Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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dunkle Erkenntnis der Folgen vorhanden war. 
Nichtsdestoweniger läßt sich im positiven Recht, so- 
wohl im Zivil= als im Strafrecht, sehr wohl der 
Grundsatz festhalten, nach welchem jeder für die 
Folgen seiner Handlungen verantwortlich erklärt 
wird, die er hätte erkennen oder voraussehen müssen. 
Die Untertanen sind zur genauen Pflichterfüllung 
anzuhalten und darum zur lÜberlegung dessen, was 
sie tun, und der etwaigen Folgen desselben. Die 
Gesetze können, da diese Forderung sehr viel zum 
Gemeinwohl beiträgt, ein gewisses Maß von 
Uberlegung vorschreiben, demnach auch im Fall 
der Verletzung dieser Vorschrift den Zuwiderhan- 
delnden hierfür verantwortlich machen. So nimmt 
die positiv-rechtliche Zurechenbarkeit mit Recht 
vielfach einen weiteren Umfang an als die natur- 
gesetzliche. 
Wie die Zurechenbarkeit ganz oder teilweise 
aufgehoben werden kann durch Mangel an Er- 
kenntnis, so auch durch unmittelbare Beeinträch- 
tigung des Willensvermögens. Man kann nicht 
daran zweifeln, daß das Willensvermögen unter 
Umständen durch äußerst gesteigerte Affekte, d. h. 
Regungen oder Neigungen des niedern Strebe- 
vermögens, gewissermaßen mit fortgerissen werden 
kann. Allerdings tritt damit regelmäßig auch eine 
Verdunklung des Erkenntnisvermögens ein, da- 
her kommt es, daß vielfach dieser Fall von dem 
vorher besprochenen nicht unterschieden wird. Daß 
die Frage, wann eine Handlung infolge stärkerer 
Affekte an ihrer Zurechenbarkeit verliert, vor allem 
für das Strafrecht Wichtigkeit hat, bedarf keiner 
weiteren Begründung. Wie man einerseits zu- 
geben muß, daß sehr starke Affekte, aus denen 
strafbare Handlungen erfolgt sind, einen Grund 
bilden zur milderen Beurteilung derselben, so darf 
man anderseits hierin gewiß nicht zu weit gehen. 
Wie die positiven Gesetze ein gewisses Maß von 
Umsicht und Überlegung von den Untertanen ver- 
langen können und müssen, so können und müssen 
sie auch ein gewisses Maß von Beherrschung der 
niedern Regungen verlangen. Wenn demnach auch 
konstatiert ist, daß gewisse Verbrechen (z. B. Kinds- 
mord seitens unehelicher Mütter, Tötung im Fall 
unglücklicher Liebe usw.) vielfach oder zumeist 
starken Affekten ihren Ursprung verdanken, so hat 
eine vernünftige Strafgesetzgebung doch immer 
sich noch die Frage zu stellen, ob nicht durch zu 
weit gehende Berücksichtigung mildernder Um- 
stände die öffentliche Sittlichkeit sowohl als Sicher- 
heit eher geschädigt als gefördert wird. 
II. Die Zurechnungsfähigkteit im Recht. 
1. Die im vorstehenden vom allgemein-philoso- 
phischen Standpunkt aus erörterten Begriffe der 
Zurechnungsfähigkeit, der Zurechenbarkeit und der 
Zurechnung sind für das positive Recht nach Maß- 
gabe seiner Satzungen, die manche Abweichungen 
der juristischen von der allgemein= wie moral- 
philosophischen Auffassung mit sich führen, von 
maßgebendster Bedeutung. Daß sie zunächst in 
den Anfangsstadien der staatlichen Rechtsbildung 
Zurechnungsfähigkeit. 
  
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nicht sogleich mit voller Klarheit und Stärke her- 
vortreten, ist ebenso leicht begreiflich, als daß über 
ihr Wesen und ihren Inhalt im Verlauf der 
Rechtsgeschichte verschiedene sich widersprechende 
Ansichten auftreten und daß sich mancherlei Un- 
vollkommenheiten in ihrer gesetzgeberischen Ver- 
wertung gezeigt haben. Ihre Entwicklung ist mit 
der wissenschaftlichen Aus= und Durchbildung des 
Rechts Hand in Hand gegangen und bildet, na- 
mentlich für das Strafrecht, einen Maßstab des 
Fortschritts. 
2. Bereits im römischen bürgerlichen (Zi- 
vil-Recht, wie es uns überliefert ist, sind die 
Begriffe sachlich vollständig ausgebildet und auch 
der kechnische Ausdruck der Zurechnung (imputa- 
tio) in dem uns heute geläufigen Sinn ist ihm 
wohl bekannt. Für die Entstehung, Anderung und 
Beendigung der Rechte, für den gesamten Rechts- 
verkehr, kommt in erster Linie die menschliche 
Handlung in Betracht. Handlung ist dem römi- 
schen Recht aber Ausdruck des Willens, Hand- 
lungsfähigkeit nichts anderes als Willensfähigkeit, 
die Eigenschaft einer Person, vermöge deren ihr 
Tun und Lassen auf ihren Willen als bewegende 
Ursache zurückgeführt werden kann, also im Prin- 
zip nichts anderes als Zurechnungsfähigkeit im 
oben dargelegten Sinn. Unter den Handlungen 
nehmen eine besonders wichtige Stellung ein die 
Rechtsgeschäfte oder Willenserklärungen, d. i. der 
sinnlich wahrnehmbare Ausdruck des Willens mit 
dem Zweck und der Absicht, eine rechtliche Wirkung 
hervorzubringen, und mit der Bedeutung, daß 
diese Wirkung eintritt, weil sie gewollt ist. Der 
Begriff der Zurechnung macht sich hier besonders 
bemerkbar, namentlich wenn man berücksichtigt, 
daß das Recht auf die Freiheit und Unverfälscht- 
heit des Willens einen solchen Wert legt, daß es 
den in dieser Hinsicht sich ergebenden Willens- 
mängeln einen die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte 
in Frage stellenden Einfluß einräumt. Auch 
zur Begehung unerlaubter Handlungen als 
Quelle von Rechtsveränderungen ist Handlungs- 
fähigkeit Voraussetzung. Wer nicht handlungsfähig 
ist, ist auch nicht deliktsfähig. Hier tritt die Zurück- 
führung der widerrechtlichen Handlung auf den 
Willen des Handelnden in dem spezifischen Be- 
griff der Zurechnung zur Schuld, die eine beson- 
dere Rolle im Strafrecht spielt, entgegen, indem 
mit dieser Bezeichnung die Zurückführung der 
Handlung auf die unrechtliche Willensstimmung 
ausgedrückt wird. Die Handlungsfähigkeit (Wil- 
lensfähigkeit, Zurechnungsfähigkeit) ist allen 
Menschen eigen, soweit sie ihnen nicht ausdrücklich 
abgesprochen wird. Das ist der Fall — von an- 
derem hier abgesehen — mit Kindern unter sieben 
Jahren, mit Wahn= und Blödsinnigen. Sie gilt 
ferner ausgeschlossen in vorübergehenden Zustän- 
den von Geistesgestörtheit, wie sie umgekehrt bei 
Wahn= und Blödsinnigen während sog. lichter 
Augenblicke als vorhanden angenommen wird. 
Bei Minderjährigen über sieben Jahren findet
	        
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