Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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auch der einzige Unterschied zwischen den unmittel- 
baren Staatsbeamten und den Kommunalbeamten. 
Dieser Unterschied tritt auch in der Lehre Gneists, 
dessen Untersuchungen über das englische selk- 
government bahnbrechend für die Kommunal= 
verwaltungsrechtswissenschaft geworden sind, her- 
vor. Er bezeichnet die Selbstverwaltung als 
Staatsverwaltung, die durch ernannte, unmittel- 
bare Staatsorgane geführt werde, jedoch in der 
Weise, daß sozial und faktisch von der Staats- 
gewalt möglichst unabhängige Personen Selbst- 
verwaltungskompetenzen erhalten. Dieser Unter- 
schied prägt sich einerseits in der Art und Weise 
des Aktes, durch welchen die kommunalen Organe 
die Eigenschaft als Beamte erhalten, aus: sie 
werden in der Regel von den der Verwaltung 
unterstehenden Personen — indirekt — gewählt, 
wozu teilweise die Bestätigung bestimmter Staats- 
organe hinzukommt, nur ausnahmsweise, z. B. bei 
den oben erwähnten Reichskommunen in Deutsch- 
Ostafrika, kommt direkte Ernennung der Kom- 
munalorgane durch die Staatsorgane vor, wäh- 
rend bei den Staatsbeamten die Ernennung durch 
andere die Regel ist. Es besteht ferner in der 
Regel eine Verpflichtung zur Annahme des über- 
tragenen Amts, die bei den Staatsbeamten die 
Ausnahme bildet. Anderseits ergibt sich ein wich- 
tiger Unterschied zwischen Staats= und Selbst- 
verwaltung aus der „UÜbertragung einer Finanz- 
gewalt“ auf die Kommunen. Die durch sie von 
den Mitgliedern der Kommunen erhobenen mate- 
riellen Mittel kommen den lokal begrenzten Kom- 
munalbezirken zugut, und zwar mit Bezug auf 
alle die Gegenstände, deren Verwaltung der Staat 
durch Kommunen ausübt. Die vom Staat er- 
hobenen Mittel werden sonst von allen Staats- 
gliedern gleichmäßig erhoben und kommen den 
allgemeinen staatlichen Zwecken zugut, seit Ein- 
führung der Parlamente jedoch häufig in der 
Weise, daß für bestimmte Ressorts bestimmte 
Mittel ausgeworfen werden. Diese beiden Unter- 
schiede sind historisch zu erklären. In Zeiten, in 
denen die Zentralstaatsgewalt schwach ist, machen 
sich immer Strömungen dafür geltend, daß die 
Regierten ihre Angelegenheiten selbst verwalten. 
Es bilden sich, wie das alte deutsche Reich in 
seiner Zersplitterung zeigt, kleinere Verbände, die 
zwar ihre rechtliche Gestaltung durch geltendes 
staatliches Recht erhalten und staatliche Aufgaben 
ausführen, aber in Angelegenheiten, bei denen sie 
selbst in besonderer Weise beteiligt sind, während 
im allgemeinen möglichst Unbeteiligte zur Rechts- 
ausführung in concreto berufen sind. In den 
deutschen Staaten ist nach einer mehr absolu- 
tistischen Periode die Selbstverwaltung zum Zweck 
der Erweckung und Hebung des Interesses der 
Staatsbürger an allgemeinen Angelegenheiten, zum 
Schutz der Selbstbestimmung und zur Verhütung 
ungerechtfertigten Zwangs durch obrigkeitliche Or- 
gane eingeführt worden. Das Prinzip aber, dem 
diese Verwaltung zugrunde liegt, ist die Idee 
Staatswissenschaften. 
