Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

1323 
Aber auch die Forderung dieses Gelübdes hat zu- 
nächst weder in Gallien noch Spanien infolge des 
politischen Einflusses der Könige zur völligen 
Durchführung der Zölibatsvorschriften geführt und 
auch in Italien mußten dieselben wiederholt neu 
eingeschärft werden. — Auf den Subdiakonat 
war, wie wir sahen, bisher der Zölibat nur ver- 
einzelt und vorübergehend (Synode zu Elvira und 
2. Synode zu Karthago) ausgedehnt worden. In- 
dessen schon seit Mitte des 5. Jahrh. erachtete der 
päpstliche Stuhl auch ihn für an das Zölibats- 
gebot gebunden. Schließt doch Leo I. im Jahr 
446 aus der Verpflichtung der Subdiakone zum 
Zölibat auf die noch strengere der Diakone, 
Priester und Bischöfe (c. 1 D. 32). Doch gelang 
es erst Gregor I. (590/604), das Zölibatsgebot 
für den Subdiakonat allgemein durchzusetzen (vgl. 
„c. 1 D. 28; c. 1 D. 31; c. 2 D. 32; c. 20 
C. 27 q. 2. Vgl. auch c. 6 der 8. Synode von 
Toledo 653, welcher Subdiakone, die nicht völlig 
keusch leben, mit lebenslänglicher Klosterhaft be- 
droht). — Damit war die Entwicklung der Zöli- 
batsvorschriften zu einem vorläufigen Ab- 
schluß gekommen. Als Gesetz verpflichtete er in 
der ganzen abendländischen Kirche Bischöfe, Prie- 
ster und Diakone seit ca 400. Subdiakone seit 
ca 600. Die vor der höheren Weihe eingegangene 
Ehe durfte nicht mehr fortgesetzt werden, die nach 
derselben geschlossene Ehe war zwar gültig, aber 
unerlaubt, und zog Amtsentsetzung, ja vielfach 
selbst Exkommunikation nach sich. 
Das rasche Aufblühen des Mönchtums, die 
allgemeine Einführung der vita communis hat 
allerdings die schwierige Durchsetzung des 
Zölibatsgebots erleichtert, so daß es bald 
überall — nur England scheint eine Ausnahme zu 
bilden (vgl. Scherer a. a. O. 1 391, Nr 82) — 
auch praktische Geltung erlangt hatte. Indessen 
darf nicht übersehen werden, daß seine Beobach- 
tung doch so eng mit der allgemeinen Pflege von 
Zucht und Sitte verknüpft ist, daß, wo diese sich 
lockern, auch jederzeit die Befolgung der Zölibats- 
gesetze in Verfall geraten. Der seit Ende des 
9. Jahrh. beginnende Zerfall der vita canonica, 
die durch den Zusammenbruch des karolingischen 
Reichs hervorgerufenen unsichern politischen Ver- 
hältnisse und die sich daraus ergebene Verwilde- 
rung der Sitten, die mehr und mehr um sich 
greifende Simonie, welche ihren Grund in der 
aus dem Eigenkirchenrecht hervorgewachsenen 
Laienherrschaft hatte, all dieses ließ die auch früher 
nur mühsam durchgesetzten Zölibatsvorschriften in 
steigendem Maß außer Geltung kommen. 
Niedere wie höhere Geistlichkeit setzte sich — von 
zahlreichen Ausnahmen abgesehen — über die Ge- 
setze, die ihr antiquiert erschienen, hinweg, hei- 
ratete oder hielt sich wenigstens Konkubinen und 
stattete ihre Kinder mit den Kirchengütern aus, 
oder vererbte ihnen ihre Pfründen. Allerdings hat 
man den Kampf für die Aufrechterhaltung des 
Zölibats niemals aufgegeben. Die kirchliche 
Zölibat. 
  
1324 
Reformpartei hat dauernd seine erneute Durchfüh- 
rung versucht und auf die alten Kanones hinge- 
wiesen (vgl. Synode zu Ingelheim 948, Augs- 
burg 952, Ravenna 967, Bourges 1031)), indessen 
zunächst vergebens. Die Verhältnisse waren zu 
mächtig, als daß vereinzelte Versuche hätten Er- 
solg haben können. Selbst die von Benedikt VIII. 
und Heinrich II. auf der Synode zu Pavia 1022 
erfolgte Androhung, daß Kleriker, welche Ehe- 
frauen oder Konkubinen zu sich nähmen, von der 
geistlichen Obrigkeit mit Absetzung, von der welt- 
lichen zur Verrichtung gemeiner Dienste für ihre 
Kirche bestraft, deren Kinder aber zu Sklaven er- 
klärt würden, fand keine Beachtung. Die Priester- 
ehe war allgemein Sitte geworden. Erst nachdem 
es der Reformpartei gelungen war, den päpstlichen 
Stuhl selbst zu reformieren und für ihre Ideale: 
Befreiung der Kirche von der Laienherrschaft durch 
Unterdrückung von Simonie und Konkubinat zu 
gewinnen, konnte seit Mitte des 11. Jahrh. der 
Kampf im großen geführt werden. 
4. Der Kampfgegen die Majoristen- 
ehe. Leo IX. (1048/54), der erste der Reform- 
päpste, erläßt sofort auf den Synoden zu Rom, 
Reims und Mainz 1049 und Rom 1050 (7) ener- 
gische Bestimmungen gegen den Konkubinat, nur 
gegen den Konkubinat, nicht gegen die Ehen der 
Kleriker, denn von nun an macht man zwischen 
Ehefrau und Konkubine eines Majoristen keinen 
Unterschied mehr. Die folgenden Päpste Viktor II., 
Stephan X., Nikolaus II., Alexander II. nehmen, 
vom gleichen Reformgeist beseelt, die Anordnungen 
Leos auf und suchen auf zahlreichen Synoden dem 
Zölibatsgebot wieder praktische Geltung zu ver- 
schaffen. Inzwischen hatte die gegen die Priester- 
ehe eifernde „Pataria“ in Mailand das Volk gegen 
die verheirateten Kleriker gewonnen und 1057 
einen entschiedenen Erfolg über die sog. Nikolai- 
tische Ketzerei davongetragen. Die verheirateten 
Kleriker wurden in der ganzen Dihzese vertrie- 
ben, und Erzbischof und Klerus mußten die 
Durchführung des Zölibats eidlich angeloben. 
Unter dem Eindruck dieses Erfolgs tat dann Ni- 
kolaus II. einen entscheidenden Schritt, indem er 
auf der Lateransynode von 1059 unter Berufung 
auf Leos Anordnungen nicht nur den Konkubina= 
riern die Vornahme gottesdienstlicher Funktionen, 
sondern auch dem Volk das Anwohnen bei den- 
selben verbot, eine Bestimmung, welche Alexander II. 
1063 von neuem einschärfte (c. 5 u. 6 D. 32; 
vgl. c. 16 u. 17 D. 81). Damit schien allerdings die 
Durchführung der Zölibatsgesetze so gut wie gesichert 
zu sein, indem das Volk zum Mitvollstrecker der 
kirchlichen Anordnungen gemacht wurde, jedoch 
nur dann, wenn es gelang, diesen Anordnungen 
allgemeine Anerkennung, insbesondere seitens der 
Bischöfe, zu verschaffen. Aber gerade hieran sollte 
es trotz zahlreicher Partikularsynoden sehlen. Erst 
Alexanders Nachfolger, Gregor VII., vermochte 
sie und damit das Zölibatsgebot selbst praktisch 
durchzusetzen. Gleich auf den Fastensynoden von
	        
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