Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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entweder alle Magistratswahlen oder nur die der 
besoldeten Mitglieder oder nur die des Bürger- 
meisters (z. B. des Stadtschultheißen in Württem- 
berg); in Baden ist überhaupt bei keiner Wahl 
eine Bestätigung erforderlich. In Frankfurt a. M. 
wird der Bürgermeister aus den von der Stadt 
vorgeschlagenen Kandidaten vom König ernannt. 
Die Bezeichnung Oberbürgermeister wird 
entweder dem ersten Bürgermeister vom Landes- 
herrn als Titel verliehen (besonders im französi- 
schen System) oder steht dem ersten Bürgermeister 
kraft Gesetzes zu (z. B. in Baden). 
Der Schwerpunkt der Verwaltung liegt überall 
in den Händen des Gemeindevorstands, während 
die Gemeindevertretung zu einer Mitarbeit nur in 
den Einzelfällen berufen ist, in denen das Gesetz 
sie dazu ausdrücklich ermächtigt. Allerdings geht 
diese Ermächtigung, die sich immer auf den Erlaß 
der ortsstatutarischen Bestimmungen, auf die Ver- 
fügung über das Gemeindevermögen und die Fest- 
stellung des Gemeindehaushaltungsplans erstreckt, 
in manchen Städteordnungen (z. B. Württemberg 
und Bayern) recht weit. Das Stadtverordneten- 
kollegium ist aber stets nur beschließende Versamm- 
lung, wogegen die Ausführung beim Magistrat 
und Bürgermeister liegt. Für wichtigere Ver- 
waltungsangelegenheiten, die einer ständigen Auf- 
sicht und Mitwirkung weiterer Kreise aus der 
Bürgerschaft bedürfen (Armen-, Schul= und 
Bauwesen, Gesundheitspflege und Kassenwesen, 
Sparkassen und wirtschaftliche Betriebe: Gas-, 
Wasser-, Elektrizitätswerke, Straßenbahnen usw.), 
bestehen besondere Kommissionen (Depu- 
tationen), die sich aus Mitgliedern des Magi- 
strats, des Stadtverordnetenkollegiums und son- 
stigen Bürgern zusammensetzen. 
Als Organ der Staatsverwaltung ist der Stadt- 
vorstand (z. B. in Finanz-, Polizei-, Militär- 
fragen und Standesamtsführung) von der Bürger- 
vertretung unabhängig, während dieser sonst ein 
mehr oder weniger weitgehendes Kontrollrecht über 
die Führung der laufenden gemeindlichen Ver- 
waltungsgeschäfte zusteht. Die Ortspolizei wird, 
wenn sie in den Händen städtischer Organe liegt 
CG. B. im allgemeinen in Preußen, Württemberg, 
Bayern und Sachsen) von einem Einzelbeamten 
(meist dem Bürgermeister) ausgeübt. Die Stadt- 
verordnetenversammlungen sind öffentlich, die des 
Stadtrats (Magistrats, Gemeinderats) fast überall 
geheim (nicht z. B. in Württemberg, Bayern und 
Elsaß-Lothringen). Beim Bureausystem, in Baden 
und im allgemeinen auch in Hannover führt der 
Oberbürgermeister oder Bürgermeister den Vor- 
sitz in der Stadtverordne! sammlung, son 
der Stadtverordnetenvorsteher (Worthalter, Ob- 
mann usw.). 
Die deutsche Stadlverwaltung erhält ihr charak- 
teristisches Gepräge durch das erfolgreiche Zusam- 
menwirken unbesoldeter Ehrenbeamter (z. B. im 
Armenwesen, in der Waisen= und Jugendfürsorge) 
und besoldeter Berufsbeamter. Welche Fülle 
— 
Städtewesen, modernes. 