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der Rechtsausführung in Angelegenheiten, bei 
denen der Ausführende selbst besonders beteiligt 
ist oder als Organ Beteiligter handelt. Selbst- 
verwaltung ist also Rechtsausführung in eignen 
Angelegenheiten namens des Staats, Staats- 
verwaltung durch Staatsorgane, die in irgend 
einer Weise bei den zu verwaltenden Angelegen- 
heiten persönlich interessiert sind. Nur in diesem 
Sinn dürfte das „Selbst“ im Begriff der Selbst- 
verwaltung aufzufassen sein. Die Theorie, welche 
Selbstverwaltung in Gegensatz zu Staatsverwal- 
tung setzt, zerreißt einen Begriff, der notwendig 
einheitlich ist. Die Staatsverwaltung ist, welche 
Seiten wirtschaftlicher Verhältnisse auf Grund des 
gesetzten Rechts sie auch in Angriff nehmen möge, 
wegen der Identität des Subjekts nur eine, gleich- 
viel, ob die Organe, durch welche der Staat tätig 
wird, eigne oder fremde Angelegenheiten ver- 
walten. 
Literatur. Abgesehen von den Darstellungen 
der allgemeinen Staatslehre (s. d. Art. Staat) sind 
zu erwähnen: Marquardsen, Handbuch des öffentl. 
Rechts, Bd 1: Allg. Teil (1883); Einleitungs- 
band 1 (Gareis, Sarwey), 1I (Laband, Seydel, 
Gaupp, Rehm u. a.); Holtzendorff-Kohler, En- 
zyklopädie der Rechtswissenschaft II (6(1904) Art. 
Verwaltungsrecht; O. Mayer, Theorie des französ. 
Verwaltungsrechts (1886); Zeitschrift für die ge- 
samte Staatswissenschaft XXXVIII (Stengel): 
Archiv für öffentliches Recht (Laband u. Stoerk) 
Stein, Handbuch der Verwaltungslehre (die so- 
ziale Verwaltungslehre); Ulbrich, Lehrbuch des 
österreichischen Staatsrechts (1883); Rosin, Sou- 
veränität, Staats-, Gemeinde-, Selbstverwaltung, 
in Hirths Annalen 1883; ders., Das Recht der 
öffentlichen Genossenschaft (1886); K. v. Stengel, 
Wörterbuch des dtsch. Verwaltungsrechts (21910 ff, 
3 Bde); Meyer-Dochow, Lehrbuch des dtsch. Ver- 
waltungsrechts (31910). — Gluth, Die Lehre von 
der Selbstverwaltung (1887); Blodig, Die Selbst- 
verwaltung als Rechtsbegriff (1894); Hatschek, Die 
Selbstverwaltung in polit. u. jurist. Bedeutung 
(1898); Gneist, Englische Verfassungsgeschichte 
l (1882) u. a. m.; Gierke, Deutsches Genossenschafts- 
recht (1868/81); Laband, Staatsrecht des Deut- 
schen Reichs 1 (1901) 97. 339; II 187. 
[Bruno Beyer.]) 
Staatswissenschaften. I. Begriff und 
Eliederung. Staatswissenschaft ist dem Wort- 
sinn nach das Wissen vom Staat, also der Wissens- 
zweig, der sich mit Ursprung und Zweck des 
Staats, mit seinen Bestandteilen und Formen, 
mit Natur und Umfang der Staatsgewalt, mit 
den staatlichen Normen und Einrichtungen usw. 
befaßt. Es sind also (staats-gphilosophische und 
(staats-yrechtliche Lehren und Probleme, welche 
dem Begriff den Inhalt geben. Daneben werden 
aber auch andere Wissenszweige, namentlich solche 
wirtschaftlicher und sozialer Natur, soweit sie 
irgendwie zum Staatsleben in Beziehung treten, 
den Staatswissenschaften zugezählt. Vielfach wird 
/’wwischen juristischen, wirtschaftlichen und sozialen 
Staatswissenschaften unterschieden. Auch von theo- 
1 retischen und praktischen Staatswissenschaften wird 
  
 
	        
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