Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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ihm überhaupt nicht gestellt werden. Im Ver- 
hältnis zwischen Eltern und Kindern ist an die 
Stelle der väterlichen Gewalt die elterliche Gewalt 
getreten, die beim Tod des Vaters auf die Mutter 
übergeht, bei Lebzeiten beider Gatten der Mutter 
neben dem Vater bezüglich der Sorge für die 
Person des Kindes zusteht. Neben dieser Sorge 
für die Person umschließt die elterliche Gewalt die 
Sorge für das Vermögen des Kindes und dessen 
Vertretung, sie ist darin der Vormundschaft ähn- 
lich. Die gegenseitige Unterhaltspflicht ist auf 
Aszendenten und Deszendenten beschränkt. Die 
elterliche Gewalt endigt mit der Volljährigkeit des 
Kindes, die mit der Vollendung des 21. Lebens- 
jahrs oder mit der früheren Volljährigkeitserklä- 
rung eintritt. Während der Dauer der elterlichen 
Gewalt haben die Eltern eine begrenzte Nutz- 
nießung des Vermögens der Kinder. Mit der 
Beendigung der elterlichen Gewalt zerreißt das 
engere rechtliche Band zwischen Eltern und Kind. 
Die Vormundschaft ist eingehend auf der Grund- 
lage der preußischen Vormundschaftsordnung ge- 
regelt. Das Familienrecht hat die allgemeine 
Rechtsstellung der Frau dem Mann und den Kin- 
dern gegenüber gehoben. 
Dem Erbrecht liegt der Gedanke zugrunde, 
daß Gott den rechten Erben setze; die gesetzliche 
Erbfolge ist deshalb als der Regelfall, die gewill- 
kürte Erbfolge als die Ausnahme behandelt. Die 
Verwandten erben nach Linien; zu einer Linie ge- 
hören diejenigen Personen, welche mit dem Erb- 
lasser einen gemeinsamen Stammvater haben. In 
der Linie entscheidet die Ordnung. Die erste Ord- 
nung bilden diejenigen Erben, welche den Erb- 
lasser selbst zum Stammvater haben; die zweite 
Ordnung wird durch die Eltern des Erblassers 
und deren Abkömmlinge gebildet (Parentelen- 
system). Neben den beiden ersten Ordnungen und 
den Großeltern in der dritten Ordnung erbt auch 
der überlebende Ehegatte, der die weiteren Ver- 
wandten vollständig ausschließt. Sind keine Ver- 
wandten und ist kein Ehegatte da, so erbt der 
Fiskus den Nachlaß. Die gewillkürte Erbfolge 
beruht auf einer rechtsgültigen Verfügung von 
Todes wegen (Testament oder Erbvertrag). Die 
Verfügung muß durch den Erblasser in Person 
erfolgen, der nicht unter 16 Jahren sein darf. Für 
das Testament sind verschiedene Formen zugelassen, 
die ordentlichen Formen sind diejenigen der Er- 
richtung vor Gericht oder Notar oder mittels einer 
von dem Erblasser unter Angabe des Orts und 
Tags eigenhändig ge= und unterschriebenen Er- 
klärung. Ein Erbvertrag kann nur von einem 
unbeschränkt geschäftsfähigen Erblasser und nur 
vor einem Richter oder vor einem Notar bei gleich- 
zeitiger Anwesenheit beider Teile geschlossen wer- 
den. Ehegatten können ein gemeinschaftliches 
Testament errichten. Testamente können jederzeit 
widerrufen, Erbverträge dagegen nur im Ver- 
tragsweg aufgehoben werden. Ist durch Ver- 
fügung von Todes wegen ein Abkömmling oder 
Zivilgesetzgebung. 
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ein Elternteil oder ein Ehegatte des Erblassers 
von der Erbschaft ausgeschlossen, so hat er kein 
Recht auf Berufung zum Erben, sondern nur 
einen Anspruch auf Auszahlung seines Pflicht- 
teils, der in dem Wert der Hälfte des gesetzlichen 
Erbteils besteht. Die Erbschaft wird kraft Ge- 
setzes als Ganzes erworben, der Tote erbt den 
Lebendigen. Doch kann der Erbe die Erbschaft 
ausschlagen; nimmt er sie an, so haftet er un- 
beschränkt für die Nachlaßschulden, aber er hat 
verschiedene Rechtsbehelfe, um die Haftung mit 
seinem Vermögen abzuwenden und auf den Wert 
der Nachlaßmasse zu beschränken. Ist die Über- 
schuldung des Nachlasses zu besorgen, so ist dem 
Erben zu raten, das Aufgebot der Nachlaßgläu- 
biger zur Anmeldung ihrer Forderungen zu be- 
treiben und ein Inventar zu errichten, und dem 
Nachlaßgläubiger ist der Antrag auf Inventar= 
errichtung bei den Nachlaßgerichten zu empfehlen. 
Das Recht auf Beschränkung seiner Haftung ver- 
wirkt der Erbe, wenn er das richterlich angeord- 
nete Inventar nicht oder nicht vollständig vorlegt. 
Die Miterben stehen in einer Gemeinschaft zur 
gesamten Hand und haften deshalb als Gesamt- 
schuldner für die aus der Nachlaßmasse vor der 
Auseinandersetzung vorweg zu befriedigenden Erb- 
schaftsschulden. 
Das B. G. B. ist Menschenwerk und als solches 
der Vervollkommnung fähig, aber seine Sprache 
ist möglichst genau, sein Inhalt deutsch, volks- 
tümlich und sozial. Da das Recht nicht so sehr 
dem Besitz als dem Verkehr zu dienen hat, so 
mußte das B.G.B. dem Verkehrsinteresse seine 
besondere Fürsorge zuwenden, es mußte nicht der 
Besitzer, sondern der gutgläubige Dritte in den 
Vordergrund seiner Regeln gestellt werden. Das 
Bestreben auf Berücksichtigung der sozialen Re- 
sormen zeigt sich vielfach, besonders aber in der 
Reglung des für die Arbeiter so wichtigen Miets- 
und Dienstvertrags. Seine Ergänzung findet 
das B.G.B. in dem Handelsgesetzbuch für den 
Handelsverkehr und in der Zivil= und Konkurs- 
ordnung sowie dem Gesetz über die Zwangsvoll- 
streckung in Grundstücke für die Beitreibung der 
Forderungen. Auch in diesen Gesetzen hat die 
Rücksicht auf die Erhaltung des Schuldners in 
seiner selbständigen Existenz Fortschritte zu ver- 
zeichnen. Sehen wir von dem Eheschließungs- 
und Ehescheidungsrecht ab, so darf dem B.G.B. 
und seinen Nebengesetzen nachgerühmt werden, daß 
sie der an die Zivilgesetzgebung zu stellenden Aus- 
gabe genügt haben. Ihre Fassung ermöglicht der 
Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung, die 
Rechtsvorschristen mit den Bedürfnissen der Zeit 
in Einklang zu halten. 
Literatur. Maas, Bibliographie des Bürger- 
lichen Gesetzbuchs im Archiv für bürgerliches Recht 
AXvl;v. Mandry-Geib, Der zivilrechtliche Inhalt 
der Reichsgesetze; die Lehrbücher des bürgerlichen 
„Rechts von Dernburg, Cosack, Crome (unvollendet), 
Endemann, Enneccerus, Goldmann--Lilienthal, 
 
	        
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