1285
Mit der zunehmenden Macht der Reichsstände
fingen dieselben an, die Gesetzgebung, also auch
die Zivilgesetzgebung, in den Bereich ihrer Zu-
ständigkeit zu ziehen. Den ersten Versuch dieser
Art machte Bayern, und zwar unter dem Kaiser
Ludwig (dem Bayern), dessen Eigenschaft als
Reichsoberhaupt dem Gelingen wesentlich Vor-
schub leistete. Dieses bayrische Landrecht wurde
später vielfach umgearbeitet und liegt auch dem
unter dem Kurfürsten Maximilian Joseph III.
erlassenen, von Kreitmayr verfaßten sog. Coder
Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756
zugrunde. Auch in andern Gebieten erschienen
sog. Landrechte, welche sich der Hauptsache
nach den Zweck vorsetzten, einzelne Gebiete des
Rechts, auf welche das römische Recht nach der
deutschen Gewohnheit am wenigsten paßte, auf
deutscher Grundlage zu ordnen und alte lieb-
gewonnene Rechtsgewohnheiten vor dem weiteren
Vordringen des römischen Rechts zu retten. Sie
beschränken sich auf die Ordnung der ehelichen
Güterverhältnisse, Rechte des überlebenden Ehe-
gatten, Nutznießung desselben an dem Vermögen
der Kinder, Erbrecht des überlebenden Ehegatten,
Eheverbote, Testamente, Käufe und Verpachtungen
liegender Güter, Erbleihen, Verbürgungen bei
ähnlichen, namentlich dem Landmann näher liegen-
den Verhältnissen.
Trotz der mit Abfassung der Landrechte ver-
bundenen Absicht, einen Schutz für deutsche
Rechtsgewohnheiten vor dem römischen Recht zu
bilden, war ihr Erfolg ein gerade entgegengesetzter:
die Befestigung des Einflusses des fremden Rechts.
Einmal lag dies darin, daß dieses für alle nicht
behandelten Rechtsstoffe und überhaupt subsidiär
als gültig erklärt wurde. Dann aber standen die
oft ganz unfähigen Verfasser dieser Landrechte so
vollständig, wenn auch unbewußt, unter dem Ein-
fluß des römischen Rechts, daß sie ihre Arbeiten
durchaus auf römische Grundlage stellten. Der
mit den Jahren und Jahrhunderten immer mehr
fortschreitende Einfluß des römischen Rechts auf
diese Landrechte läßt sich an deren Inhalt nach-
weisen, so daß der obengenannte Codex Maxi-
milianeus und das zu der nämlichen Zeit er-
schienene Mainzer Landrecht, von einzelnen Aus-
nahmen abgesehen, mehr als Erzeugnisse des
römischen, denn des germanischen Rechts gelten
können. Die Unterbrechung der Rechtsentwicklung
hatte dem deutschen Recht die Kraft genommen,
auf die einzelnen Werke der Gesetzgebung einen
maßgebenden Einfluß äußern zu können.
Während bis in die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts das römische Recht seine formelle Geltung
als deutsches gemeines Recht behauptete, so zwar,
daß es neben dem erwähnten Codes Maximili-
aneus wenigstens subsidiär zur Anwendung zu
bringen war, machte Preußen 1746 den Versuch,
die Rechtseinheit des Vaterlands zu durchbrechen.
Friedrich II. gab nämlich in diesem Jahr seinem
Kanzler Cocceji den Auftrag, ein Recht zu ent-
Zivilgesetzgebung.
1286
werfen, welches, losgelöst von den Grundlagen,
auf denen das Recht des übrigen Deutschlands
ruhte, lediglich die Vernunft und die Verfassung
des preußischen Staats zur Richtschnur haben
sollte. Dieser erste Versuch mißlang, das Projekt
des Corpus iuris Fridericianum von 1754 war
den Anforderungen, die man an ein Gesetzbuch zu
stellen berechtigt ist, durchaus nicht entsprechend.
Großkanzler v. Carmer nahm 1780 die Arbeiten
wieder auf, als deren Ergebnis das Allgemeine
Landrecht für die preußischen Staaten am
1. Juni 1794 ins Leben trat.
Von größerer wissenschaftlicher und praktischer
Bedeutung wie das Landrecht wurde die fran-
zösische Zivilgesetzgebung. In Frankreich
herrschte vor der Revolution im Süden das rö-
mische Recht, im Norden ein öfter nur lokales
Gewohnheitsrecht, daher der Unterschied zwischen
den pays du droit écrit und den pays du droit
coutumier oder des coutumes. Lediglich aus
politischen Gründen, um womöglich alle Erinne-
rungen an die frühere Zeit auszulöschen, wurde
eine Umarbeitung der gesamten Gesetzgebung, na-
mentlich auch der Zivilgesetzgebung beschlossen und
im Jahr 1804 als Code eivil oder Code Na-
poléon veröffentlicht. Das Gesetzbuch hat viele
Vorzüge, namentlich die einer klaren Gesetzes-
sprache und systematischen Durcharbeitung. Doch
kann auch das Vorhandensein schwerwiegender
Mängel nicht geleugnet werden. Obgleich un-
richtig ist, daß der Code die juristische Inkarna-
tion der Prinzipien von 1789 sei, da das Obli-
gationenrecht im ganzen auf römischer Grundlage,
das Eigentum (zum Teil), die Lehre von den
Schenkungen und Testamenten, die ehelichen Güter-
verhältnisse auf den sog. coutumes, also auf ger-
manischem Recht beruhen, so hat doch die fran-
zösische Revolution die Lehre von der Ehe (Zivil-
ehe), die Ehescheidung und die väterliche Gewalt
beherrscht. Durchaus verfehlt war das Hypotheken-
recht, das mit seinen stillschweigenden Hypotheken
und seiner zehnjährigen Erneuerungspflicht, in
Verbindung mit der unbeschränkten Zulässigkeit
der Eigentumsvorbehaltsklage (Resiliationsklage),
gerade die Sicherheit des Grundeigentums ge-
fährdete.
Im Jahr 1811 wurde das Bürgerliche Gesetz-
buch für die österreichischen Erblande, dessen
Vorarbeiten in die erste Regierungszeit der Kai-
serin Maria Theresia zurückreichen (1752), ver-
öffentlicht. Gründliche systematische Durcharbei-
tung wie eine klare Gesetzessprache zeichnen das
Werk aus. Seine Mängel bestehen in seiner allzu
großen Kürze, die mit Rücksicht auf die in dem-
selben ausgesprochene Aufhebung der subsidiären
Geltung des römischen Rechts es häufig geradezu
ungenügend erscheinen läßt und die Rechtsuchenden
auf eine unter solchen Umständen immerhin will-
kürliche Rechtsprechung anweist. Auch wirft die
bekannte josephinische Allregiererei bisweilen ihre
Schatten in das Gesetzbuch. Das österreichische
41“