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Aber auch die Forderung dieses Gelübdes hat zu-
nächst weder in Gallien noch Spanien infolge des
politischen Einflusses der Könige zur völligen
Durchführung der Zölibatsvorschriften geführt und
auch in Italien mußten dieselben wiederholt neu
eingeschärft werden. — Auf den Subdiakonat
war, wie wir sahen, bisher der Zölibat nur ver-
einzelt und vorübergehend (Synode zu Elvira und
2. Synode zu Karthago) ausgedehnt worden. In-
dessen schon seit Mitte des 5. Jahrh. erachtete der
päpstliche Stuhl auch ihn für an das Zölibats-
gebot gebunden. Schließt doch Leo I. im Jahr
446 aus der Verpflichtung der Subdiakone zum
Zölibat auf die noch strengere der Diakone,
Priester und Bischöfe (c. 1 D. 32). Doch gelang
es erst Gregor I. (590/604), das Zölibatsgebot
für den Subdiakonat allgemein durchzusetzen (vgl.
„c. 1 D. 28; c. 1 D. 31; c. 2 D. 32; c. 20
C. 27 q. 2. Vgl. auch c. 6 der 8. Synode von
Toledo 653, welcher Subdiakone, die nicht völlig
keusch leben, mit lebenslänglicher Klosterhaft be-
droht). — Damit war die Entwicklung der Zöli-
batsvorschriften zu einem vorläufigen Ab-
schluß gekommen. Als Gesetz verpflichtete er in
der ganzen abendländischen Kirche Bischöfe, Prie-
ster und Diakone seit ca 400. Subdiakone seit
ca 600. Die vor der höheren Weihe eingegangene
Ehe durfte nicht mehr fortgesetzt werden, die nach
derselben geschlossene Ehe war zwar gültig, aber
unerlaubt, und zog Amtsentsetzung, ja vielfach
selbst Exkommunikation nach sich.
Das rasche Aufblühen des Mönchtums, die
allgemeine Einführung der vita communis hat
allerdings die schwierige Durchsetzung des
Zölibatsgebots erleichtert, so daß es bald
überall — nur England scheint eine Ausnahme zu
bilden (vgl. Scherer a. a. O. 1 391, Nr 82) —
auch praktische Geltung erlangt hatte. Indessen
darf nicht übersehen werden, daß seine Beobach-
tung doch so eng mit der allgemeinen Pflege von
Zucht und Sitte verknüpft ist, daß, wo diese sich
lockern, auch jederzeit die Befolgung der Zölibats-
gesetze in Verfall geraten. Der seit Ende des
9. Jahrh. beginnende Zerfall der vita canonica,
die durch den Zusammenbruch des karolingischen
Reichs hervorgerufenen unsichern politischen Ver-
hältnisse und die sich daraus ergebene Verwilde-
rung der Sitten, die mehr und mehr um sich
greifende Simonie, welche ihren Grund in der
aus dem Eigenkirchenrecht hervorgewachsenen
Laienherrschaft hatte, all dieses ließ die auch früher
nur mühsam durchgesetzten Zölibatsvorschriften in
steigendem Maß außer Geltung kommen.
Niedere wie höhere Geistlichkeit setzte sich — von
zahlreichen Ausnahmen abgesehen — über die Ge-
setze, die ihr antiquiert erschienen, hinweg, hei-
ratete oder hielt sich wenigstens Konkubinen und
stattete ihre Kinder mit den Kirchengütern aus,
oder vererbte ihnen ihre Pfründen. Allerdings hat
man den Kampf für die Aufrechterhaltung des
Zölibats niemals aufgegeben. Die kirchliche
Zölibat.
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Reformpartei hat dauernd seine erneute Durchfüh-
rung versucht und auf die alten Kanones hinge-
wiesen (vgl. Synode zu Ingelheim 948, Augs-
burg 952, Ravenna 967, Bourges 1031)), indessen
zunächst vergebens. Die Verhältnisse waren zu
mächtig, als daß vereinzelte Versuche hätten Er-
solg haben können. Selbst die von Benedikt VIII.
und Heinrich II. auf der Synode zu Pavia 1022
erfolgte Androhung, daß Kleriker, welche Ehe-
frauen oder Konkubinen zu sich nähmen, von der
geistlichen Obrigkeit mit Absetzung, von der welt-
lichen zur Verrichtung gemeiner Dienste für ihre
Kirche bestraft, deren Kinder aber zu Sklaven er-
klärt würden, fand keine Beachtung. Die Priester-
ehe war allgemein Sitte geworden. Erst nachdem
es der Reformpartei gelungen war, den päpstlichen
Stuhl selbst zu reformieren und für ihre Ideale:
Befreiung der Kirche von der Laienherrschaft durch
Unterdrückung von Simonie und Konkubinat zu
gewinnen, konnte seit Mitte des 11. Jahrh. der
Kampf im großen geführt werden.
4. Der Kampfgegen die Majoristen-
ehe. Leo IX. (1048/54), der erste der Reform-
päpste, erläßt sofort auf den Synoden zu Rom,
Reims und Mainz 1049 und Rom 1050 (7) ener-
gische Bestimmungen gegen den Konkubinat, nur
gegen den Konkubinat, nicht gegen die Ehen der
Kleriker, denn von nun an macht man zwischen
Ehefrau und Konkubine eines Majoristen keinen
Unterschied mehr. Die folgenden Päpste Viktor II.,
Stephan X., Nikolaus II., Alexander II. nehmen,
vom gleichen Reformgeist beseelt, die Anordnungen
Leos auf und suchen auf zahlreichen Synoden dem
Zölibatsgebot wieder praktische Geltung zu ver-
schaffen. Inzwischen hatte die gegen die Priester-
ehe eifernde „Pataria“ in Mailand das Volk gegen
die verheirateten Kleriker gewonnen und 1057
einen entschiedenen Erfolg über die sog. Nikolai-
tische Ketzerei davongetragen. Die verheirateten
Kleriker wurden in der ganzen Dihzese vertrie-
ben, und Erzbischof und Klerus mußten die
Durchführung des Zölibats eidlich angeloben.
Unter dem Eindruck dieses Erfolgs tat dann Ni-
kolaus II. einen entscheidenden Schritt, indem er
auf der Lateransynode von 1059 unter Berufung
auf Leos Anordnungen nicht nur den Konkubina=
riern die Vornahme gottesdienstlicher Funktionen,
sondern auch dem Volk das Anwohnen bei den-
selben verbot, eine Bestimmung, welche Alexander II.
1063 von neuem einschärfte (c. 5 u. 6 D. 32;
vgl. c. 16 u. 17 D. 81). Damit schien allerdings die
Durchführung der Zölibatsgesetze so gut wie gesichert
zu sein, indem das Volk zum Mitvollstrecker der
kirchlichen Anordnungen gemacht wurde, jedoch
nur dann, wenn es gelang, diesen Anordnungen
allgemeine Anerkennung, insbesondere seitens der
Bischöfe, zu verschaffen. Aber gerade hieran sollte
es trotz zahlreicher Partikularsynoden sehlen. Erst
Alexanders Nachfolger, Gregor VII., vermochte
sie und damit das Zölibatsgebot selbst praktisch
durchzusetzen. Gleich auf den Fastensynoden von