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zu strafbaren Handlungen niederzuhalten und dem
allgemeinen Rechtsbewußtsein gemäß zu handeln;
es könne daher nicht bedenklich erscheinen, diesem
allgemeinen Urteil, in welchem die strafrechtliche
wie die sittliche Zurechnung ihren Grund habe,
im Strafgesetzbuch Ausdruck zu geben. Auch die
Begründung zum Vorentwurf zum neuen deut-
schen Strafgesetzbuch steht auf dem Standpunkt,
daß der Ausdruck des § 51 bestehenden Rechts
nicht im metaphysischen Sinn, sondern „im Sinn
des gewöhnlichen Lebens“ zu verstehen sei. In
der angezogenen Stelle der Motive steht aber
nicht nur nichts, was die indeterministische Aus-
legung widerlegt, im Gegenteil, sie wird bestätigt.
Daß der Gesetzgeber sich mit dem allgemeinen
menschlichen Urteil in Übereinstimmung halten
will, ist kluge kriminalpolitische Rücksichtnahme.
Als menschliches Urteil, auf das sich die Motive
berufen, war aber doch das zur Zeit ihrer Ent-
stehung herrschende gemeint, und es wird niemand
behaupten können, daß damals bereits die deter-
ministischen Anschauungen dieses Urteil „allge-
mein“ in ihrem Sinn gestimmt hätten. Zudem
weist gerade der Ausdruck „Niederhalten von An-
trieben zu strafbaren Handlungen durch die Wil-
lenskraft“ auf das Niederkämpfen innerer Re-
gungen hin, beschäftigt sich also nicht mit Freiheit
von äußerem Zwang. Es wäre sonst auch höchst
überflüssig gewesen und nicht zu verstehen, daß das
Strafgesetzbuch noch die oben mitgeteilte Bestim-
mung über die Wirkung unwiderstehlicher Ge-
walt und schwerer Drohung ausgenommen hätte.
Es ist darum nicht einzusehen, warum das Straf-
gesetzbuch „etwas als freie Willensbestimmung
bezeichnet habe, was in Wahrheit solche gar nicht
ist“. Es ist aber weiterhin auch nicht richtig, daß,
wie von deterministischer Seite behauptet wird
(ogl. d. Art. Strafe usw. Sp. 268), diese meta-
physische Willensfreiheit eine ursachlose Selbst-
bestimmung, eine dem Kausalgesetz entrückte, dem
Kausalitätsprinzip widersprechende Willensfreiheit
bedeute. „Denn diese Selbstbestimmung ist nicht
ursachlos, sondern begründet, motiviert durch die
von der Vernunft vorgelegten Motive, ohne daß
aber der Wille denselben notwendig nachgeben
müsse“; sie besteht darin, „daß der menschliche
Wille, solange er mit Selbstbewußtsein und Über-
legung gepaart ist, die Fähigkeit hat, unter dem
Einfluß von Motiven sich selbst zum Handeln zu
bestimmen, wodurch er die unmittelbare Ursache
der von ihm gewollten Handlungen wird“. Die
Willensfreiheit ist demnach nicht identisch mit
menschlicher Willkür. Es wird vielmehr gar nicht
verkannt, daß treibende und drängende Motive an
den Willen herantreten und Einfluß ausüben
können, aber schließlich ist es doch der freie Wille,
der den entscheidenden Ausschlag für die Richtung
des Handelns gibt; es gibt keine innere Nötigung
im deterministischen Sinn, keine unwiderstehbare
Auslieferung an die andrängenden Motive. Der
entschiedene Determinismus bleibt indessen nicht
Zurechnungsfähigkeit.
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bei der vorgedachten Verschiebung des Begriffs
der freien Willensbestimmung stehen. In dem
Art. Strafe usw. Sp. 268 ist in dem dort an-
gezogenen Ausspruch v. Liszts seine grundsätzliche
Stellungnahme zu dem Problem der menschlichen
Willensfreiheit vollständig gekennzeichnet. Danach
gibt es für den Determinismus überhaupt keine
menschliche Willensfreiheit, der Mensch ist viel-
mehr „unbedingt und uneingeschränkt unfrei, sein
Verbrechen die notwendige, unvermeidliche Wir-
kung der gegebenen Bedingungen“. Damit ist
natürlich jede Möglichkeit abgeschnitten, die Zu-
rechnungsfähigkeit überhaupt noch mit dem Willen
des Menschen in Beziehung zu setzen; es muß für
sie eine Definition, ein Begriff gefunden werden,
der diese Beziehung außer acht lassen kann. Die
verbreitetste Begriffsbestimmung in diesem deter-
ministischen Sinn ist die des Professors v. Liszt,
der die Zurechnungsfähigkeit als normale Be-
stimmbarkeit durch Motive, insbesondere als Emp-
fänglichkeit für die durch Strafe bezweckte Motiv-
setzung oder auch neuerdings als Determinierbar-
keit durch die Normen sozialen Verhaltens erklärt.
Auf eine Inkonsequenz dieser Normierung hat der
Professor v. Bar treffend hingewiesen, indem er
bemerkt: „Wer sich im einzelnen Fall nicht durch
soziale Normen determinieren läßt, also ein Ver-
brechen begeht, ist nicht determinierbar, folglich
nicht zurechnungsfähig. So kann in Wahrheit
niemand bestraft werden.“ Es ist auch ein Wider-
spruch in sich, den Menschen für unfrei zu er-
klären und dann doch von ihm die in der Motiv-
setzung durch Strafandrohung sich kundgebende
Erwartung zu hegen, er werde auf diese Straf-
androhung normal reagieren. Die selbstverständ-
liche Folge dieser Auffassung ist es, daß es auch
keine Schuld und keine Zurechnung zur Schuld
im oben erwähnten Sinn gibt. Aber da einmal
Schuld Begriffsmerkmal des Verbrechens und
ohne Schuld keine Strafe möglich ist, so muß
ihr ein anderer Inhalt gegeben werden. Die
Schuld ist nunmehr nichts weiter als „die tat-
sächliche Verantwortlichkeit für die begangene
Handlung“. Es ist ohne weiteres klar, daß inner-
halb des bestehenden Strafrechts für eine derartige
Auffassung kein Raum ist. Man macht hier den
Verbrecher, der gar kein Verbrecher, sondern nur
der „Durchgangspunkt von Anreizen, der Wir-
kungen weiter zurückliegender Ursachen“, nur „ein
Opfer der Verhältnisse“ ist, für eine Handlung
verantwortlich, die gar keine Handlung, sondern
nichts mehr als ein mechanischer Tätigkeitsakt ist.
Der folgerichtige Determinismus leugnet das auch
gar nicht. Er verlangt ein Strafgesetzbuch, das
die Zurechnungsfähigkeit „als unnützen Ballast"
„mit den sonstigen Inventarstücken der überlie-
ferten Begriffsjurisprudenz über Bord zu werfen“
hat, nach dem es auf Willensfreiheit, Verantwort-
lichkeit, Schuld u. dgl. überhaupt nicht mehr an-
kommt. Es kann nicht mehr Bestrafung des sog.
Verbrechers das Ziel der Bestimmungen sein,