  
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solcher Kräfte die Gemeindeverwaltungen brauchen, 
ergibt sich z. B. aus der Tatsache, daß im Jahr 
1904 bei der Stadt Berlin 4430 besoldete Be- 
amte tätig waren, in Leipzig 2852, in Dresden 
2240, in Breslau 1869, in München 1747, in 
Nürnberg 1555. Dabei sind all die Hilfskräfte 
ohne Beamteneigenschaft und die Arbeiter in den 
städtischen Betrieben, deren Zahl heute insgesamt 
rund 150 000 beträgt, gar nicht miteingerechnet. 
Diese Ziffern können, so grofß sie auch erscheinen 
mögen, doch nicht überraschen, wenn man sich 
den Wirkungskreis der heutigen deutschen Stadt- 
gemeinde vor Augen hält, wie er unter II kurz 
skizziert worden ist. Den Verwaltungen der grö- 
ßeren Städte sind die schwierigsten und wichtigsten 
Probleme gestellt, die das verwickelte Getriebe der 
modernen Volkswirtschaft zutage fördert. Unsere 
deutschen Städte sind heute die Bannerträger des 
geistigen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts 
und erregen, was ihre Einrichtungen und Lei- 
stungen anbetrifft, die Bewunderung der ganzen 
zivilisierten Welt. 
Literatur. Wuttke, Die deutschen Städte (nach 
den Ergebnissen der Dresdener Städteausstellung 
von 1903, I Text, 1I Abb., 1904); Deutschland als 
Weltmacht (40 Jahre Deutsches Reich), hrsg. vom 
Kaiser-Wilhelm-Dank 1911, Abschnitt: Deutsches 
Städtewesen von Most; Allendorf, Zug in die 
Stadt (1901). — Stübben, Städtebau (21907); 
ders., Bau der Städte in Gesch. u. Gegenwart 
(1895); Baumeister, Classen u. Stübben, Um- 
legung städt. Grundstücke (1897). — Lindemann, 
Die dtsch. Städteverwaltung (21906); Damaschke, 
Aufgaben der Gemeindepolitik (71904); Thissen 
u. Trimborn, Soziale Tätigkeit der Gemeinden 
61910); Simon, Englische Stadtverwaltung 
(1911). — Preuß, Entwicklung des dtsch. Städte- 
wesens 1 (1906); „Verfassung u. Verwaltungs- 
organisation der Städte“ (Schriften des Vereins 
für Sozialpolitik, Bd 117/123 behandeln Deutsch- 
land, Österreich, Schweiz, Frankreich, Ver. Staaten 
von Amerika, 1905 ff). — Gemeindefinanzen 
(Schriften des Ver. für Sozialpol. Bd 126/127); 
Gemeindebetriebe (Schriften des Ver. für Sozialpol. 
Bd 128/130 11908/10|); Denkschriftenband zur 
Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betr. 
Anderung im (Reichs-) Finanzwesen (2 Bde, 1908). 
— Statist. Jahrbuch deutsch. Städte, hrsg von 
Neefe (seit 1890); Kommunales Jahrb., hrsg. von 
H. Lindemann u. A. Südekum (seit 1908); Cster- 
reich. Städtebuch (seit 1887); Statist. Jahrb. ital. 
Städte (seit 1901). — Zeitschriften: Deutsche Ge- 
meindezeitung, begr. von H. Stolp (seit 1851); 
Städtezeitung, hrsg. von Dominik (seit 1903); 
Kommunale Praxis, hrsg. von Südekum (seit 1900); 
Kommunale Rundschau, hrsg. von Saalmann u. 
Aßmann (seit 1907); Zeitschrift für Kommunal- 
wirtschaft u. Kommunalpolitik, hrsg. von Erwin 
Stein (seit 1911); Verwaltung u. Statistik, hrsg. 
von Kuehnert u. Petersilie (seit 1911); Die Kom- 
munalfinanzen, hrsg. von Max Seidel (seit 1910); 
Kommnnalpolitische Blätter, hrsg. von O. Thissen 
(seit 1910); „Stlädtebau“, hrsg. von Goecke (seit 
1904); Technisches Gemeindeblatt, hrsg. von Al- 
brecht (seit 1897). LEhrler.]
	        
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