Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Freiwerden der Stelle zu kümmern hat, ist es viel- 
fach üblich geworden, wenn auch rechtlich nicht 
notwendig, daß die bischöfliche Behörde den Pa- 
tron von der Erledigung der Stelle in Kenntnis 
setzt. Dieses Verfahren ist bei einer Amtsent- 
hebung des Pfarrers auf Grund des Dekrets be- 
sonders empfehlenswert. Im Fall einer Resi- 
gnierung des Pfarrers infolge der Aufforderung 
bleibt es bei den bestehenden Vorschriften. 
IV. Zur Beurteilung des Amotions-- 
verfahrens. Wenn auch bei Ausfstellung der 
Gründe für die Amtsenthebung und entsprechend 
für das Verfahren hätte schärfer geschieden wer- 
den können zwischen eigentlichen Disziplinar- 
fällen und einfachen Defekten, auch eine Appel- 
lationsinstanz von dem Revisionsurteil wünschens- 
wert wäre, so bietet das Amotionsverfahren 
zweifellos viele rechtliche und praktische Vor- 
züge. Sein höchster und ausgesprochener Zweck ist 
es, die Gemeinden von einem untauglichen und 
schädlich wirkenden Pfarrer rasch zu befreien. Unter 
Berücksichtigung dieses Grundsatzes ist zu sagen, 
daß das Dekret auch den Rechten des Pfarrers 
keinen Abbruch tut. Das früher unbestimmte Ver- 
fahren der amotio oeconomica ist jetzt rechtlich 
genau fixiert. Die vordem freie Verfügungsge- 
walt des Bischofs ist durch die gesetzlich bestimmt 
geordnete Mitwirkung der Examinatoren und Kon- 
sultoren mit einer längeren Amtsperiode eingeengt. 
Die Konsultoren sind Standesgenossen der Pfarrer. 
Wenn auch der Rekurs an denselben Bischof geht, 
der an der ersten Entscheidung mitwirkte, ist doch 
das Urteilerkollegium in beiden Instanzen ver- 
schieden. Die Amotionsgründe sind genau fixiert, 
und ihr tatsächliches Vorliegen muß zweifellos 
erwiesen sein. Bei seiner Verteidigung hat der 
Pfarrer vollen Rechtsschutz. Die Versorgungs- 
frage darf mit der Amtsenthebung nicht verquickt 
werden. Das alles sind Vorzüge des Verfahrens, 
die den Pfarrer günstiger stellen als die weltlichen 
Beamten gegenüber den staatlichen Disziplinar- 
gesetzen. Dem Bischof wird die Ausübung seines 
Amtes durch das Gesetz wesentlich erleichtert; ist 
direkt durch das Dekret eine Mehrung seiner Be- 
fugnisse durch das Gesetz auch nicht intendiert, so 
ist sie doch eine Folgeerscheinung desselben (vol. 
Apostolisches Schreiben vom 31. Dez. 1910 an 
den Erzbischof von Köln, Kardinal Fischer, und 
vom 7. Jan. 1911 an die österreichischen Bischöfe. 
Act. Apost. Sed. III (19111 18 u. 20). Die 
Fälle für das administrative Eingreifen des Bi- 
schofs zur Absetzung eines Pfarrers sind vermehrt. 
Die Mitwirkung des Bischofs beim Verfahren ist 
entsprechend seiner Verantwortung von überwie- 
gender Bedeutung: die Bestellung der mitwirken- 
den Beamten geht auf ihn zurück; er verbleibt im 
Richterkollegium für den Rekurs; das von ihm 
gefertigte Endurteil ist inappellabel. Für die Art 
der Versorgung ist das gerechte Ermessen des Bi- 
schofs entscheidend und damit der Einfluß auf das 
fernere Verhalten des Pfarrers. Das Amotions= 
  
Portugal. 
  
  
  
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verfahren ist den Interessen der Kirche und des 
Staates dienlich, ohne staatlichen Rechten zu 
widersprechen. 
Literatur. Das Dekret ist publiziert: Acta 
Apostolicae Sedis II (1910) 636 ff; dazu die Reso- 
lutionen der S. C. Consistorialis vom 5. Okt. 1910 
a. ua. O. 854, u. vom 28. Febr. 1911 a. a. O. III 
(1911) 133. — Die autorisierte Ausgabe für 
Deutschland (latein. u. deutscher Text, Freib. 1911). 
— Die am 14. Dez. 1910 von den in Fulda ver- 
sammelten (preußischen) Erzbischöfen u. Bischöfen 
festgestellten „Erläuterungen zu dem Dekret“ in 
den kirchlichen Amtsblättern 1911. — Serafino 
de Gennaro, La rimozione dei parroci in disci- 
plinare secondo il recentissimo decreto „Maxima 
cura“ (Neapel 1910); R. Parayre, Le déplace- 
ment administratif des curés d’apres le droit 
nouveau (Lyon 1911); Felix M. Capello, De ad- 
ministrativa amotione parochorum seu commen- 
tarium in decretum „Maxima cura“ (Rom 1911); 
Joseph Schmelcher, Das Dekret der S. C. Consi- 
storialis „De amotione administrativa ab officio 
et beneficio curato“ (1911); N. Hilling, Die 
Amtsenthebung der P. im Verwaltungsweg (1911). 
[Linneborn.) 
Portugal. Seit langem hatte Portugal 
unter einer korrupten Verwaltung und einem nicht 
minder korrupten Parlamentarismus gelitten; die 
Reformversuche des Ministerpräsidenten Joaos 
Francos, die er im Einverständnis mit dem König 
Carlos als Diktator unter Beiseitesetzung des 
Parlaments unternommen hatte, waren an dem 
Widerstand fast aller politischen Parteien ge- 
scheitert: der König und der Kronprinz mußten 
den Versuch mit dem Leben büßen (1. Febr. 1908), 
Franco wurde flüchtig. Zwar verbanden sich zum 
Schutz der durch die Katastrophe schwer geschä- 
digten, durch den jungen, unerfahrenen König 
Manuel vertretenen Monarchie die maßgebenden 
Parteien der Regeneradores und Progressisten 
und bildeten eine gemeinsame Regierung. Bald 
jedoch gerieten die Parteien wieder in Streit mit- 
einander, der um so gefährlicher wurde, als sie 
durch verschiedene Skandale in der öffentlichen 
Meinung diskreditiert und durch Absplitterung 
dissentierender Elemente geschwächt wurden. Die 
Ministerien folgten in raschem Wechsel aufeinan- 
der, und keines vermochte, ob es den Regenera- 
dores oder den Progressisten angehörte, sich länger 
als ein paar Monate im Amt zu halten. Auch 
die zweimalige Auflösung und Neuwahl der Kam- 
mer brachte keine Besserung der Zustände. So 
konnte an die Durchführung der notwendigsten 
Reformen nicht herangetreten werden und die Agi- 
tation der umstürzlerischen Parteien, namentlich 
der Republikaner, fand im Volk einen fruchtbaren, 
wohl vorbereiteten Nährboden. Hatten die Re- 
publikaner bei den Wahlen im Aug. 1906 erst 
4 Mandate gewonnen, so stieg deren Zahl im 
Febr. 1908 auf 7, bei den Wahlen im Aug. 1910 
auf 14. Neben der öffentlichen Agitation der 
Republikaner in der Presse und in Versammlungen 
ging eine intensive geheime einher, die in allen
	        
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