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beitslosenversicherungskassen ge-
schritten, die aber mangels hinreichender Erfah-
rungen noch keineswegs mustergültig eingerichtet
sind und des weiteren Ausbaus bedürfen. Wenn
auch eine befriedigende Lösung dieses wichtigen
Problems nur durch eine reichsgesetzliche Reg-
lung erreicht werden kann, so stehen einer solchen
vorerst noch so große Schwierigkeiten entgegen,
daß in absehbarer Zeit an irgend welche Maß-
nahmen in dieser Hinsicht nicht zu denken ist.
Wenn manche Städte (Köln, Leipzig, Straßburg
und Mülhausen i. E., Erlangen, Freiburg i. Br.,
Schöneberg, Basel usw.) sich dennoch entschlossen
haben, einen Versuch mit der Arbeitslosenversiche-
rung zu machen, so geschah dies einerseits, um die
Armenpflege — und indirekt auch die Kranken-
kassen — zu entlasten, die durch die Arbeitslosig-
keit besonders stark in Mitleidenschaft gezogen
werden, anderseits um dem Sinken der von diesem
Ubel Betroffenen auf ein tieferes sittliches und
wirtschaftliches Niveau und damit einer Gefahr
für die öffentliche Ordnung und Wohlfahrt nach
Kräften vorzubeugen. Zugelassen zur Versicherung
werden überall Arbeiter, die der Arbeitslosenver=
sicherungskasse eines Berufsvereins angehören, in
einzelnen Städten (Freiburg i. Br. und Schöne-
berg) auch andere, nichtorganisierte Arbeiter, die
unter den vorgeschriebenen Bedingungen an der
für Arbeitslose bestimmten städtischen Sparein-
richtung teilgenommen haben. Die städtische Unter-
stützung wird gewährt bei unverschuldeter, unfrei-
williger Arbeitslosigkeit und wenn der Arbeiter
seit mindestens einem Jahr in der betreffenden
Stadt wohnhaft ist. Sie beträgt für Angehörige
von Berufsvereinen in der Regel 50 % von dem
Unterstützungssatz, den der Arbeitslose jeweils von
seinem Verein bezieht; für Teilnehmer an der
Spareinrichtung 50 % von den Abhebungen vom
Sparguthaben während der Dauer der Arbeits-
losigkeit. Der Höchstbetrag ist auf 1 XM pro Un-
terstützungstag festgesetzt. Bei Streiks und Aus-
sperrungen, sowie bei Krankheit, Unfall oder
Invalidität wird ein städtischer Zuschuß nicht
gewährt.
Mit der Arbeitslosenfrage verwandt ist die
Wohnungefrage. Die Wohnungspreise stei-
gen, je schneller auf dem beschränkten Stadtgebiet
die Menschenanhäufungen zunehmen; und je teurer
die Wohnungen werden, zu um so schlechteren
müssen die minderbemittelten Bevölkerungskreise
greifen und um so größer wird das Wohnungs-
elend. Die Städte aber haben aus gesundheit-
lichen und ethischen Gründen ein lebhaftes In-
teresse daran, daß möglichst weite Schichten ihrer
Einwohnerschaft gut und billig wohnen, und sind
dementsprechend auch mit zahlreichen wohnungs-
reformerischen Maßnahmen: wie Einrichtung städ-
tischer Wohnungsinspektionen, Ankauf möglichst
großen Grundbesitzes durch die Stadtverwaltung
selbst, um damit einen Einfluß auf den Grund-
stücksmarkt und dessen Preisgestaltung zu ge-
Städtewesen, modernes.
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winnen, Eigenbau von kleinen Mietwohnungen
(Freiburg i. Br., Zürich, Düsseldorf, Mülhausen
i. E.) und Einfamilienhäusern (Ulm a. D.) sowie
Unterstützung der gemeinnützigen Bautatigkeit durch
Überlassung billigen Geländes und Gewährung
von Darlehen zu einem niedrigen Zinssatz, vor-
gegangen.
Wohnungspolitische Gesichtspunkte sind es auch
zum großen Teil, die einem weiteren sehr wichtigen
Gebiet städtischer Verwaltungstätigkeit zugrunde
liegen, dem Städtebau, der die technische Aus-
gestaltung des Stadtplans unter Berücksichtigung
der wirtschaftlichen und gesundheitlichen, der sitt-
lichen und künstlerischen Interessen der Allgemein-
heit zu überwachen hat. Es handelt sich dabei
nicht nur um die Bestimmung seitens der Stadt-
verwaltung, wo und wie Straßen, öffentliche
Plätze und Stadtteile angelegt, Parks und An-
lagen hergestellt, Privathäuser (in geschlossener und
offener Bauweise) und öffentliche Gebäude er-
richtet werden, sondern es sind auch in weitgehen-
dem Maß die Schönheit des Städtebildes und die
Bedürfnisse des Verkehrs, sowohl bei der Anlage
neuer Stadtteile und Straßennetze außerhalb des
bisherigen Bebauungsgebiets (Städteerwei-
terung) als auch bei der innern Umgestal-
tung (Straßendurchbrüche, Schaffung freier Plätze,
Freilegung monumentaler Bauwerke) zu berück-
sichtigen. Je weiter sich die Städte ausdehnen
und je größer die Entfernungen vom Stadtinnern
bis zur Peripherie werden, um so stärker macht
sich das Bedürfnis nach zweckmäßig angelegten
und sorgfältig unterhaltenen Straßen sowie nach
bequemen und billigen Verkehrsmitteln geltend.
Heute begegnen wir in fast allen größeren
Städten gut eingerichteten elektrischen Straßen-
bahnen, die sich teils in Selbstverwaltung der
Gemeinden, teils im Besitz von Privatgesellschaften
befinden. Die Bedeutung, welche das deutsche
Straßenbahnwesen erlangt hat, illustrieren wohl
am besten folgende Zahlen. Es betrug nach dem
Stand vom Jahr 1907; die Zahl der Straßen-
bahnen 237, ihre Länge 3850 km und die Ziffer
der ständig Beschäftigten 52 790. Geleistet wur-
den 583,74 Mill. Wagenkilometer, befördert wur-
den 1936,19 Mill. Personen und das Anlage-
kapital belief sich auf 904,63 Mill. MI — heute
ist die Milliarde bereits erheblich überschritten. Die
deutschen vollspurigen Eisenbahnen haben im
Jahr 1907 rund 2250 Mill. Personenwagen-
kilometer (zu je 3 Achszkilometer) geleistet und
1321,9 Mill. Personen befördert. Man sieht aus
diesen Ziffern, was für eine wichtige Rolle die
Straßenbahnen im deutschen Wirtschaftsleben und
namentlich in den Großstädten spielen. Was die
Technik und Sicherheit des Betriebs, die innere
Organisation und Leitung sowie die sozialen Für-
sorgemaßnahmen für die Bediensteten anbetrifft,
so stehen die städtischen Straßenbahnen Deutsch-
lands geradezu mustergültig da und werden von
keinem Land der Welt, selbst nicht von solchen,