Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Auch die Form der erlassenen Entscheidung ist 
selbstverständlich nicht für das Wesen derselben 
maßgebend, wenngleich der „Richter“ bei seinen 
Entscheidungen meist an strengere Formvorschriften 
gebunden ist als der „Verwaltungsbeamte“. Die 
richterliche Entscheidung des letzteren kann, ebenso 
wie seine sonstigen Anordnungen, sofern es sich 
nicht um verwaltungsgerichtliche Akte handelt, in 
jeder beliebigen Form ergehen, die Willenserklä- 
rung kann durch alle gebräuchlichen und allgemein 
verständlichen Mittel, in Schriftform, mündlich 
oder durch Zeichen, erfolgen; auch ihre Bekannt- 
machung durch Behändigung an eine Einzel- 
person oder Anschlag oder Ausruf, der sich an 
eine größere Mehrheit von Personen richtet, unter- 
liegt freieren Formen als z. B. die Zustellung eines 
Zivil= oder Strafurteils. 
Was endlich die freiwillige Gerichtsbarkeit an- 
langt, so wird diese von den Gerichten ausgeübte 
Tätigkeit jetzt fast allgemein ihrem Inhalt nach 
als nicht richterliche Verwaltungstätigkeit aufge- 
faßt. Die Mitwirkung bei Begründung von Rechts- 
verhältnissen, die Beurkundungen, die Aussicht 
über Personen, die fremdes Vermögen verwalten, 
und die Verwahrung von Urkunden und sonstigen 
Wertgegenständen ist allerdings inhaltlich mit der 
richtenden Tätigkeit kaum in Beziehung zu setzen. 
In Verfügungen, die Verpflichtungen oder ihre 
Erfüllung nicht feststellen, sondern Pflichten er- 
zeugen, tritt noch ein anderer Unterschied zwischen 
einem einen Richterspruch enthaltenden Verwal- 
tungsakt und einem solchen andern Inhalts in- 
sofern hervor, als diese „nicht zur Rechtskraft im 
prozessualen Sinn erwachsen“, sondern nach Lage 
der Sache jederzeit geändert werden können, wäh- 
rend die eine Sentenz enthaltenden Verfügungen 
entweder von vornherein oder nach Erschöpfung 
eines bestimmten Instanzenzugs oder bei Unter- 
lassung der Innehaltung gewisser Fristen und der 
Beobachtung gewisser Formen unanfechtbar wer- 
den. Dieser Unterschied ist allerdings nicht wesent- 
lich, wenngleich fast durchweg zu konstatieren. 
Denn die Anderung einer einen Richterspruch nicht 
enthaltenden Verwaltungsverfügung „nach Lage 
der Sache“ ist eben eine zu den Amtspflichten des 
Versügenden gehörende Handlung, die in gleicher 
Weise wie die zuerst ergangene Verfügung die 
Rechte und Pflichten der Betroffenen bindend fest- 
stellt, insofern die geänderte Verfügung bis zur 
Anderung, die ändernde von der Anderung ab in 
Wirksamkeit tritt. Die Frage der Zweckmäßigkeit 
einer Verfügung unterliegt übrigens meistens nur 
der Prüfung durch die verfügende Behörde oder 
deren vorgesetzte Instanz, nicht einem zur endgül- 
tigen Entscheidung etwa berufenen „ordentlichen 
Gericht“. Die Kompetenzverteilung hinsichtlich 
der erwähnten Staatsfunktionen erweist, daß die 
Aufsgaben des Richters und Verwaltungsbeamten 
im historisch gegebenen Sinn keineswegs der rich- 
terlichen und nichtrichterlichen Staatstätigkeit im 
dogmatischen Sinn entsprechen. 
Staatsverwaltung ufw. 
  
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Man kann die gesamte verwaltende Staats- 
tätigkeit auch einteilen in diejenige, die ihr nächst- 
liegendes Anwendungsgebiet innerhalb des Or- 
ganismus der Staatsverwaltung selbst findet, und 
diejenige, die zur Ausübung der obrigkeitlichen 
Besugnisse gegenüber den Untertanen dient. Wie 
aber die allgemeinen Vorschriften für den innern 
Gang der Verwaltung sich inhaltlich als Rechts- 
normen darstellen, so hat diese Unterscheidung 
auf dem Gebiet der Rechtsausführung juristisch 
streng formalen Charakter, insofern sie das Unter- 
scheidungsmerkmal nicht aus einer Verschieden- 
artigkeit der Handlungen in ihren Beziehungen zu 
der Rechtsordnung, sondern aus bestimmten Eigen- 
schaften der Personen, denen gegenüber sie vor- 
genommen werden, entnimmt. 
II. Die Selbstverwaltung. In einen ge- 
wissen Gegensatz zur Staatsverwaltung setzt man 
häufig die Selbstverwaltung. Das Unterschei- 
dungsmerkmal bei einer solchen Gegenüberstellung 
liegt im Subjekt der als Verwaltung bezeichneten 
Tätigkeit; denn da im Begriff der Staatsver- 
waltung der Begriff des Staats nur den Sinn 
hat, daß die durch den Gesamtbegriff bezeichnete 
Verwaltung vom Staat ausgeht, so kann der 
Begriff des „Selbst“ bei einer Gegenüberstellung 
von Staats= und Selbstverwaltung nur den Sinn 
haben, daß die letztere nicht vom Staat, sondern 
von jemand ausgeht, der bei den zu verwaltenden 
Geschäften irgendwie in besonderer Weise inter- 
essiert ist. 
Was zunächst die Gegensätzlichkeit der Selbst- 
verwaltung in Beziehung auf die Staatsverwal- 
tung betrifft, so ist diese mit der herrschenden 
Ansicht zu leugnen. Allerdings sind nicht alle 
über den Wirkungskreis des Individuums hinaus- 
reichenden Aufgaben deshalb schon Staatsauf- 
gaben. Vielmehr bilden sich unter den Gliedern 
des Staats und zwischen den Gliedern verschiedener 
Staaten Rechtsgemeinschaften zur Verfolgung be- 
stimmter besonderer Zwecke, und staatliche Rechts- 
normen, die auf derartige Rechtsgemeinschaften 
Anwendung finden, bezwecken nicht die Herbei- 
führung der von jenen Rechtsgemeinschaften ver- 
folgten Zwecke, sondern regeln nur ihre Ver- 
solgung in Beziehung auf die übrigen Staats- 
glieder. Wo aber, wie bei der Selbstverwaltung, 
der Staat die von den Selbstverwaltungskörpern 
zu verfolgenden Zwecke selbst spezialisiert und den 
betreffenden Verbänden zur Verfolgung über- 
weist, da macht er diese Aufgaben zu Staats- 
aufgaben, zu deren Erledigung er besonders or- 
ganisierte Behörden, eben die Selbstverwaltungs- 
körper, mit entsprechenden Kompetenzen ausstattet, 
die er selbstverständlich zu erweitern und zu ver- 
ringern vermag. Man kann daher bei der Selbst- 
verwaltung weder von einer Selbstbeschränkung 
des Staats in der Ausübung seiner Hoheitsrechte 
durch Schaffung eines mit einer besondern Rechts- 
sphäre ausgestatteten Zwischenbaues zwischen Staat 
und Individuum noch von der Verfolgung be-
	        
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