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gar nicht konnte. Demnach war auch nicht das
Motuproprio für Deutschland etwa durch ein
neues Gesetz aufzuheben, eben weil es hier von
vornherein keine Geltung hatte. Es handelte sich
vielmehr einzig und allein darum, festzustellen,
daß das Motuproprio schon seinem Wortlaut
nach gemäß den kanonischen Prinzipien Deutsch-
land gar nicht berühren könne. Und diese Fest-
stellung ist durch die amtliche Erklärung der für
den Verkehr der Regierungen mit dem Papst
allein zuständigen Stelle durch die Erklärung des
Kardinalstaatssekretärs den Gesandten gegenüber
erfolgt. Ubrigens ist Mitte Januar eine gleiche
Erklärung der belgischen Regierung gegeben wor-
den, während für Spanien der König Ende 1911
das Plazet erteilt hat.
Literatur. Bisher sind nur Zeitungsartikel
erschienen. Von ihnen kommen in Betracht: Heiner
in der „Köln. Volkszeitung“ 1911, Nr 1013 1054
1069; Göller ebd. Nr 1008 1058; Ebers in der
„Germania“ 1911, Nr 275, 1. u. 2. Blatt, u. in
der „Köln. Volkszeitung“ 1912, Nr 12. Eine zu-
sammenfassende Studie des Verfassers dürfte im
Frühjahr 1912 in den Heften der Sektion für
Rechts= u. Sozialwissenschaft der Görres-Gesellschaft
erscheinen. LEbers.])
Marokko. Das deutsch-französische Sonder-
abkommen vom 9. Febr. 1909, das eine Erwei-
terung der französischen Vormachtstellung in ein-
zelnen Punkten zugestand, hatte nicht den deutscher-
seits gewünschten Erfolg. Der scharfe Wettbewerb
zwischen deutschem und französischem Kapital
führte zu lauten Klagen darüber, daß die auf
Grund der Algecirasakte bestellten französischen
Beamten auf jede Weise entgegen den Bestim-
mungen der Akte die deutsche wirtschaftliche Tätig-
keit zu erschweren und zu verhindern suchten.
Immer bedrohlicher wurde der Charakter der
inneren Aufstände, die von Frankreich künstlich
geschürt wurden, um unter dem Vorwand des
Schutzes des schwächlichen, ganz dem französischen
Einfluß unterliegenden Sultans Muley-Hafid das
Innere Marokkos besetzen zu können. So kam im
Frühjahr 1911 der Zug französischer Truppen
nach Fes, der Hauptstadt des Landes und Residenz
des Sultans, zustande. Die Franzosen verließen
das Innere des Landes nicht mehr, sie setzten sich
dort sest unter Berufung auf ein europälsches
Mandat. Sie überschritten damit aber die ihnen
durch die Algecirasakte zugewiesenen Rechte. Die
Unterzeichner dieser Akte hatten gegen die „fried-
liche Durchdringung“ Marokkos nichts einzuwen-
den, hatte für sie diese Akte doch nur die Bedeu-
tung eines wertlosen Blattes Papier, waren sie
ja schon vor Algeciras infolge anderweitiger
Schadloshaltung mit der Tunifizierung einver-
standen gewesen. Deutschland allein, die einzige
interessierte Großmacht, die man beim Marokko-
handel übergehen zu können geglaubt hatte, machte
von seiner Aktionsfreiheit Gebrauch, die ihm der
Bruch der Algecirasakte gab. Es schickte, da
Marokko.
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diplomatische Vorstellungen ergebnislos blieben,
am 1. Juli 1911 das Kanonenboot Panther
(das jedoch bald durch den kleinen Kreuzer Berlin
ersetzt wurde) nach Agadir, einem Hafen im Süden
Marokkos (Susgebietl), zur Sicherung von Leben
und Eigentum der dortigen Deutschen und der
deutschen Schutzgenossen, gleichzeitig aber auch,
um auf die französische Regierung einen Druck zur
Beschleunigung der Auseinandersetzung zwischen
beiden Staaten auszuüben. Das deutsche Vor-
gehen rief in Frankreich eine starke Entrüstung
hervor, noch größer aber war die Aufregung in
England, dessen Regierung der gleichzeitig mit der
Entsendung des Kriegsschiffs an alle Mächte er-
gangenen deutschen Note, daß Deutschland keine
Festsetzung in Marokko beabsichtige, offenes Miß-
trauen entgegenbrachte und die deutsche Würde
verletzende Erklärungen forderte. Mit Wissen und
Billigung des Kabinetts richtete der Schatzkanz-
ler Lloyd-George in einer Bankettrede (21. Juli)
schwere Drohungen und Warnungen an die deutsche
Adresse. Die deutsche Regierung lehnte jede direkte
Einmischung Englands in die rein deutsch-fran-
zösischen Angelegenheiten ab. Eine internationale
Konferenz wollte Deutschland nur beschicken, wenn
vorher der von der Algeciraskonferenz geschaffene
Zustand wieder hergestellt worden wäre, wenn
also die Franzosen Marokko geräumt hätten.
Andernfalls war Deutschland zu einem Spezial-
abkommen mit Frankreich bereit. Die deutsch-
französischen Verhandlungen wurden in Berlin
zwischen dem französischen Botschafter Jules Cam-
bon und dem deutschen Staatssekretär des Aus-
wärtigen Kiderlen-Wächter geführt. Wiederholt
drohten sie zu scheitern, nicht zuletzt durch die
Ränke Englands, das, ebenso wie Rußland, trotz-
dem Geheimhaltung der Verhandlungen aus-
bedungen war, von der französischen Regierung
ständig auf dem laufenden gehalten wurde und
zum Nachteil Deutschlands auf Frankreich ein-
wirkte. England erklärte sich bereit, für den
Kriegsfall das französische Landheer durch 150000
Mann englischer Truppen, die in Holland oder
Belgien landen sollten, zu verstärken, traf auch
selbst alle Vorkehrungen für einen Seekrieg mit
Deutschland, scheint aber trotz der Überlegenheit
der englischen Flotte die Ungewißheit des Aus-
gangs eines deutsch-englischen Zusammenstoßes
gefürchtet zu haben. Sosschleppten sich die Ver-
handlungen unter mehr oder weniger Kriegs-
gefahr durch den ganzen Sommer hin, bis sie
endlich am 4. Nov. ihren Abschluß fanden. In
dem an diesem Tag von den beiden Unterhändlern
unterzeichneten Marokkoabkommen erkennt
Deutschland das Protektorat Frankreichs über
Marokko an. Der Vertrag dehnt Frankreichs
Polizeimacht auf das ganze Land aus, Frankreich
kann seine Truppen, in Ubereinstimmung mit dem
(ein französisches Werkzeug bildenden) Sultan
überall verwenden, es kann Marokko im Aus-
land durch die französische Diplomatie vertreten