Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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welcher diese Vorschriften vorliegen. Versagt ein 
Gesetz dem Gewohnheitsrecht jede Bedeutung, so 
hat dieses Gesetz Gültigkeit, und es kann während 
seines Bestehens keine einzelne Gewohnheit im Fall 
des Bestreitens als Gewohnheitsrecht anerkannt 
werden, wenn sie auch noch so andauernd und 
gleichmäßig festgehalten worden wäre. Es kann 
sich aber eine Gewohnheit dahin bilden, daß sie 
das ihre Zulassung ausschließende oder beschrän- 
kende Gesetz außer Wirksamkeit setzt. Eine solche 
Gewohnheit wird sich um so seltener bilden, je um- 
fassender, vollständiger ein Gesetzbuch ist und je 
breiter dasselbe auf den Rechtsüberzeugungen der 
Gegenwart beruht und diese wiedergibt. Versagt 
jedoch den neu entstehenden Bedürfnissen gegen- 
über das Gesetz, so wird die Gewohnheit sich aller 
Verbote ungeachtet wirksam erweisen, und es wird 
in jüngeren Werken das ältere Wort derogiert 
werden. Denn der gegenwärtige Gesetzgeber kann 
weder sich selbst noch den zukünftigen in der Frei- 
heit und Abänderlichkeit des Willens beschränken. 
Ubrigens zeigt das heutige England, daß das 
Recht auch eines hochentwickelten Volks vollständig 
und einheitlich durch Gewohnheiten (common 
law) gestaltet werden kann. 
Der Reichsgesetzen kann durch künftige partiku- 
läre Gewohnheiten nicht derogiert werden. Es gibt 
mithin gegen sie nicht preußische, bayrische usw. 
Gewohnheitsrechtssätze. Art. 2 der Verfassungs- 
urkunde hat diesen Sinn. Er gestattet dagegen, 
daß Reichsgesetze durch Reichsgewohnheiten ab- 
geändert oder aufgehoben werden, doch wird das 
Entstehen von Reichsgewohnheiten bei der Aus- 
dehnung des Reichs selten sein. In den deutschen 
Einzelstaaten kann Gewohnheitsrecht sich nicht 
gegen die Verfassungsvorschriften sowie gegen die- 
jenigen Vorschriften des privaten und öffentlichen 
Rechts bilden, welche aus öffentlich-rechtlichen 
Gründen oder wegen unserer Kulturverhältnisse 
keine Abänderung ertragen. 
Andere Rechtsquellen im Sinn von Rechts- 
entstehungsursachen als Gesetz und Gewohnheit 
gibt es nicht. Insbesondere ist die Rechts- 
analogie eine solche Quelle nicht. Dieselbe 
besteht in der entsprechenden Anwendung der durch 
Gesetz oder Gewohnheiten für bestimmte Verhält- 
nisse gegebenen Vorschriften auf rechtsähnliche Ver- 
hältnisse, für welche die Gesetzgebung keine Vor- 
schriften enthält, bzw. in Ermanglung jener Vor- 
schriften in der Anwendung der aus dem Geist der 
Rechtsordnung sich ergebenden Grundsätze auf die 
ungeregelten Verhältnisse. Daraus folgt, daß der 
analoge Rechtssatz immer einen Rechtssatz voraus- 
setzt, zu dem er analog ist; infolgedessen teilt er 
die Natur dieses Rechtssatzes und gehört mit ihm 
entweder dem Gesetzesrecht oder dem Gewohnheits- 
recht an. Wo die Analogie Rechtsquelle genannt 
wird, ist dieser Ausdruck in einem andern Sinn 
als dem der Rechtsentstehungsursache verwendet; 
er spricht dann aus, daß die Eigenschaft eines 
Satzes, analog einem Rechtssatz zu sein, diesem 
Zivilgesetzgebung. 
  
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Satz selbst die Kraft eines Rechtssatzes verleiht. 
„Rechtsquelle in diesem Sinn ist also die Tatsache, 
kraft deren ein Satz die Natur eines Rechtssatzes 
hat“, nicht die Gesetzgebung (Zitelmann, Das 
Recht des B.G.B. 9). 
Die Aufzählung der einzelnen Werke der Zivil- 
gesetzgebung hat billigerweise mit der gesetzgebenden 
Tätigkeit jenes Weltreichs zu beginnen, dessen 
Gesetze heute noch, entweder überarbeitet oder selbst 
in der ursprünglichen Form, in einem großen 
Teil des zivilisierten Europa und in den von 
diesem beeinflußten überseeischen Ländern Geltung 
haben, nämlich Roms. Der Grund dieser in 
hohem Grad auffallenden Tatsache ist sowohl 
in der logischen Durchbildung und der inneren 
Vorzüglichkeit dieses Rechts als auch in der zu- 
fälligen historischen Entwicklung zu finden. Die 
gesetzgebende Gewalt war bei den Römern keine 
einheitliche, vielmehr je nach den verschiedenen 
Zeitabschnitten sogar eine grundverschiedene, und 
ebenso verschieden war natürlich auch die Form 
ihrer Ausübung. Die Römer kennen sog. leges 
oder plebiscita, von dem römischen Volk selbst 
in dessen Versammlungen (Komitien) erlassene 
Gesetze in des Wortes eigenster Bedeutung. Neben 
diesen kamen vor senatusconsulta, Senats- 
beschlüsse über einzelne Rechtsstoffe. Die Volks- 
beschlüsse dauerten fort bis in die Zeit der ersten 
Kaiser, während die Senatsbeschlüsse von den 
Kaisern noch etwas länger geduldet wurden, um 
den Schein republikanischer Einrichtungen zu 
wahren, die in Wirklichkeit, da die Senate den 
Kaisern unbedingt zur Verfügung standen, längst 
aufgehört hatten. Daher stützt sich das Recht der 
Kaiserzeit wesentlich auf Senatsbeschlüsse; erst 
unter der Regierung der Severe und Dieokletians 
wurden diese verdrängt durch das eigentliche 
Kaiserrecht, die kaiserlichen Konstitutionen. Neben 
den Volksbeschlüssen und den Senatsbeschlüssen 
bestanden noch die sog. Edikte des Prätors, Rechts- 
sätze, welche diese Beamten bei Beginn ihrer Amts- 
zeit als Norm für die von ihnen ausgehende 
Rechtsprechung zu veröffentlichen pflegten und 
welche den Zweck hatten, das oft strenge und 
starre eigentliche Zivilrecht mit den Forderungen 
der Billigkeit zu vereinigen. Diese sog. prätorischen 
Edikte hörten unter Hadrian auf, unter dessen 
Regierung der Prätor Salvius Julianus einen 
Auszug aus allen früheren Edikten unter dem 
Namen Edictum perpetuum veröffentlichte, an 
welchem eine Veränderung nicht mehr vorgenom- 
men werden durfte. Eine eigentümliche Erschei- 
nungsform der römischen Rechtsbildung zeigte sich 
in dem sog. Juristenrecht, von Kaiser Augustus 
dadurch eingeführt, daß er verschiedenen aus- 
gezeichneten Juristen das sog. ins respondendi 
verlieh. Dieses Recht bestand darin, daß, wenn 
die responsa der mit diesem Recht beliehenen 
Rechtsgelehrten (prudentum) auf eine ihnen über 
eine Rechtsfrage zugekommene Ansicht einstimmig 
ausfielen, sie die Kraft eines Gesetzes hatten.
	        
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