in einem behördlichen Ver-
fahren, ohne als Partei beteiligt zu sein, über ihre
Wahrnehmungen bezüglich der für das Verfahren
in Betracht kommenden Tatsachen, zum Zweck der
Wahrheitsermittlung Aussagen machen. Als
Zeugnispflicht bezeichnen wir die jedermann
obliegende Verpflichtung, zum Zweck der behörd-
lichen Wahrheitsermittlung vor den öffentlichen
Behörden zu erscheinen, über das eigne Wissen
wahrheitsgemäße Aussagen zu machen und erfor-
derlichenfalls die Wahrheit der Aussagen durch
Eid oder Versicherung an Eides Statt zu gewähr-
leisten. Die Zeugnispflicht ist keineswegs eine be-
sondere Pflicht der Staatsbürger, sondern eine
allgemeine Verpflichtung, welche auch Ausländer
und die einem Staat nicht angehörenden Personen
umfaßt. Ebenso ist es viel zu eng, nur von einer
Zeugnispflicht gegenüber den Staatsbehörden oder
gar nur gegenüber den staatlichen Gerichtsbehörden
zu sprechen, wenn auch die Zeugnispflicht in dem
Verfahren vor den staatlichen Gerichtsbehörden
besonders wichtig und daher eine staatsgesetzliche
Reglung dieser Pflicht ganz besonders geboten ist.
Neben den staatlichen Gerichtsbehörden aller Art
bedürfen auch die verschiedensten staatlichen Ver-
waltungsbehörden, welche tatsächliche Feststellungen
zu treffen haben, der Zeugnispflicht, z. B. die
Steuerbehörden. Auch die kirchlichen Behörden
können der Zeugnispflicht nicht entbehren. Die
Hauptaufgabe, freilich auch die Hauptschwierigkeit
einer gesetzlichen Reglung der Zeugnispflicht ist
die Abgrenzung dieser Pflicht gegenüber kollidie=
renden Pflichten, welche ausnahmsweise zur Ge-
stattung einer Zeugnisverweigerung für
den Zeugen oder sogar zu einem Zeugnisver-
bot für die Behörde, d. h. zu einer Untersagung
der Zeugniserhebung führt. Die Befugnis der
Behörden, die Erfüllung der Zeugnispflicht durch
die ihnen zustehenden Zwangs= und Strafmittel
zu erzwingen, nennen wir Zeugniszwang.
Der Zeugenbeweis, die Zeugnispflicht und der
Zeugniszwang haben bei den einzelnen Völkern
und in den einzelnen Zeitperioden eine sehr ver-
schiedene Bedeutung und Reglung. Das alte ger-
manische Recht kannte keinen Zeugenbeweis; im
Recht der modernen Kulturstaaten ist der Zeugen-
beweis das wichtigste, im englischen Recht sogar
fast das einzige Beweismittel.
A. Das römische Becht hatte von der ältesten
Zeit ab bis zuletzt den hohen Vorzug, daß es keinerlei
gesetzliche Beweisregeln aufstellte. Die Folter war
bis in die Kaiserzeit nur gegen Sklaven, nicht
gegen Freie zulässig. Erst am Ende des 3. Jahrh.
findet sich die ganz vereinzelte Beweisvorschrift,
daß ein einziger Zeuge zum Beweis nicht aus-
reiche. Die sich schon frühe findenden Bestim-
mungen über unzulässige Zeugen hatten nur die
Bedeutung von Regeln, wurden aber später von
den Kanonisten und den italienischen Juristen als
Zeugenbeweis ufw.
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bindende Vorschriften aufgefaßt und gaben so bei
der Rezeption des römisch-kanonischen Rechts in
Deutschland die Grundlage zum Ausbau eines
verhängnisvollen gesetzlichen Beweissystems. Eine
Zeugnispflicht in Zivilsachen gab es nur auf
Grund privatrechtlicher Vereinbarung; ein Zeug-
niszwang fand aber im Zivilprozeß nicht statt.
Ursprünglich war die Zeugnispflicht in Zivilsachen
sogar auf die beim Abschluß des Rechtsgeschäfts
zugezogenen Solennitätszeugen beschränkt; wei-
gerten sich diese, das Rechtsgeschäft vor Gericht zu
bezeugen, so verloren sie die Fähigkeit zum Solen-
nitätszeugnis. Erst Justinian erweiterte die pri-
vatrechtliche Zeugnispflicht über die Geschäfts-
zeugen hinaus, ohne jedoch einen Zeugniszwang
einzuführen. Dagegen war im Strafprozeß der
öffentlich-rechtliche Charakter der Zeugnispflicht
anerkannt und der Zeugniszwang durchgeführt.
Anfänglich war nur der Ankläger befugt, testi-
bus denuntiare, cogere testimonium deicere,
wobei das Gesetz die Höchstzahl der Zeugen, welche
er zwangsweise vor Gericht stellen konnte, be-
stimmte. Die spätere Rechtsentwicklung beseitigte
dieses Vorrecht des Anklägers und überließ dem
Richter in allen Fällen die Entscheidung über die
Zahl der Zeugen.
B. Das Kanonische Becht hat sich durch Fort-
bildung des römischen Rechts, nach welchem die
katholische Kirche als die Kirche Roms und des
römischen Reichs lebte (lex Rib. 58, 1: secun-
dum legem Romanam, quam ecclesia vivit),
verdient gemacht. Im Beweisrecht nahm es eine
Mittelstellung zwischen dem germanischen und dem
römischen Recht ein, indem es einerseits die Gottes-
urteile verwarf und den Reinigungseid der Partei
zunächst beschränkte, später aber beseitigle, ander-
seits aus den Beweisregeln des römischen Rechts
ein System von Beweisvorschriften schuf, welches
gegenüber dem germanischen Recht immerhin einen
wesentlichen Fortschritt darstellte. Die Tortur
wurde vom kanonischen Recht grundsätzlich ver-
worfen und dem Zeugenbeweis eine erhöhte Be-
deutung beigemessen. Am wichtigsten war, daß das
kanonische Recht den Grundgedanken der Zeugnis-
pflicht als einer allgemeinen öffentlich-rechtlichen
Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft klar her-
ausgearbeitet hat. Der Zeuge dient nicht mehr der
Partei, sondern dem Interesse der Gesamtheit an
einem auf Wahrheit und Gerechtigkeit beruhenden
Verfahren der Behörde. Diesem wichtigen öffent-
lichen Interesse entspricht die Erzwingbarkeit des
Gehorsams gegenüber der behördlichen Auflage;
die Erfüllung der Zeugnispflicht kann erzwungen
werden durch kirchliche Strafmittel, Zensuren wie
Suspension, Deposition, ja sogar durch Aus-
schließung aus der Kirchengemeinschaft.
C. Deutsches Recht. I. Geschichte. 1. Das
Gerichtsverfahren der germanischen Zeit war ein
in strengen Rechtsformen vor dem Richter sich
vollziehender Kampf der Parteien um ihr Recht,
wobei zwischen Zivil- und Strafprozeß nicht