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des Verfahrens gibt diesem Ruhe und Würde,
zwingt Richter und Anwalt zu einer objektiven
und aufmerksamen Handhabung ihres Amts und
verbreitet in dem Volk die Überzeugung von der
gerechten Handhabung des Rechts.
Die Hauptperson des Gerichts ist der Richter,
welcher die Gerichtsgewalt teils selbst teils durch
die Leitung der übrigen Gerichtspersonen ausübt.
Ihm steht zu: die Prozeßleitung, die Aburteilung
des Rechtsstreits und endlich die Vollstreckung,
d. h. die Anordnung der zur Ausführung seiner
Urteile und Befehle erforderlichen Maßregeln.
Der Richter übt Staatshoheitsrechte aus. Die
Ausübung des Richteramts erfordert die Ernen-
nung zum Richter, die vorgängige Ableistung des
Diensteids, den fortdauernden Besitz des Richier-
amts, sowie den Besitz der zur Ausübung der
richterlichen Tätigkeit unentbehrlichen Geistes= und
Körperkräfte. Die Aberkennung der Fähigkeit zur
Bekleidung eines öffentlichen Amts macht unfähig
auch zur Bekleidung des Richteramts. Der an
sich zu diesem befähigte und berufene Richter kann
in einer bestimmten Streitsache von seiner Aus-
übung ausgeschlossen sein, sei es kraft Gesetzes, sei
es zufolge Antrags der Parteien. Das Richter-
amt verpflichtet den Richter zur Gesetzmäßigkeit
und Amtsverschwiegenheit, sowie zur Unparteilich-
keit und rascher Justiz. Den vorgesetzten Justiz-
behörden schuldet der Richter gesetzmäßigen Ge-
zusem, der sich aber nicht erstreckt auf Urteil und
t
echt.
In Deutschland erfolgt die Rechtsprechung bei
den Erstinstanzgerichten, d. h. bei denjenigen Ge-
richten, welche zur Behandlung eines Streitfalls
gesetzlich zunächst berufen und deshalb für diese
Entscheidung allein zuständig sind, je nach der
Art des Streitgegenstands, bald durch Einzel-
richter, bald durch Richterkollegien. Es
bestehen nämlich zweifache Erstinstanzgerichte, und
zwar in der Art, daß Streitwerte bis zu 800 M
sowie Sachen, welche ihrer Natur nach eine raschere
Erledigung erfordern, durch die mit nur einem
Richter besetzten Amtsgerichte, die übrigen bürger-
lichen Rechtsstreitigkeiten dagegen durch die kol-
legial organisierten Landgerichte zu entscheiden
sind. Bei den Landgerichten wird die Zivilgerichts-
barkeit nicht von dem ganzen Landgericht, sondern
von der mit einem Präsidenten oder einem Direktor
als Vorsitzenden und zwei Landrichtern besetzten
Zivilkammer ausgeübt, bzw. in Handelssachen
von der durch die Landesjustizverwaltung nach
Bedarf eingerichteten, mit einem Mitglied des
Landgerichts als Vorsitzenden und zwei Handels-
richtern besetzten Handelskammer. Gewerbliche
Streitigkeiten zwischen Arbeitern und Arbeitgebern
entscheiden in erster Instanz Gewerbegerichte nach
Maßgabe des Gesetzes vom 29. Sept. 1901,
ebenso Streitigkeiten aus dem Dienst= oder Lehr-
verhältnis zwischen Kaufleuten und ihren Hand-
lungsgehilfen und Handlungslehrlingen Kauf-
mannsgerichte nach dem Gesetz vom 6. Juli 1904,
Zivilprozeß.
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soweit solche errichtet find. Für die Deutschen in
den Schutzgebieten und im Ausland bestehen als
Erstinstanzgerichte Kolonial= und Konsulargerichte
(Gesetz vom 7. April 1900, Schutzgebietsgesetz
vom 25. Juli 1900).
Der Gerichtschreiber ist die mit dem
Gerichtschreiberamt oder bestimmten Funktionen
desselben betraute Gerichtsperson. Der Ge-
richtsvollzieher ist der zur Zustellung und
Vollstreckung der Entscheidung obrigkeitlich be-
stellte Beamte. Nach gemeinem Recht waren das
Amt des Richters und das Amt des Gericht-
schreibers die einzigen gerichtlichen Amter. Zur
Zustellung der prozessualen Verfügungen und zu
deren Vollstreckung waren dem Richter Boten und
Richter beigegeben. Das französische Recht stellte,
abweichend hiervon, aber an altgermanische Ein-
richtungen anknüpfend, neben den Richter und
Gerichtschreiber als relativ selbständigen Ge-
richtsbeamten den Gerichtsvollzieher, huissier.
Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz führte dieses
in den französisch-rechtlichen Gebieten Deutsch-
land bestehende Verwaltungsamt in die deutsche
Gerichtsverfassung ein, um den Richter zu ent-
lasten und den Prozeßbetrieb durch die Parteien
freier zu gestalten. Dadurch ist die der Gerichts-
gewalt zugehörige Vollstreckungsfunktion der Hand
des Richters entzogen und einer eignen, nicht
unter den Garantien der richterlichen Unabhängig-
keit stehenden Behörde übertragen. Die nähere
Gestaltung dieser Behörde ist ebenso wie die Ge-
schäftsordnung der Gerichtschreibereien den Lan-
desjustizverwaltungen überlassen.
Parteien sind die an einem streitigen Rechts-
verhältnis beteiligten Personen; sie stehen sich als
Kläger und Beklagter, als Gegner, gegenüber.
Kläger heißt diejenige Partei, welche das Gericht
selbständig und angriffsweise angeht, um ihren
Anspruch auf Anerkennung des ihr wirklich oder
angeblich zustehenden Rechts durchzusetzen. Be-
klagter ist derjenige, welcher durch seine Störung
oder Nichtanerkennung des klägerischen Anspruchs
den Antrag auf Beseitigung der Störung oder auf
Feststellung des Anspruchs gegen sich begründet
hat. Die Berechtigung des Beklagten, auf den
Angriff der Gegenseite sein Recht verteidigungs-
weise geltend zu machen, ist das Einrederecht. In
einem Rechtsverhältnis können mehr als zwei
Personen als Berechtigte oder Verpflichtete ver-
bunden sein, in dem Prozeß aber gibt es andere
Parteirollen als die des Klägers und des Be-
klagten nicht, und es können sich auch nur diese
beiden als Gegner gegenüberstehen. Die Parteien
sind ebenso wesentliche Glieder des Prozesses wie
das Gericht; sie sind die Prozeßsubjekte, in ihrem
Namen und für ihre Rechnung wird der Rechts-
streit geführt. Nemo iudex sine actore; un-
aufgefordert hat kein Richter tätig zu sein. Da-
mit jemand Prozeßpartei sein kann, muß er sowohl
die Fähigkeit haben, an einem Privatrechtsver-
hältnis als Berechtigter oder Verpflichteter be-