Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Hessen — Hilfskassen. 
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in Räumen, in denen Hausarbeit ausgegeben oder Darmstädter Technischen Hochschule, ferner durch 
abgeliefert wird, den Hausarbeitern durch offene 
Auslage von Lohnverzeichnissen oder Aushängen 
von Lohntafeln die Möglichkeit gegeben wird, sich 
über die Löhne für die einzelnen Arbeiten zu unter- 
richten. Den Arbeitern müssen ferner vom Ar- 
beitgeber Lohnbücher oder Arbeitszettel ausgehän- 
digt werden, welche Art und Umfang der Arbeit 
sowie die dafür festgesetzten Löhne enthalten. — 
Lohnämter, die für einzelne Hausindustrien Lohn- 
festsetzungen mit rechtsverbindlicher Kraft treffen 
könnten (nach dem Vorbilde Australiens und Eng- 
lands), sind infolge des Widerstands der Regie- 
rung leider in das Gesetz nicht ausgenommen. 
Statt dessen kann der Bundesrat für bestimmte 
hausindustrielle Gewerbezweige Fachausschüsse be- 
schließen, die paritätisch aus Vertretern der Ge- 
werbetreibenden und Hausarbeiter zusammengesetzt 
sind. Ihnen fällt als wichtigste Aufgabe zu, auf 
Ersuchen der Staats= und Gemeindebehörden die 
Höhe des von den Hausarbeitern tatsächlich er- 
zielten Arbeitsverdienstes zu ermitteln, dessen An- 
gemessenheit zu begutachten, Vorschläge für die 
Vereinbarung angemessener Entgelte zu machen, 
und auch sonst den Abschluß von Lohnabkommen 
oder Tarifverträgen zu fördern. Die Fachaus- 
schüsse sind als ein Fortschritt zu begrüßen, wenn 
sie als Etappe zu einer durchgreifenden gesetzlichen 
Lohnregulierung in der Hausindustrie betrachtet 
werden. Als dauernde Institution zur Gesundung 
der heutigen Lohnverhältnisse in der Hausindustrie 
werden sie sich höchst wahrscheinnich als nicht ge- 
nügend erweisen. Koch S. J.“ 
Hessen. Durch die Gesetze vom 3Jun11911 
erhielt das Großherzogtum ein neues Wahlrecht 
zum Landtag. Die Zweite Kammer besteht aus 
58 Mitgliedern (bisher 50), davon sind 15 (bis- 
her 10) Abgeordnete der Städte (Darmstadt und 
Mainz je 3, Gießen, Offenbach, Worms je 2, 
Friedberg, Alsfeld, Bingen je 1), die ländlichen 
Wahlkreise, für die eine neue Wahlkreiseinteilung 
geschaffen wurde, stellen 43 (bisher 40) Abgeord- 
nete. Die Wahlen sind direkt und geheim. Für 
das aktive Wahlrecht wird verlangt männliches 
Geschlecht, vollendetes 25. Lebensjahr, hessische 
Staatsangehörigkeit seit einem Jahr, dreijähriges 
Wohnen in Hessen, Leistung einer direkten Staats- 
oder Gemeindesteuer; doch haben auch die sog. 
Haussöhne das aktive Wahlrecht, wenn sie auch 
nicht zur besondern Steuer herangezogen sind. 
Jeder Wähler hat vom 50. Lebensjahr ab zwei 
Stimmen (Pluralwahlrecht; wurde vom Bauern- 
bund durchgesetzt, soll ein Ubergewicht bilden der 
eingesessenen Bevölkerung gegen die fluktuierende 
lsozialdemokratische) Industriebevölkerung). Das 
passive Wahlrecht ist insofern beschränkt, als die 
Beamten der Verwaltung, der Justiz, der Fi- 
nanzen und des Forstamts nicht in den zu ihrem 
Dienstbezirk gehörigen Wahlkreis gewählt werden 
können. Die Zahl der Mitglieder der Ersten 
Kammer wird vermehrt durch einen Vertreter der 
  
  
je einen auf Vorschlag der betreffenden Berufs- 
körperschaft vom Großherzog berufenen Vertreter 
des Handels, der Industrie, der Landwirtschaft 
und des Handwerks. 
Die Zweite Kammer setzt sich nach den Wahlen 
im Nov. 1911 zusammen (nur die Hälfte der (50] 
alten Kammermitglieder schied verfassungsgemäß 
aus) aus 16 Nationalliberalen, 16 Bauernbünd- 
lern, 9 Zentrumsmitgliedern, 9 Fortschrinlichen 
und 8 Sozialdemokraten. Die Fortschrittliche 
Volkspartei gewann 4 Sitze, die Sozialdemo- 
kratie 3, der Bauernbund 2, das Zentrum 1 Sitz, 
die Nationalliberalen verloren 2 Sitze. 
Durch eine Anderung der Verfassung (Art. 67 
und 75) wurden die Beziehungen der beiden 
Kammern in budgetärer und legislatorischer Hin- 
sicht neu gestaltet. Bisher konnte die Erste Kam- 
mer die das Finanzgesetz betreffenden Beschlüsse 
der Zweiten Kammer nur im ganzen annehmen 
oder verwerfen, eventuell fand gemeinsame Sitzung 
mit absoluter Stimmenmehrheit statt. Nach dem 
neuen Recht ist (als Ausgleich für die Zustim- 
mung der Ersten Kammer zur geheimen Wahl 
für die Mitglieder der Zweiten Kammer) die Erste 
Kammer berechtigt, über die einzelnen Teile des 
Hauptvoranschlags und des Finanzgesetzes auch 
gesondert zu beschließen. Tritt die Erste Kammer 
der Zweiten Kammer nicht bei, so geht die Sache 
zur nochmaligen Beratung und Beschlußfassung 
über die betreffenden Punkte an die Zweite Kam- 
mer. Beharrt diese bei ihren abweichenden Be- 
schlüssen, so gelangen diese letztmals an die Erste 
Kammer. Tritt diese wiederum nicht bei, so sind, 
wenn die Zweite Kammer nicht nachträglich den 
Beschlüssen der Ersten Kammer zustimmt, die noch 
nicht übereinstimmenden Punkte nach den Be- 
schlüssen der Zweiten Kammer in das Finanzgesetz 
einzustellen, das nun zur Annahme oder Ableh- 
nung im ganzen an die Erste Kammer geht. Lehnt 
diese die Annahme ab, so findet eine Beratung 
und Abstimmung mit absoluter Mehrheit in ver- 
einigter Sitzung der beiden Kammern statt (beie 
Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des 
Präsidenten der Zweiten Kammer). — Wird ein 
von einer Kammer abgelehnter Gesetzesvorschlag 
auf dem nächsten Landtag von der Regierung 
wieder vorgelegt und abermals von einer Kam- 
mer angenommen, von der andern abgelehnt, so 
kann auf Verlangen der Regierung in einer 
gemeinsamen Sitzung beider Kammern über 
den Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt 
werden. 
Eine Umgestaltung erfuhr ferner die Städte- 
ordnung, die Landgemeindeordnung, die Kreis- 
und Provinzialordnung; neu geregelt wurde auch 
die Gemeindebesteuerung (verschiedene Geiete, vom 
8. Juli 1911). 
Hilfskassen. Die im Art. lenen 
(Bd II, Sp. 1235 ff) erwähnten Mißstände in 
der Verwaltung der eingeschriebenen Hilfskassen
	        
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