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sondern nur der Anzeige bedarf, ebenso haben die
Barmherzigen Schwestern keine besondere mini-
sterielle Dispens mehr einzuholen, wenn sie in
Kinder-, Koch-, Näh= und Flickschulen tätig sein
wollen. (Red.)
Bayern. Durch das pfülzische Städtever-
fassungsgesetz vom 15. Aug. 1908 wurde das
pfälzische Gemeinderecht, das im allgemeinen sich
an das französische System der Gemeindeverfas-
sung anschließt, dem rechtsrheinischen bayrischen
Gemeinderecht näher gebracht. Auf Antrag der
Gemeindeverwaltung kann den Stadtgemeinden
der Pfalz die Verfassung der städtischen Gemein-
den rechts des RNheins verliehen werden, ebenso die
Kreisunmittelbarkeit (bisher unterstanden in der
Pfalz auch die bedeutenderen Städte dem Bezirks-
amt). — Das Gemeindewahlgesetz vom 6. Juli
1908 führte für Gemeinden mit mehr als 4000
Einwohnern (auch in der Pfalz) die Verhältnis-
wahl mit freien und verbundenen Listen ein. Von
fast 8000 Gemeinden wurden dadurch 115 be-
troffen. — Das Jahr 1910 brachte den Gemein-
den in Verbindung mit der Reform der Staats-
steuern die Ausnutzung der Ertragssteuern im
höheren Umfang als bisher (Gemeindeumlagen-
gesetz vom 14. Aug. 1910). Vgl. Nachtrag Ein-
kommensteuer Bd V, Sp. 1414. (Red.)
Begräbniswesen. Durch Gesetz vom
14. Sept. 1911 wurde die Leichen verbren-
nung auch in Preußen gestattet. Bis dahin
waren alle auf ihre Zulassung gerichteten An-
träge im preußischen Abgeordnetenhaus abge-
lehnt worden. Auch die Regierung hatte einen
ablehnenden Standpunkt eingenommen. Der Ent-
wurf, den die Regierung im Febr. 1911 dem
Abgeordnetenhaus vorlegte, begründete an sich
kein neues Recht, weil, wie das Oberverwaltungs=
gericht in einer Klagesache des Hagener Feuer-
bestattungsvereins gegen die dortige Polizeiver=
waltung festgestellt hatte, die Feuerbestattung an
sich vorher schon rechtlich zulässig war und nur so
lang im Interesse der öffentlichen Ordnung poli-
zeilich verhindert werden konnte, als nicht ver-
schiedene, die Erdbestattung betreffende gesetzliche
Vorschriften eine, ihre Anwendbarkeit auf die
Feuerbestattung ermöglichende Ergänzung erfahren
hatten. Diese Ergänzung sollte der von der Re-
gierung vorgelegte Entwurf geben. § 1 lautete:
Die Feuerbestattung darf nur in landespolizeilich
genehmigten Anlagen erfolgen. § 2 bestimmte die
Gemeinden oder Gemeindeverbände als reguläre
Träger des Feuerbestattungswesens. Doch soll die
Genehmigung, Leichen zu verbrennen, „auch an-
dern Körperschaften des öffentlichen Rechts, denen
die Sorge für die Beschaffung der öffentlichen
Begräbnisplätze oblieg"“ (nach der beigegebenen
Begründung sind das die Kirchen= und Syn-
agogengemeinden) erteilt werden können, wenn die
Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörde vor-
Bayern — Begräbniswesen.
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erfüllung die Genehmigung zur Feuerbestattung
zu versagen sei. Die §8 7/9 setzten die Bedin-
gungen für die Erlaubnis der Leichenverbrennung
im Einzelfall fest. Danach sollte die Verbrennung
nur erlaubt sein, wenn beigebracht wäre: 1) die
amtliche Sterbeurkunde; 2) eine auf Grund der
Leichenschau ausgestellte amtsärztliche Bescheini-
gung über die Todesursache, die die Erklärung
enthalten muß, daß ein Verdacht, der Tod sei
durch eine strafbare Handlung herbeigeführt wor-
den, sich nicht ergeben hat; 3) der Nachweis, daß
der Verstorbene die Feuerbestattung seiner Leiche
angeordnet hat (diese Anordnung sollte rechts-
gültig nur derjenige treffen können, der das
16. Lebensjahr vollendet hat, oder der Inhaber
der elterlichen Gewalt bei demjenigen, der dieses
Alter noch nicht erreicht hat); 4) die Bestätigung
der Ortspolizeibehörde, daß ein Verdacht, der
Tod sei durch eine strafbare Handlung herbei-
geführt worden, nicht vorliege.
Die Gründe, welche die Regierung zu ihrer
veränderten Stellung bewogen hatten, waren nach
ihrer eignen Angabe folgende: Die wachsende
Zahl der Anhänger der Feuerbestattung, die Zu-
lassung der Leichenverbrennung in 13 deutschen
Staaten (Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen,
Sachsen-Coburg und Gotha, Sachsen-Weimar,
Sachsen-Meiningen, Anhalt, Reuß j. und ä. L.,
Hamburg, Lübeck, Bremen. 1912 sind 27 Kre-
matorien in Betrieb), die Verbrennung einer
großen Zahl aus Preußen stammender Leichen in
diesen außerpreußischen Staaten, die Milderung
der evangelisch-kirchlichen Praxis in Bezug auf die
Beteiligung der Geistlichkeit bei der Einäscherung,
die Talsache, daß der Leichenverbrennung aus-
drückliche göttliche Gebote oder kirchliche Dogmen
nicht entgegenstehen, die Abschwächung der bis-
herigen kriminalistischen Bedenken gegenüber der
Leichenverbrennung infolge der Fortschritte der
medizinischen und chemischen Wissenschaft, endlich
besonders die oben angeführte Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts.
Bei der ersten Lesung im Abgeordnetenhaus
(22. März) erklärten Fortschrittliche Volkspartei,
Sozialdemokraten, Nationalliberale, Freikonser-
vative und ein Teil der Konservativen ihre Zu-
stimmung zu der Vorlage. Der größere Teil der
Konservativen schloß sich den einmütig ablehnen-
den Fraktionen des Zentrums und der Polen an.
In der Kommission, an welche die Vorlage ver-
wiesen wurde, gelangten verschiedene Abände-
rungsanträge zur Annahme, die Vorlage im
ganzen aber wurde mit 7 gegen 7 Stimmen ab-
gelehnt. Dagegen wurde sie bei der zweiten Be-
ratung (17. und 18. Mai) in abgeänderter Form
angenommen. Die wichtigste Anderung war, daß
die Genehmigung zur Verbrennung auch dann
zu versagen sein soll, „wenn nicht dafür gesorgt
ist, daß neben der Feuerbestattung auch die Be-
liege. § 3 setzte Bedingungen für Einrichtung erdigung Verstorbener dauernd in der bisherigen
und Lage des Krematoriums fest, bei deren Nicht-
Weise slattfinden kann“ (§3, Abs. 1). Zur dritten